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Zeugin: „Nur Johannes Kessel erklärte, wie das Standortmarketing zu handeln ist“

Die Angeklagtenbank mit der dreifachen Verteidigung: Rechtanwältin Andrea Combé (Heidelberg), Angeklagter Ex-Landrat Dietrich Kübler, Rechtsanwalt Georg Dürig und Rechtsanwältin Martina Prechtl (sitzend, beide Trier, von links nach rechts). Foto: © by er

Im Strafverfahren gegen den früheren Landrat Dietrich Kübler kamen am 4. Verhandlungstag vor dem Schöffengericht weitere Ungereimtheiten und Unwahrheiten zutage

ODENWALDKREIS / MICHELSTADT. - Ein über Michelstadt hereinziehendes Gewitter machte es erforderlich, dass elektrisches Licht im Sitzungssaal 128 des Amtsgerichtes die zunehmende Dunkelheit am gestrigen Dienstag erhellen musste.

Die Erleuchtung im nunmehr vier Verhandlungstage währenden Prozess gegen den früheren Odenwälder Landrat Dietrich Kübler (67, ÜWG) brachte das Kunstlicht dann jedoch freilich auch nicht.

Zu verworren sind die Fakten in der seit 2013 schwelenden Standortmarketing-Affäre mit dem Angeklagten Kübler und seiner früheren „rechten Hand“, Hauptabteilungsleiter Oliver Kumpf, einerseits, und der mit der administrativen Umsetzung des Konzepts offiziell beauftragten Kreistochter Odenwald-Regionalgesellschaft mbH (OREG) sowie mehreren mit erheblichen Erinnerungslücken behafteten Zeugen, die sich oft diametral widersprachen.

„Man muss sich angesichts der hier offenbarten Fakten schämen, dass man jahrelang ehrenamtlich Zeit in die Kommunalpolitik investiert, und dann erleben muss wie hauptberufliche Beamte und Wahlbeamte im Tagesgeschäft mit der Realität umgehen, bzw. diese mit Füßen treten“, fasste ein Prozessbeobachter das am vierten Prozesstag Gehörte zusammen.

Irrungen und Wirrungen um Lieblingsagntur des Ex-Landrats

In der Tat mussten der akribisch vorbereitete Vorsitzende Richter Helmut Schmied und die die Anklage vertretende Staatsanwältin Brigitte Lehmann alle Register ziehen, um etwas Licht in das Dunkel des Geschehens vor und nach der Auftragsvergabe des mit knapp 276.000 Euro Gesamtvolumen dotierten Standortmarketing-Konzeptes zu bringen.

Dabei drehten sich nahezu alle Irrungen und Wirrungen um die Lieblingsagentur des früheren Landrats Dietrich Kübler, gleichzeitig seine ihn im Wahlkampf unterstützende Agentur, die Erbacher Lebensform GmbH.

Deren Geschäftsführer und privater Nachbar Küblers im Mossautaler Ortsteil Hüttenthal, Johannes Kessel, wehrt sich seit der mündlichen Auftragserteilung unmittelbar nach der Entscheidung des Kreisausschusses am 10. Februar 2012 durch seinen Duzfreund Dietrich Kübler bis dato einen rechtsgültigen Vertrag mit der OREG zu unterzeichnen.

Preiskalkulation ist „aus dem Ruder gelaufen“

Kessel war es auch, der seinem Freund Kübler, dem damaligen Landrat, am 29. 10.2013 laut einer dem Gericht vorliegenden Mail dankte: „Es sieht so aus, als ob es doch etwas bewirkt hätte, dass Du dem Walther Bescheid gesagt hast.“

Gemeint war damit, dass der damalige OREG-Geschäftsführer Jürgen Walther auf Weisung des Aufsichtsratsvorsitzenden Kübler und unter Drohungen, er werde im Verlustfalle der Fördergelder selbst regresspflichtig gemacht, die Lebensform-Rechnungen für bis dahin erbrachte Leistungen ohne schriftliche Vertragsgrundlage angefordert und bezahlt hatte.

