Dramatische Umsatzverluste im hessischen Gastgewerbe
Hotel- und Gastronomieverband DEHOGA Hessen macht auf die prekäre Situation der Branche im Umfeld der Corona-Pandemie aufmerksam und fordert Hilfe für die von Existenzsorgen GebeuteltenWIESBADEN. - Anlässlich der Sommerpressekonferenz hat der Branchenverband der Gastronomie DEHOGA Hessen aktuelle Zahlen zur wirtschaftlichen Lage im hessischen Gastgewerbe veröffentlicht und auf die prekäre Situation der Mehrheit der Betriebe aufmerksam gemacht.
Geschäftsaufgaben würden vor allem für das letzte Quartal des Jahres in einem erheblichen Umfang von bis zu einem Fünftel der Betriebe erwartet. Branchenumfrage: Schwere Einbußen und Insolvenzen im Herbst
„Uns steht eine Insolvenzwelle im Herbst dieses Jahres bevor“, sagte Julius Wagner, Hauptgeschäftsführer des DEHOGA Hessen, und beschreibt zugleich, welche Bereiche der Branche besonders betroffen sind.
„Clubs, Discotheken und die von Geschäftsreisenden und dem Tagungsgeschäft abhängige Stadthotellerie kämpfen mit den akutesten Existenzsorgen.“
Während die speisegeprägte Gastronomie in Stadt und Land weit überwiegend davon ausgeht, die Krise radebrechend zu überstehen, gibt rund ein Viertel der Hotellerie in Hessen an, bis zum Jahresende Insolvenz anmelden zu müssen.
Die städtischen Hotels sind überproportional hart betroffen. Doch auch bei Restaurants, Cafés oder Bistros ist eine wirtschaftliche Überlebensperspektive nur aufgrund der Möglichkeiten der Kurzarbeit, teilweisen Stundungen von Dauerverbindlichkeiten oder durch staatliche Förderprogramme und Kredite gegeben.
Bei über der Hälfte der hessischen Betriebe in Hotellerie und Gastronomie bricht der Umsatz in den aktuellen Sommermonaten um über 50 Prozent im Vergleich zum Vorjahr ein.
Bei einem weiteren Drittel der Betriebe liegt der Umsatzeinbruch zwischen 40 und 20 Prozent. Ein Viertel verzeichnet sogar Umsatzeinbußen von über 70 Prozent. Die Schätzungen für bis Ende August sind mit diesen validierten Umsatzzahlen nahezu identisch.
Damit steht auch fest: „Urlaub im eigenen Bundesland und die Ferienzeit haben keinen Boom in Hessens Tourismuswirtschaft ausgelöst.
Einerseits können verlorene Umsätze im Gastgewerbe nie nachgeholt werden und andererseits hat der erhoffte ‚run‘ auf viele hessische Destinationen bis jetzt einfach nicht stattgefunden“, kommentiert Wagner die Rückmeldungen von knapp 1.000 Betrieben. Verband befürchtet bis zu 1.500 Betriebsaufgaben
Insgesamt würden die neuesten Erkenntnisse den seit Monaten mahnenden Verband nicht überraschen, so dessen Präsident Gerald Kink, doch in konkreten Zahlen seien die Szenarien umso alarmierender: „Wir müssen mit bis zu 1.500 Betriebsaufgaben in den kommenden Monaten rechnen.
Angesichts der wirtschaftlichen Bedeutung des Gastgewerbes für unser Bundesland ist das ein herber Schlag für Wirtschaft und Beschäftigung. Das Gastgewerbe hat mit mehr als vier Prozent einen gewaltigen Anteil am Bruttoinlandsprodukt.
Hinter jeder einzelnen Zahl steht eine persönliche Existenz. Und der Lockdown hat allen Bürgerinnen und Bürgern in Hessen klar werden lassen, was es heißt, wenn es keine Gastronomie gibt.“, machte Präsident Kink deutlich. „Das Schlimmste steht uns noch bevor.“ …
Zusammen genommen beschäftigen alle Unternehmen der Branche über 200.000 Menschen. Davon waren allein im Mai 2020 72 Prozent der Beschäftigten in Kurzarbeit.
75 Prozent der gastgewerblichen Unternehmen in Hessen gäben an, dass sie nur durch begleitende Maßnahmen, eine Chance sehen, die Krise zu überstehen.
Begleitende Maßnahmen seien in diesen Zusammenhang das bereits erwähnte Kurzarbeitergeld, die Corona-Soforthilfen, die aktuell laufenden Überbrückungshilfen sowie die staatlichen Kredite.
„Dabei muss uns allen klar sein, dass Kredite nur beschränkt eine Lösung darstellen und die Belastungen zeitlich verlagern. Der Druck auf der Branche bleibt immens.“, so Kink. Zudem fielen viele Betriebe bei den Überbrückungshilfen durch das Raster.
