KOMMENTAR: Trübt Staub auf den Akten den Blick auf die Fakten?
Was lange währt, wird endlich gut. An dieses Sprichwort könnte sich Dietrich Kübler erinnert gefühlt haben, als Lothar Happel, der Vorsitzende Richter der 8. Kleinen Strafkammer des Landgerichts Darmstadt, am Donnerstag gleich zu Beginn der Berufungsverhandlung im Strafverfahren gegen den früheren Landrat des Odenwaldkreises den Prozessbeteiligten anbot, das Strafverfahren gegen Zahlung einer Geldbuße einzustellen.
Gut vier Jahre nach Küblers erstinstanzlicher Verurteilung vor dem Michelstädter Strafgericht zu siebenmonatiger Haftstrafe auf Bewährung und 25.000 Euro Geldbuße wegen erwiesener Untreue sieht Happel den Angeklagten eines „Fehlverhaltens im Rahmen eines Vergabeverfahrens schuldig“.
Er hegt jedoch erhebliche Bedenken bezüglich des staatsanwaltschaftlichen Untreuevorwurfs, weshalb er aus prozessökonomischen Gründen des Strafverfahren am liebsten schon beim ersten von vorläufig zwölf angesetzten Prozesstagen beendet hätte.
Außerdem könne sich ja angesichts der aktuellen Corona-Inzidenzen jederzeit einer der Prozessbeteiligten infizieren und das Verfahren weiter verzögern, nannte der Vorsitzende einen für ihn zusätzlich relevanten Grund für die Einstellung des Verfahrens gegen eine Geldbuße.
Beim Angebot der Höhe dieser Geldbuße dürften sich die Prozessbeobachter auf einen türkischen Bazar versetzt gefühlt haben. Nannte Happel zunächst 16.000 Euro als angemessen, ließ er zum Abschluss des ersten Prozesstags gar über „Rabatte“ mit sich reden und reduzierte sein Erstangebot auf 12.000 bis 15.000 Euro.
Und während Kübler-Verteidigerin Andrea Combé signalisierte, ihr Mandant sei mit der erstgenannten Geldbuße einverstanden, erklärte sie eine solche in Höhe von 10.000 Euro für angemessen, auch wenn sie grundsätzlich noch immer einen Freispruch präferiere.
Durchaus möglich, dass den Vorsitzenden Richter auch ein schlechtes Gewissen plagte, als er sich zum Prozessauftakt für die vierjährige Wartezeit bis zum Beginn des Berufungsverfahrens und die damit verbundene „psychische Belastung des Angeklagten“ entschuldigte.
So könnte die rechtliche Wertung der im erstinstanzlichen Strafverfahren vor dem Amtsgericht Michelstadt akribisch herausgearbeiteten und durch zahlreiche Zeugen belegten Fakten im gerade begonnenen Berufungsverfahren unter massiver vierjähriger Staubansammlung auf den relevanten Tatbeständen getrübt worden sein.
Denn selbst unter Berücksichtigung der nach juristischen Grundsätzen zweifellos richtigen Darstellung der Zuständigkeit der Auftragsvergabe durch die Vertretungsberechtigten des Fördermittelnehmers, hier konkret der OREG, bleibt festzuhalten, dass der damalige OREG- Aufsichtsratsvorsitzende Dietrich Kübler die Handlung komplett an sich gezogen und auch selbst den Auftrag an den Geschäftsführer der von ihm favorisierten Agentur Lebensform erteilt hatte.
Ein dem Auftragnehmer von der OREG später vorgelegter schriftlicher Vertrag wurde von diesem niemals unterschrieben, vielmehr berief er sich auf den ihm von Kübler erteilten Auftrag.
Wenn Verteidigerin Combé sicher richtig ausführt, Kübler sei Landwirt von Beruf und kein Jurist, bleibt dennoch die Frage weshalb der Landwirt in Landratsfunktion die mehrfachen schriftlichen wie mündlichen Warnungen der Juristen seines Rechtsamtes missachtete und diese Warnungen dem Entscheidungsgremium Kreisausschuss, dem er damals als Landrat kraft Amtes vorstand, verheimlichte.
Die gegen den damaligen OREG-Geschäftsführer und die Abteilungsleiterin Wirtschaftsförderung der OREG ausgesprochenen Drohungen Küblers runden das Gesamtbild ab. Faktisch hatte Dietrich Kübler mit seinen „Aktivitäten“ bei der Vergabe des Auftrags für ein Standortmarketing-Konzept der OREG-Geschäftsführung deren Handlungszuständigkeit entzogen.
Mehr noch: er degradierte als Aufsichtsratsvorsitzender die eigentlich zuständigen Protagonisten zu Statisten. Wenn Verteidigerin Andrea Combé jetzt wiederholt vortrug, ihr Mandant habe „immer nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt“, dürfte es angesichts der Fakten um Wissen und Gewissen Dietrich Küblers nicht zum Besten bestellt gewesen sein.
Jetzt allerdings könnte der Landwirt, der ausgezogen war, um sich als „Nicht-Jurist“ an der Spitze einer Kreisverwaltung zu beweisen, von einem Vorsitzenden Richter profitieren, der es nach vierjähriger Wartezeit eilig hat einen Prozess zu beenden, weil er sich um die psychische Verfassung des Angeklagten sorgt und sich ängstigt, die Corona-Pandemie könnte die Wartezeit weiter verlängern.
Der aktuell vorliegende Fall könnte durchaus ausreichend Stoff liefern für ein abendfüllendes Programm des >Königlich-bayerischen Amtsgerichts<, einer Fernsehserie früherer Tage mit komödienhaftem Charakter.