StandortmarketingaffĂ€re: Amtsgericht Michelstadt mĂŒht sich, altbekannte Tatsachen festzustellen

Vor dem Akteneinsichtsausschuss (AEA) des OdenwĂ€lder Kreistages machten im Jahr 2014 der damalige Landrat Dietrich KĂŒbler (rechts) und sein Hauptabteilungsleiter Oliver Kumpf teilweise entlarvende Aussagen. WĂ€hrend der Ex-Landrat als Angeklagter dazu aktuell vor dem Schöffengericht Michelstadt schweigt, kann sich der Hauptabteilungsleiter heute nur noch sehr lĂŒckenhaft oder gar nicht mehr an die Fakten und seine damaligen Aussagen vor dem AEA erinnern. Archivfoto: © by -pdh-
ODENWALDKREIS / MICHELSTADT. - Dem Vorsitzenden Richter der Strafkammer des MichelstĂ€dter Schöffengerichts ist Respekt zu zollen. Schritt fĂŒr Schritt legt er die Schichten der AffĂ€re um das OdenwĂ€lder Standortmarketing frei und nĂ€hert sich zielstrebig deren kompletter Aufarbeitung.
Dennoch sind die zunÀchst anberaumten drei Verhandlungstage bereits Geschichte, und noch ist nicht abzusehen, um wie viele Tage verlÀngert werden muss.
Leicht wird ihm die Arbeit nicht gemacht. Die Erinnerung der Zeugen lĂ€sst in entscheidenden Phasen zu wĂŒnschen ĂŒbrig, fast alle Fortschritte in der Aufarbeitung des Skandals resultieren aus akribischem Aktenstudium des Amtsrichters Helmut Schmied.
Dabei könnte er es leichter haben. In den Jahren 2013 und 2014 tagte dreimal ein Akteneinsichtsausschuss (AEA) des OdenwÀlder Kreistags zur AffÀre Standortmarketing. Wer damals gut zugehört hat oder in den hoffentlich existierenden Protokollen der drei Sitzungen nachschlagen kann, ist in der Lage, die wichtigsten noch offenen prozessentscheidenden Fragen aufzuklÀren. Warum liegen diese Protokolle dem Gericht nicht vor?
Da geht es zunÀchst um KlÀrung der Frage, ob der Kreisausschuss vor seiner entscheidenden Sitzung die juristischen Warnungen des Kreis-Rechtsamts kannte oder nicht. Dazu geben Mitschriften der damals anwesenden Journalisten eine eindeutige Antwort.
WĂ€hrend der zweiten Sitzung des AEA am 15. Januar 2014 stellte der Ausschussvorsitzende GĂŒnter Verst (SPD) fest: âJedenfalls haben auch die relativierenden Schreiben des Rechtsamts (Anmerkung der Redaktion: bei der Kreisausschusssitzung am 10.2.2012) nicht vorgelegen. Sie haben erstens nicht vorgelegen, aber wenn Kumpf das alles mĂŒndlich vorgetragen haben will, es fehlt alles im Protokoll völlig.â
Daraufhin erklĂ€rte der Hauptabteilungsleiter Oliver Kumpf ausweislich des AEA-Protokolls, sein âGutachtenâ habe er erst nach der Sitzung vom 10.02.2012 (Anmerkung d. Redaktion: entscheidende Auftragsvergabesitzung) verfasst, nachdem er mehrfach gefragt worden sei.
Wenn jetzt also durch die aktuelle Vorlage des Protokolls der Kreisausschusssitzung vom 10. Februar 2012 durch die enthaltene Angabe âTischvorlageâ (die selbst ĂŒbrigens fehlte) der Eindruck erweckt werden sollte, diese Tischvorlage âGutachten Kumpfâ habe den Kreisausschussmitgliedern vor oder wĂ€hrend ihrer entscheidenden Sitzung vorgelegen, so kann es sich vermutlich nur um eine nachtrĂ€gliche sehr fragwĂŒrdige âAnreicherungâ des Protokolls handeln.