Dieser fehlende Vertrag einerseits, sowie nicht dem ursprünglichen Angebot gemäß der Ausschreibung angepassten Leistungen waren es schließlich auch, die den für das Konzept und darin eingeschlossene diverse Grundleistungen „aus dem Ruder laufen ließen“, wie die ehemalige OREG-Mitarbeiterin Meike Mayer als Zeugin dem Gericht schilderte.

Agenturtexte mussten von OREG-Mirabeiterinnen erstellt werden

Außerdem seien ursprünglich im Konzept als Agenturleistung im Gesamtbetrag von 81.000 Euro ausgewiesene Textleistungen den OREG-Mitarbeiterinnen Gabriele Quanz und Meike Mayer aufgebürdet worden, wie beide Zeuginnen übereinstimmend vor Gericht aussagten.

Während Mayer davon berichtete „enorme Überstunden“ ohne konkrete Zeitangaben für Textleistungen sowohl nach Feierabend als auch am Wochenende geleistet zu haben, sprach Gabriele Quanz von „mindestens drei Mannwochen a 38 Stunden“, in denen sie ausschließlich Texte für die Agentur verfasst habe, was „eine Verteuerung der Agenturleistung“ durch deren Minderleistung gegenüber dem ursprünglichen Angebot bedeute (siehe auch FACT-Beitrag unter: www.de-fakt.de/bundesland/hessen/details/?tx_ttnews).

„Von uns wurden die Arbeiten erledigt, die nachträglich im Angebot der Firma Lebensform geschwärzt worden waren“, sagte Quanz auch und belegte ihre Aussagen mit einem aktuellen Computerausdruck, auf dem die ursprünglich im Angebot enthaltenen Textleistungen der Agentur tatsächlich geschwärzt waren. Wer diese Schwärzung und weshalb vorgenommen habe konnte die Zeugin nicht sagen.

Angebliche Blockadehaltung durch Quittung zu widerlegen

Völlig unterschiedliche Erinnerungen an das exakte Geschehen hatten jedoch die beiden Zeuginnen hinsichtlich der Ausführung der Arbeitsaufgaben nach dem von Kübler veranlassten Wechsel in der Bereichsleitung der Wirtschaftsförderung der OREG.

Meike Mayer berichtete von einer Blockadehaltung Quanz' und auch des OREG-Geschäftsführers Jürgen Walther. Quanz habe ihr nur scheibchenweise Informationen und keinerlei Unterlagen aus ihrer Tätigkeit im Zusammenhang mit dem Standort-Marketing zur Verfügung gestellt, sagte Mayer.

Diese Aussage entkräftete Gabriele Quanz später mit der Aussage, sie habe ihrer Kollegin sehr wohl alle bei ihr existierenden Aktenordner als Arbeitsgrundlage übergeben, und sich diese Übergabe sogar quittieren lassen. Außerdem hätte sie Mayer Zugriff auf alle bestehenden Computer-Laufwerke mit den entsprechenden Daten zum Standortmarketing-Konzept ermöglicht.

Hauptabteilungsleiter mit exklusiver Auffassung zur Auftragsvergabe

Bereits zum zweiten mal als Zeuge gehört wurde der Hauptabteilungsleiter der Odenwälder Kreisverwaltung Oliver Kumpf. Im Zentrum seiner Befragung standen dabei erneut die insgesamt vier Gutachten die das kreiseigene Rechtsamt im Vorfeld der Auftragsvergabe für das Standortmarketing-Konzept durch den Kreisausschuss gefertigt hatte.

Kumpf hatte bereits am 10. Juli vor Gericht ausgesagt, bei der Kreisausschusssitzung vom 30.01.2012 habe eines dieser Gutachten den Teilnehmern als Tischvorlage zur Verfügung gestanden und war anschließend durch die Aussagen von vier Mitgliedern des damaligen Gremiums widerlegt worden. Auch das von ihm dazu gefertigte Protokoll weist deutliche Ungereimtheiten auf.