Der Verband sei der verantwortlichen Politik in Bund und Land dankbar für ihr schnelles Handeln. Doch nun dürfe nicht der Fehler begangen werden, zu glauben, die Krise sei überstanden. Gerald Kink: „Das Schlimmste steht uns noch bevor!“
Bürgschaften bis Juni 2020 sprunghaft angestiegen
Ein wichtiges Instrument „aus der Wirtschaft für die Wirtschaft“ seien die Sicherheiten der Bürgschaftsbank. Neben den insbesondere bei kleinen und mittleren Unternehmen in Anspruch genommenen Mikrodarlehen der WI-Bank lag das Bürgschaftsvolumen der Bürgschaftsbank Hessen, die gegenüber den Hausbanken Kredite der Unternehmen durch Bürgschaften absichert, im Juni bei 44,2 Millionen Euro.
Dies sei ein Zuwachs von 57 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum (28,1 Millionen Euro). „Das Gastgewerbe hat mit etwa 4,4 Millionen Euro daran einen nennenswerten Anteil, und wir sind froh darüber, dass wir diesen Beitrag zur Stabilisierung der hessischen Wirtschaft leisten können“, so Sven Volkert, Geschäftsführer der Bürgschaftsbank Hessen in Wiesbaden.
Im Zuge der Corona-Krise habe die BB-H in Abstimmung mit ihren Gremien und staatlichen Rückbürgen ihr Portfolio schnell und wirkungsvoll ausgebaut:
Kredite könnten bis zu 90 Prozent besichert werden, die Obergrenze für neue Bürgschaften sei auf 2,5 Millionen Euro verdoppelt und der Zugang zu der besonders schnell verfügbaren Expressbürgschaft erleichtert worden.
Ferner habe die BB-H bei zahlreichen Unternehmen durch umfangreiche TilgungsAussetzungen die Liquiditätssituation verbessert.
Immobilienwirtschaft und Banken in der Verantwortung
„Eine Verteilung der Lasten auf alle und insbesondere die breiten Schultern in Wirtschaft und Gesellschaft ist notwendig. Andernfalls brechen lange gewachsene Strukturen zusammen“, ergänzt Gerald Kink.
Niedergang und späterer Wiederaufbau würden Staat und Gesellschaft noch weitaus tiefgreifender belasten. In diesem Zusammenhang rief der DEHOGA HessenPräsident sowohl die Immobilien- als auch die Bankenwirtschaft dazu auf, sich stärker am Krisenmanagement an der Seite gerade der kleinen Unternehmen zu beteiligen.
„Die Rückmeldungen der Betriebe bei der Frage nach Krediten ihrer Hausbanken oder auch bei Aussetzungen von Mieten sind nicht durchweg befriedigend.“
Fast 40 Prozent der Unternehmen des Gastgewerbes würden durch ihre Banken nicht unterstützt. Die Gründe dafür könnten vielfältig sein und zuweilen mit der Krise nicht unmittelbar im Zusammenhang stehen.
Kink: „Aber in all den Fällen, in denen die Hausbanken schlicht die Gesamtlage den Unternehmen anlasten, und dabei handelt es sich um unzählige gut aufgestellte und traditionsreiche hessische Betriebe, erwarten wir ein deutlich spürbareres Bekenntnis zum gastgewerblichen Mittelstand!“
38 Prozent der Pachtbetriebe der Branche konnten mit Ihren Vermietern Lösungen in Form von Mieterlassen oder Stundungen insbesondere in der Lockdown-Phase finden. Rund die Hälfte der befragten Unternehmen bewirtschafte den Betrieb im Eigentum.
Bei gut 12 Prozent hingegen seien die Fronten verhärtet. „Wir danken allen umsichtigen Vermietern für das zukunftsgerichtete Zusammenwirken mit den Unternehmen und appellieren zugleich an alle übrigen, die Lasten der Krise mitzutragen“, sagte Kink.
Alternative Pächter oder Nachfolger werde es nämlich auf lange Sicht nicht geben. „Es wird für sehr lange Zeit keine Neueröffnungen in Einzelhandel oder Gastronomie geben, die nicht vor der Krise schon fertig geplant waren.“
Party ohne Regeln vs. regeltreue Gastronomie
Das Gastgewerbe, die Veranstaltungsbranche und die Kulturszene seien die mit Abstand am massivsten von der Corona-Krise getroffenen Wirtschaftsteile. „First in, last out“, mutierte zum geflügelten Wort für Hotellerie, Gastronomie, Clubs & Co.
Umso fahrlässiger – so der Vorwurf des Verbandes gegenüber der Stadt Frankfurt am Main – sei es, gegenüber den Betrieben des Gastgewerbes mit der Aufstellung von Mülltonnen lange Zeit die einzige Antwort auf die Begebenheiten an öffentlichen Plätzen meinen, geben zu können.