In dieser âTischvorlageâ fĂŒhrt Oliver Kumpf am Ende des einseitigen Dokuments aus: âNach AbwĂ€gung dieser UmstĂ€nde kommt der Unterzeichner zu dem Ergebnis, dass der PrĂ€sentationstermin (1.12.2011) als Abgabetermin fĂŒr das vollstĂ€ndige Konzept angesehen werden kann und somit alle vier Bewerber ihre Konzepte fristgerecht eingereicht haben.â Mit blauer Schrift i.A. unterschrieben mit Oliver Kumpf, Hauptabteilungsleiter. Das Rechtsgutachten eines Nicht-Juristen.
Der noch brisantere Teil dieser âTischvorlageâ befindet sich jedoch an deren Anfang. Dort schreibt Kumpf: Das Rechtsamt des Odenwaldkreises hat mit Schreiben vom 12.12.2011 und 14.12.2011 festgestellt, dass die Unterlagen der Agentur Lebensform nicht vollstĂ€ndig eingereicht wurden.
Das Rechtsamt legte hierbei zu Grunde, dass in einer Email von Frau Seubert, OREG, vom 26.10.2011, der Abgabetermin auf den 22.11.2011 â 16 Uhr terminiert wurde. Weiterhin stellt das Rechtsamt fest, dass die Unterlagen der Agentur Lebensform nach wie vor nicht schriftlich vorliegen.
Ein rĂŒckdatiertes âGutachtenâ?
Zu diesem Text stellt sich automatisch die entscheidende Frage: Wenn der Kreisausschuss (KA), was wahrscheinlich ist, die Schreiben des Rechtsamts nicht kannte, macht die Kenntnisnahme der Kumpf-Stellungnahme auch keinen Sinn, denn darin wird auf die beiden ersten Warnschreiben der Rechtsabteilung aus Dezember 2011 deutlich Bezug genommen.
Entweder hat dann nĂ€mlich im KA niemand aufgepasst und nachgefragt, oder das Kumpf-âGutachtenâ wurde eben nicht vorgelegt sondern spĂ€ter rĂŒckdatiert, was sogar seine eigene Aussage im AEA am 15.1.2014 nahelegt.
Dubios wirkt in diesem Zusammenhang ein Punkt im so genannten âchronologischen Ablaufâ, der einer am 21. Oktober 2013 verschickten Einladung zum AEA am 15. Januar 2014 beigefĂŒgt war:
10.02.2012 âMĂŒndliche Unterrichtung des Kreisausschusses zur unklaren Bewerbungsfrist der zweiten Ausschreibungsphase und Darlegung der Auffassung der Hauptabteilung I hierzu, wonach der PrĂ€sentationstermin, 01.12.1012 (Anmerkung d. Redaktion: soll sicher 2011 lauten), als Bewerbungsfrist (Vorlagetermin der vollstĂ€ndigen Unterlagen) anzusehen ist.â
Damit sollte suggeriert werden, dass vielleicht mĂŒndlich ein Teil der KumpfâAuffassung im KA angesprochen wurde, dann aber ohne ErwĂ€hnung der beiden Schreiben des Rechtsamts. Das wurde mittlerweile von einer Reihe Zeugen bestĂ€tigt.
Am 12. Februar 2014 fand die dritte und letzte Sitzung des AEA statt. Die Presse-Mitschrift erlaubt wieder einen direkten Einblick in die VorgÀnge und entbehrt nicht einer gewissen Komik. Der FDP-Politiker Moritz Promny stellte fest, es sei unglaublich, wie mit den Abgeordneten umgesprungen worden sei.
Es sei schier unglaublich, wie der Ablauf im AEA vor sich gehe. Der Verwaltung sei nicht zu trauen, sie gebe nur Unterlagen heraus, von denen man wisse und nach denen gefragt werde. Woher sollten die Abgeordneten wissen, welche Unterlagen noch existierten.
Der ĂWG-Fraktionsvorsitzende Reinhold Ruhr antworte laut Protokoll: âDiese unbewiesenen Behauptungen weise ich entschieden zurĂŒck. AuĂerdem lĂ€cheln Sie blöde.â
Landrat Dietrich KĂŒbler sprang ihm zur Seite: âDie VorwĂŒrfe treffen nicht zu. Alle Unterlagen, die von interessierter Seite anonym an die Presse geschickt wurden, sind dann auch von uns veröffentlicht worden.â Ein entlarvender Satz.