Außerdem hatte er damals gesagt, ein von ihm selbst beauftragtes viertes Gutachten zur finalen Auftragsvergabe-Sitzung des Kreisausschusses am 10. Februar 2012, das er einen Tag zuvor vom Rechtsamt erhalten hatte, „aus Zeitgründen“ nicht mehr habe lesen und dem Gremium zugänglich machen können.

An den vom Rechtsamts-Juristen Bernhard Hering vorgetragenen Sachverhalt, er habe den Hauptabteilungsleiter sogar noch einmal aus der Sitzung des Entscheidungsgremiums herausholen lassen um ihm die Brisanz einer möglichen Auftragsvergabe an die Firma Lebensform noch einmal zu verdeutlichen, konnte sich Oliver Kumpf nicht mehr erinnern.

Angesichts dieser Sachlage mahnte Staatsanwältin Brigitte Lehmann den Zeugen sehr deutlich zur Wahrheit zu finden: „Ich bin gehalten ein Ermittlungsverfahren gegen Sie einzuleiten.“ Sollte er jedoch seine Aussage korrigieren und den realen Gegebenheiten anpassen, stellte ihm die Anklagevertreterin unter Bekanntgabe des entsprechenden Paragrafen 158 StGB (Berichtigung einer falschen Angabe) Straffreiheit in Aussicht.

Ungeachtet dieses Vorhalts beharrte Kumpf jedoch auf seinen Aussagen aus der vorherigen Sitzung und verdeutlichte einmal mehr seine ureigene exklusive Auffassung der ordnungsgemäßen Auftragsvergabe an die Lebensform GmbH.

Verteidiger bringt Zeugen in Erklärungsnot

Im Nachgang zu diesen Vergabe-Vorgängen kam es dann zu Agenturleistungen im unteren sechsstelligen Bereich, die teilweise allerdings nicht von der OREG als administrativen Auftraggeber an die Lebensform GmbH erteilt worden waren, schlussendlich jedoch von dieser auf Anweisung des damaligen Landrats und Aufsichtsratsvorsitzenden Kübler bezahlt werden mussten.

Ein kurzfristig durch die OREG eingeholtes Rechtsgutachten durch eine namhafte Münchener Kanzlei bestätigte die Zahlungsverpflichtung aufgrund der ohne ordnungsgemäße Vertragsgrundlage erbrachten Leistungen, die dann schlussendlich auch Ende Oktober 2013 beglichen wurden, um die Fördermittel bei der WI-Bank fristgereicht einfordern zu können, wie Marianne Heil, die damalige Leiterin der OREG-Finanzverwaltung dem Gericht darlegte.

Die eigentlich von der Staatsanwältin erwartete Frage an den Zeugen Kumpf, ob von der Kreisverwaltung aus Standortmarketing-Aufträge an Lebensform vergeben worden seien, stellte dann Kübler-Verteidiger Georg Dürig und erhielt die Antwort: Nein, denn schließlich hätten Kreisausschuss und Kreistag nach dem Beschluss zur Auftragsvergabe vom 10.02.2012 nichts mehr mit der Auftragserteilung und Vergabe der Mittel zu tun gehabt.

Mehrere Zeugen erinnern sich an andere Vorgänge

In diesem Zusammenhang bleibt festzuhalten, dass es jedoch unstrittig gerade der damalig Landrat Kübler als Vorsitzender des Kreisausschusses war, der seinem Freund und Lebensform-Chef Johannes Kessel den Auftrag mündlich erteilte.

Auch die Aussagen von Jürgen Walther, Gabriele Quanz und Meike Mayer sprechen ebenfalls von anderen Vorgängen: Unabhängig voneinander berichteten die Zeugen von ständigem Kontakt mit der Kreisverwaltung, insbesondere mit dem angeklagten Ex-Landrat und dem Hauptabteilungsleiter.