Der Vorsitzende des Fachbereichs Gastronomie des DEHOGA Hessen, Robert Mangold, sprach im Namen aller hessischen Unternehmen, nämlich im Namen derer, die nach wie vor geschlossen sind und jener, die unter hohem wirtschaftlichen Druck solidarisch und umsichtig Auflagen umsetzen und Regeln verteidigen.
„Politik riskiert nicht nur ihre Glaubwürdigkeit, sondern auch eine Spaltung bei den Bürgerinnen und Bürgern und Unternehmerinnen und Unternehmern, indem sie bei 3.000 Menschen dicht an dicht, ohne Abstand, ohne Mundschutz, nichts Besseres leistet, als Mülltonnen aufzustellen.“
Es bestünde ein eklatanter Widerspruch zwischen Zusammenkünften im öffentlichen Raum ohne jedwede Beachtung der Maßnahmen zum Schutz vor dem Virus und der andauernden Schließungsverfügung für Clubs & Discotheken.
„Es ist nicht vermittelbar, Clubs zu schließen, die Gastronomie mit Auflagen zu beschränken und gleichzeitig tatenlos die wiederholte, öffentlich sichtbare und tausendfache Missachtung aller Regeln der Gemeinschaft zu billigen“, so Mangold.
„Die Menschen haben das Bedürfnis, miteinander zu feiern, zu kommunizieren und zusammenzukommen. Das ist der Ursprung unserer Branche. Wir brauchen Lösungen, die sowohl die Eindämmung des Pandemie-Risikos als auch dieses wichtige Bedürfnis zusammenführen.“
Clubs & Discotheken vor dem „Aus“
Madjid Djamegari, der selbst einen namhaften Club in der Frankfurter Innenstadt betreibt, ergänzt: „Und diese Lösungen gibt es.
Schnelltests, die mittlerweile innerhalb von wenigen Minuten eine belastbare Sicherheit geben, könnten zum neuen Kriterium für Einlasskontrollen bei Konzerten, Kulturveranstaltungen und Clubbesuchen werden.“ Hierzu sei man bereits mit dem Hessischen Wirtschaftsministerium im Gespräch.
„Das Schwierigste für meine Kollegen und mich“, so Djamegari, „ist, dass wir überhaupt keine Ahnung haben, wann wir wie wieder arbeiten können. Wir wollen ganz bestimmt nicht mit unseren Betrieben als Infektionsherde in den Schlagzeilen landen. Wir wollen unsere Gäste schützen.“
Dabei machte er deutlich, dass, wenn weiterhin einfach nichts unternommen werde, es bald gar keine Clubs mehr geben würde. „Wir erdulden seit Monaten quasi ein Berufsverbot. Es gibt keinen Plan, keine Szenarien. Wir wurden zugesperrt und die Politik hat den Schlüssen weggeworfen.“
Djamegari, der zudem der Initiative Gastronomie Frankfurt vorsteht, fordert insbesondere die Landesregierung auf, einen transparenten Fahrplan vorzulegen. Trotz aller Belastungen: Mehrheit des Gastgewerbes steht hinter den Maßnahmen und unterstützt die Eindämmung der Pandemie
Laut der jüngsten Branchenbefragung des Verbandes halten 70 Prozent der Betriebe die Maßnahmen der Landesregierung nach wie vor für richtig und setzen alle Auflagen um.
Vom verbleibenden Drittel der Unternehmen sehen lediglich 16 Prozent diese als überzogen an, die übrigen 14 Prozent sind verunsichert, befolgen die Regeln, haben jedoch keine eigene Einschätzung dazu.
„Das macht deutlich, wie fest das Gastgewerbe zu seiner Verantwortung in der Gesellschaft steht, und zwar weit über rein wirtschaftliche Interessen hinaus“, so Verbandspräsident Gerald Kink.
Dafür wünschten sich die Gastronomen, Hoteliers, Bar-, Club- und Cafébetreiber mit ihren Familien auch für ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mehr Anerkennung.
Doch Kink fand auch deutliche Worte für diejenigen in der Branche, die sich über Regeln hinwegsetzten: „Es geht um die Gesundheit der Menschen, es geht um die Gesundheit der Unternehmen, und es geht auch um die Gesundheit unseres gesellschaftlichen Zusammenhalts.
Was heute weiterhin zählt, ist die Gemeinschaft. All jene, die sich derart wichtig nehmen, dass sie meinen, sie müssten keinen Beitrag leisten, schaden der Branche und verhöhnen ihre Kolleginnen und Kollegen.“
Kink erwarte aber auch von der Politik, dass sie das Gastgewerbe in den kommenden schweren Monaten überzeugt und wertschätzend unterstützt. Neben den Maßnahmen des ‚Gute Zukunft-Gesetzes‘ seien noch erhebliche Mittel aus den Corona-Soforthilfen vorhanden. Diese werden in der Branche dringend gebraucht.