NEWS

Millionen-Flop in Erbach: Rechtsgrundlage für Fördergelder zur Marktplatzsanierung fehlt

Angesichts des sich anbahnenden Fiasko bei der Finanzierung der Marktplatz-Umgestaltung mutiert die mangelhafte Bauausführung „der Hügellandschaft“, die derzeit auf dem Marktplatz im Zentrum der Odenwälder Kreisstadt entsteht, fast zur Nebensache.

Die untere Steinbordüre des Brunnens am Eingang zum Lustgarten versinkt fast komplett im aufgeschütteten Erdreich.

Spötter bezeichnen den Marktplatz in seiner neuen Ausgestaltung als künftige Winterattraktion: Dann könne man hier ob des aufgeschütteten Hügels hervorragend rodeln...

Schmale Gullis, und noch...

...schmalere Wasserrinnen sollen den Ablauf des Regenwassers bewältigen.

Graf Franz müsse am künftigen Denkmal-Standort in der Mitte des Marktplatzes erst gar nicht mehr auf einem Sockel platziert werden, er sei ohnedies weithin sichtbar, spotten Kritiker der neuen Anlage.

Der Blick auf den in diesem Bereich noch nicht gepflasterten Marktplatz vom Eingang zum Städtel aus.

Von der Südseite her ist der Torbogen zum Städtel durch die Aufschüttung fast nicht mehr sichtbar.

Der versunkene Brunnen auf dem Erbacher Marktplatz.

„Hinunter ins Städtel“ durch den Torbogen des Alten Rathauses geht's künftig vom Marktplatz aus. Fotos: er

Erbachs Bürgermeister Harald Buschmann und Stadtbaumeister Martin La Meir in Erklärungsnot: Nach FACT-Recherchen werden durch Versäumnisse der Verantwortlichen die bewilligten Fördermittel zur Erneuerung des Marktplatzes aus dem kommunalen Investitionsförderprogramm höchstwahrscheinlich nicht oder bestenfalls teilweise fließen

ERBACH. - Die Vorwürfe, der Erbacher Bürgermeister Harald Buschmann und sein Stadtbaumeister Martin La Meir würden das Stadtparlament in der Odenwälder Kreisstadt unzureichend informieren, oftmals „auf den letzten Drücker“ unter zeitliche Beschlusszwänge setzen, gelegentlich sogar an der Nase herumführen, gibt es schon länger.

Aktuell aber erweisen sich diese oft hinter der vorgehaltenen Hand geäußerten Vorwürfe wohl als bittere und vor allem teure Realität.

Die derzeit mit Bundesmitteln in Höhe von knapp 1,2 Mio. Euro aus dem Kommunalen Investitionsförderprogramm (KIP) geförderte Erneuerung des Erbacher Marktplatzes im Gesamtvolumen von 1,52 Millionen Euro (Anmerkung: Bürgermeister Harald Buschmann bezifferte die städtische Co-Finanzierung mit rund 250.000 Euro, der Haushalt weist jedoch für dieses Projekt andere, auch rechnerisch falsche, Volumen aus), wird wohl im wahrsten Sinne des Wortes zum Millionengrab städtischer Gelder.

Städtebauliches Entwicklungskonzept als Fördervoraussetzung

Dies wird nach FACT-Recherchen aufgrund eines fehlenden, als Fördergrundlage unabdingbaren städtebaulichen Entwicklungskonzepts, unausweichliche Folge sein.

Die entstehenden Defizite werden demzufolge höchstwahrscheinlich zu 100 Prozent aus der ohnehin leeren Kasse der unter dem Schutzschirm des Landes Hessen stehenden Stadt Erbach bezahlt werden müssen.

Auf eine entsprechende Presseanfrage der FACT-Redaktion an den Magistrat der Stadt Erbach zu dieser Thematik antwortete Bürgermeister Harald Buschmann am 21. September diesen Jahres: „Die Erstellung des entsprechenden städtebaulichen Entwicklungskonzepts für das Stadtumbaugebiet ist in Bearbeitung.“

Die Förderrichtlinien des Bundes fordern jedoch gemäß § 171b des Baugesetzbuches dieses städtebauliche Entwicklungskonzept „als Grundlage“ für die Festlegung eines Stadtumbaugebiets.

Dieses wurde zwar von der Stadtverordnetenversammlung im vergangenen Jahr beschlossen und mit der durch Bundesmittel in Höhe von 1,142 Millionen Euro geförderten Baumaßnahme im Juni diesen Jahres begonnen.

Die gesetzliche Grundlage für das Stadtumbaugebiet fehlt jedoch auch vier Monate nach Baubeginn noch immer, wie Bürgermeister Buschmann auf erwähnte FACT-Anfrage bekundete. Auch die in den Förderrichtlinien zwingend vorgeschriebene Bürgerbeteiligung wurde nicht ordnungsgemäß durchgeführt.