„Johannes Kessel antwortete ausweichend und hinhaltend“

Meike Mayer war von Ende März 2013 etwa für ein halbes Jahr als Bereichsleiterin der Abteilung Wirtschaftsförderung Nachfolgerin der degradierten Gabriele Quanz (siehe dazu FACT-Beitrag unter: www.de-fakt.de/bundesland/hessen/odenwaldkreis/details/?tx_ttnews)

Diesem Aufgabenfeld sei mit ihrer Amtsübernahme auch die Abteilung Regionalförderung des früher zuständigen Thomas Disser zugewiesen worden. In der Folge sei sie vom externen Lebensform-Inhaber Johannes Kessel in ihr Aufgabenfeld eingewiesen worden, insbesondere dahingehend, wie das Standortmarketingkonzept umzusetzen wäre.

Auf ihre mehrfachen Forderung an Kessel einen für eine beidseitige ordnungsgemäße Aufgabenerfüllung unabdingbaren schriftlichen Vertrag zu schließen, habe dieser stets „ausweichend und hinhaltend“ reagiert, oft auch einen vom Rechtsamt des Odenwaldkreises ausgearbeiteten und mehrfach angepassten Vertragsentwurf kommentiert: „So geht’s gar nicht!“.

„Es war nichts Greifbares, finale Lösungen gab es nicht“

„Das Ganze war ein umständliches, komplexes Gebilde“, sagte Mayer. Auch sei ihr aufgefallen, dass das dem Odenwaldkreis von Lebensform verkaufte Logo zuvor schon existiert habe. Vor diesem Hintergrund habe sich ihr die Frage gestellt, wie man die Marke für den Odenwaldkreis denn schützen könne, zumal auch die Rechte nicht klar abgegrenzt gewesen seien.

„Auf mein Drängen hin, haben wir dann für Teilleistungen Angebote angefordert. Kessel sagte jedoch, wir bräuchten keine Angebote, er wollte nur schriftliche Auftragsbestätigungen.“ Es seien in der Folge zwar Entwurfs-Angebote mit mehrfachen Aktualisierungen vorgelegt worden, „nicht jedoch finale Angebote mit exakten Preisen, es war nichts Greifbares, finale Lösungen gab es nicht“.

„Es gibt genügend finanziellen Puffer, und das wird an anderer Stelle geklärt“

Als sie Johannes Kessel auf das limitierte Budget angesprochen habe, hätte er ihr erklärt, die ursprüngliche Kalkulation reiche nicht aus, denn es sei alles viel aufwendiger als geplant. Es gebe allerdings auch noch genügend finanziellen Puffer, und die Angelegenheit würde außerdem „an anderer Stelle geklärt“. Meike Mayer berichtete auch von unklaren, handschriftlich eingetragenen Preisen, die sie in einem Ordner entdeckt habe.

Nicht in der OREG sei über die Ausgestaltung des Standortmarketing-Konzepts entschieden worden, vielmehr habe ausschließlich der externe Johannes Kessel erklärt, „wie das Standortmarketing zu handeln ist“.

„So will ich nicht weitermachen, die Angelegenheit wird mir zu gefährlich“

Auch habe sie „ständig in enger Abstimmung mit Herrn Kumpf im Landratsamt gestanden“. Allerdings sei nach der öffentlichen Präsentation des Konzepts im Juni 2013 in Reichelsheim „nicht mehr viel passiert“. Sie habe dann für sich entschieden: „So will ich nicht weitermachen, die Angelegenheit wird mir zu gefährlich.“

Auf ihren Vorstoß hin sei sie dann aus dem Wirtschaftsservice der OREG wieder ausgeschieden und auf ihre frühere Arbeitsstelle im Regionalmanagement zurückgekehrt ehe ihr im Oktober 2013 dann gekündigt worden sei.

Zum nächsten Verhandlungstag am Montag, 28. August, werden auf Antrag der dreiköpfigen Verteidigung Küblers noch einmal alle Kommunalpolitiker, die zum Zeitpunkt der Auftragsvergabe am 10. Februar 2012 dem Kreisausschuss angehörten, geladen. Dabei soll geklärt werden, ob die warnenden Hinweise des hauseigenen Rechtsamts vorgelegen haben. Weitere Zeugen sollen dann am Dienstag, 12. September, sowie am 4. Oktober gehört werden.