Gesamtkosten vor der finalen Beschlussfassung nicht offen gelegt

Bei der finalen Beschlussfassung zur Erneuerung des Marktplatzes durch die Stadtverordnetenversammlung am 30. März diesen Jahres kritisierte der GRÜNE-Stadtverordnete Jürgen Müller, dass zwar „eine neue Planung vorgelegt, für diese allerdings keine Zahlen über Kosten und Folgekosten vorliegt“, weshalb die Fraktion der GRÜNEN ihre Zustimmung verweigerte.

Stadtbaumeister La Meir hatte zuvor mitgeteilt, dass gegenüber der Kostenermittlung zur ursprünglichen Planung vom 15.12.2016 mit niedrigeren Gesamtkosten zu rechnen sei, diese aber wegen nicht vorliegender Ausstattungsplanung noch nicht abschließend ermittelbar seien.

Parlamentsvorsteher Antonio Marques Duarte erklärte damals, dass die Mittel für die Co-Finanzierung dieser Maßnahme im Haushalt beschlossen worden seien und nicht überschritten werden dürften. Falls dies doch geschehe, „muss die Stadtverordnetenversammlung darüber beraten“.

Finanzministerium benennt Richtlinien zur Förderung

Dieser Beratungsbedarf ist aktuell - unabhängig davon, ob sich die Sanierungskosten im festgelegten Rahmen bewegen oder nicht - offenbar mehr denn je gegeben: FACT-Recherchen zufolge können die in Höhe von 1.142.189 Euro bewilligten Fördermittel zur Sanierung und Erneuerung des Marktplatzes höchstwahrscheinlich nicht ausgezahlt werden, bzw. werden in Höhe der möglicherweise bereits erfolgten Auszahlung wieder zurückgefordert.

Auf FACT-Anfrage erklärte zunächst der stellvertretende Pressesprecher des Hessischen Ministeriums der Finanzen, Moritz Josten: „Damit eine Maßnahme im Förderbereich § 3 Nr. 1 lit. c) Kommunales Investitionsfördergesetz gefördert werden kann, muss die Maßnahme innerhalb eines Städtebauförderungsgebietes liegen und einen städtebaulichen Bezug aufweisen.“

Rechtsgrundlage für die Förderung des Bundes im Städtebau sei das Baugesetzbuch (BauGB), Städtebauförderungsgebiet in Hessen nach BauGB u.a. ein Stadtumbaugebiet nach § 171b BauGB.

Grundlage eines städtebaulichen Entwicklungskonzepts fehlt

Der maßgebliche Paragraf 171b, Absatz 1 „legt das Gebiet, in dem Stadtumbaumaßnahmen durchgeführt werden sollen, durch Beschluss als Stadtumbaugebiet fest“. Diesen Beschluss hatte die Erbacher Stadtverordnetenversammlung in öffentlicher Sitzung vom 11. Februar 2016 aufgrund einer von Bürgermeister Harald Buschmann unterschriebenen Magistratsvorlage gefasst.

Was dabei jedoch fehlte, war das in Absatz 2 des entsprechenden Paragrafen als Grundlage für den Beschluss nach Absatz 1 geforderte „städtebauliche Entwicklungskonzept, in dem die Ziele und Maßnahmen nach § 171a, Abs. 3, im Stadtumbaugebiet schriftlich darzustellen sind“

Stadtbaumeister La Meir bekundete ausreichende Grundlage

Weiteren Recherchen zufolge sei „der Beschluss der Stadtverordnetenversammlung aus dem Februar 2016, ein Stadtumbaugebiet auszuweisen, ausreichend“, wie Ralph-Nicolas Pietzonka, der Pressesprecher im Hessischen Ministerium der Finanzen, auf weitere Anfrage zunächst erklärte.

Verblüffte schon diese Antwort angesichts einer ursprünglich abstrakten Anfrage ohne lokalen Bezug und der Nichtbeantwortung der eigentlichen Frage, ob das Fehlen einer wesentlichen Grundlage für eine Projekt-Förderung nachträglich heilbar sei wenn das geförderte Projekt schon nahezu fertiggestellt sei, ist die auf Nachfrage erteilte Antwort des Pressesprechers umso bemerkenswerter.

Auf Rückfrage räumte Pietzonka jedoch ein, diese Information stamme von Erbachs Stadtbaumeister Martin La Meir, der dies der im Finanzministerium zuständigen Fachabteilung so erklärt habe. Heißt im Klartext: Der Fördermittelnehmer befindet über die Einhaltung der Förderrichtlinien.

Das Faktum der zu diesem Zeitpunkt nicht gegebenen Grundlage eines städtebaulichen Entwicklungskonzepts blieb offenbar bei La Meirs Auskunft an das Ministerium völlig unberücksichtigt.

„Rechtsgrundlage fehlt, bewilligte Förderung ist hinfällig“

Ohne das entsprechend fixierte Entwicklungskonzept fehlt dem beschlossenen Stadtumbaugebiet die unabdingbare Rechtsgrundlage. „Die bewilligte Förderung ist damit hinfällig“, erklärte ein Experte aus dem Bundesfinanzministerium auf FACT-Anfrage, was gleichbedeutend ist mit der Verweigerung der bewilligten Fördergelder.

Rückblende: In der letzten Sitzung der Stadtverordneten im vergangenen Jahr stand am 15. Dezember 2016 der finale Beschluss zur Sanierung und Erneuerung des Erbacher Marktplatzes mit KIP-Fördergeldern von rund 1,2 Millionen Euro auf der Tagesordnung.

„Wegen großer Bedenken aus der Bürgerschaft keinen Schnellschuss“

Der damals dem Parlament vorgelegte Planentwurf fand keineswegs einmütige Zustimmung, löste vielmehr kontroverse Diskussionen unter den Stadtverordneten aus. Buschmann und La Meir warben einmütig für die Zustimmung zu dem vom Stadtbaumeister vorgelegten Planentwurf.

Dieser sah vor, einen Großteil der Marktplatzfläche als Freizeit- und Fußgängerfläche zu erhöhen, diese Fläche mit einem 18 cm hohen Bordstein zur Fahrbahn abzugrenzen, und mit Wasserspielen zu bestücken.

Diesem Entwurf schloss sich die ÜWG-Fraktion grundsätzlich an, beantragte allerdings insbesondere „wegen großer Bedenken aus der Bürgerschaft“ zu dem um 18 Zentimeter höheren Bereich vor dem Schloss einen alternativen Planentwurf und „keinen Schnellschuss“.

Parlament unter Zeitdruck gesetzt

GRÜNEN-Fraktionschefin Christa Weyrauch kritisierte den damals präsentierten städtischen Planentwurf gar als „eine Barriere und Stolperfalle mitten in der Stadt“ (siehe FACT-Bericht unter: www.de-fakt.de/bundesland/hessen/odenwaldkreis/details/?tx_ttnews).

Dem Ansinnen nach einem alternativen Plan entgegneten Bürgermeister und Stadtbaumeister unter anderem mit dem Argument, der Plan müsse noch der Denkmalbehörde zur Genehmigung vorgelegt werden, und das benötige Zeit, die jedoch aufgrund der bis Ende 2018 abzuschließenden Folgebaumaßnahme in der Erbacher Hauptstraße nicht zur Verfügung stehe, und setzten die Parlamentarier damit unter Zeitdruck.

„Durch gezieltes lancieren bestimmter Informationen große Irritationen ausgelöst“

Die später aufgedeckten Fakten, insbesondere dass das Denkmalamt bereits mit Schreiben vom 5. Dezember 2016 dem am 15. Dezember dem Parlament vorgelegten Planentwurf eine eindeutige Absage erteilt hatte, und die daraus resultierenden Folgen der notwendigen Neuplanung sind bekannt (siehe FACT-Beitrag unter: www.de-fakt.de/bundesland/hessen/odenwaldkreis/details/?tx_ttnews).

„Die Stadt Erbach hat über den Beschluss der Stadtverordnetenversammlung vom 15.12.2016 ihre Planungsabsicht bekundet“, sagte Bürgermeister Buschmann im Bauausschuss zur Vorbereitung des endgültigen Parlamentsbeschlussfassung dann am 30. März diesen Jahres.

Auf dieser Basis seien im Rahmen der denkmalrechtlichen Genehmigungsverfahren die Fachbehörden eingebunden gewesen. „In dieser Zeit sind durch gezieltes lancieren bestimmter Informationen oder durch Spekulationen große Irritationen ausgelöst worden.“

„Ein unglaublicher Skandal!“

Auch sei in diesem Zusammenhang eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen ihn und den Stadtbaumeister mit dem Vorwurf eingegangen, es würden der Stadtverordnetenversammlung wichtige Informationen vorenthalten.

„Mit den der Stadtverordnetenversammlung nun vorliegenden Unterlagen ist der Beweis geführt, dass dies nicht der Fall ist“, sah Buschmann seinen Stadtbaumeister und sich damals entlastet.

Vor dem jetzt bevorstehenden finanziellen Flop in Millionenhöhe und Buschmanns Aussage, dass „der Ablauf des Verfahrens ein ganz normaler und üblicher Prozess“ sei, eine äußerst kühne und realitätsferne Rechtfertigung des Erbacher Rathauschefs.

In jedem Fall aber ist die jetzt entstandene „Schieflage“ in Erbach wesentlich größer geworden, als sie der im Dezember vergangenen Jahres geforderte Alternativplan jemals hätte verursachen können. Vor diesem Hintergrund erscheint die zuletzt mehrfach aufgezeigte mangelnde Qualität bei der Bauausführung geradezu harmlos.

Ein mit den aktuellen Fakten konfrontierter Kommunalpolitiker in Erbach quittierte die jetzt „durch die Unfähigkeit der Verantwortlichen“ entstandene Situation kurz und knapp mit: „Ein unglaublicher Skandal!“