Windkraftanlagen: Landrat a.D. Horst Schnur bittet Ministerpräsident Bouffier um Hilfe
Der frühere Odenwälder Landrat Horst Schnur hat dem Hessischen Ministerpräsidenten Volker Bouffier die Besorgnis der Oberzent-Bevölkerung über die geplanten Windräder im Bereich Katzenwinkel dargelegtODENWALD / OBERZENT. - In einem offenen Brief an Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier bittet der frühere Landrat des Odenwaldkreises, Horst Schnur, den Landesvater um Hilfe bei der Freihaltung des zwischen den Oberzent-Stadtteilen Airlenbach, Etzean und Hetzbach sowie der Mossautaler Ortsteile Güttersbach und Hüttenthal im Flurstück des "Katzenwinkel" geplanten Windparks.
Der Wörrstadter Winkraftprojektierer „Juwi“ hat in diesem Landstrich auf dem Gelände des Grafen Louis zu Erbach-Fürstenau fünf Windräder geplant, die auf heftigen Widerstand der regionalen Bevölkerung stoßen.
Schnur erinnert in seinem Brief an die mit kräftiger Unterstützung der Landesregierung zu Jahresbeginn zustande gekommenen Fusion der vier Oberzent-Kommunen Beerfelden, Hesseneck, Rothenberg und Sensbachtal, deren künftige Entwicklung er angesichts einer durch weitere Windräder beeinträchtigten Landschaft im südlichen Odenwaldkreis und dessen Nachbarschaft gefährdet sieht.
Der Grief an den Ministerpräsidenten hat folgenden Wortlaut:
> Sehr geehrter Herr Ministerpräsident Bouffier,
Sie wissen, dass ich mit Ihnen in alter Verbundenheit immer ein ehrliches und offenes Wort gepflegt habe, wie Sie dies in allen Ihren Verlautbarungen als Erwartung gelten lassen.
So wende ich mich heute trotz der hektischen Zeit der Wahlkampf-Auseinandersetzung erneut an Sie in der Angelegenheit der Energiepolitik des Landes Hessen, die den Odenwald nachhaltig berührt.
In der neuen Stadt Oberzent wissen sowohl die Bürger als auch die politisch Verantwortlichen, wie sehr die Unterstützung des Landes bei unserer Gemeindefusion zu würdigen ist.
Wie wir bereits wussten, ist nun der politische Kampf um die Absicherung der Existenz der neuen Stadt in einem hohen Maß an Einvernehmlichkeit im Gange.
Der Beitrag im SPIEGEL 34 vom 18.08 2018, S. 62 „In einem anderen Land“ greift unsere Probleme im strukturschwachen ländlichen Raum des Odenwaldes auf.
Ein besonderes Thema ist die Ansiedlung von Windindustrieanlagen auf dem Höhenrücken „Katzenwinkel“ unserer Stadt in Ansiedlungsnähe und der entsprechenden Fernwirkung.
In diesem Zusammenhang hat unsere Stadtverordnetenversammlung einstimmig, mit wenigen Stimmenthaltungen, eine Übereinkunft im Wegerecht und Leitungstrassierung für den Projektierer und künftigen Betreiber JUWI abgelehnt.
Wir rechnen nun mit einer Klage, der wir uns aber mit allen uns zur Verfügung stehenden rechtlichen Mitteln widersetzen werden.
Die Wind-Industrieanlagen tragen nach unserer Einschätzung entscheidend zur Landschaftszerstörung bei und gefährden die Gesundheit der Bewohner und die Lebensqualität sowie mit allen Aspekten der Verletzung des Arten- und Naturschutzes, des Trinkwasserschutzes und des Denkmalschutzes.
Es entsteht weder ein wirtschaftlicher Nutzen für die Gemeinde noch ein einziger Arbeitsplatz. Einen nachhaltigen Wertausgleich für unsere Rolle im Klimaschutz durch unsere Wälder als CO2-Senke können wir nicht erkennen. Vielmehr wird die fortschreitende Landschaftszerstörung zum weiteren Bevölkerungsschwund beitragen und behindert unsere Planungsziele.
Nun lesen wir, dass die naturnahen Hänge und Höhenzüge entlang des Rheintals und seiner Seitentäler nach der jüngsten Entscheidung des Verwaltungsgerichts Koblenz (AZ: 4 K 748/17.KO) prägend für das dortige Landschaftsbild sind und die geplanten Windenergieanlagen sich darauf negativ auswirken würden.
Eine dem Gericht vorgelegte Sichtachsenstudie spricht von einem sehr hohen Konfliktpotenzial und einer „erheblichen Beeinträchtigung des Landschaftsbildes durch eine technische Überprägung und die visuelle Dominanz der Anlagen“.
Der Blick auf besondere, herausragende und landschaftsprägende Bauwerke und historische Stadtansichten werde der Studie zufolge erheblich gestört.
Dies stellen wir in gleichem Maße in der Stadt Oberzent für das Landschaftlbild und den wichtigen Zusammenhang mit dem einzigartigen in Deutschland noch verbliebenen historischen Beerfelder Galgen, ein herausragendes Monument der deutschen Rechtsgeschichte, dessen Erscheinungsbild besonders erheblich gestört würde, ebenfalls fest.
Des Weiteren lesen wir, dass das Bundesamt für Naturschutz (BfN) in einem mit Mitteln des Bundesumweltministeriums geförderten Forschungsvorhaben „Landschaftsbild und Energiewende“ in einer gerade veröffentlichten Studie zu dem Ergebnis kommt, dass die Landschaftsästhetik beim Ausbau erneuerbarer Energien stärker zu berücksichtigen sei und in den einschlägigen Planungs- und Zulassungsverfahren endlich Beachtung finden muss.
Die BfN-Präsidentin Prof. Dr. Beate Jessel wird bei der Vorstellung der Projektergebnisse zitiert: „Die bisherigen Veränderungen der Landschaft stellen nur den Anfang eines tiefgreifenden Wandels dar, der sich noch verstärken wird, wenn man sich vor Augen führt, dass bis 2050 der weitere Ausbau der erneuerbaren Energien auf einen Anteil von 80 Prozent am Bruttostromverbrauch stattfinden soll. Diese Entwicklung erfordert zukunftsorientierte Lösungen, die dem Schutz der Natur gerecht werden.“
Wir erinnern uns an Ihre im März 2014 in Nordhessen öffentlich getroffene und mehrfach zitierte Aussage, der wir vertrauen, dass Windkraftanlagen in Hessen nicht gegen den Willen der Bevölkerung durchgesetzt und andere Interessen nicht einfach „weggebügelt“ werden dürfen.
Ich muss Ihnen gegenüber nicht unterstreichen, dass die Stadtverordnetenversammlung unserer Stadt Oberzent das repräsentative, demokratisch legitimierte Gremium für den Willen der Bevölkerung ist.
Die Vertreter der Stadt befürchten gemeinsam mit der aufmerksamen Bürgerschaft, dass die Landesplanungsziele für den Ausweis der privilegierten Vorrangflächen für Wind-Industrienlagen im Odenwald weit über die ursprünglich besagten 2 % hinausgehen und sich im Regionalplan Südhessen auf eine unerträgliche Flächengröße von 10 % hin bewegen.
Daher wenden sich der Magistrat und der Stadtverordnetenversammlung gegen den Bau von Windindustrieanlagen in der Oberzent.
Die Stadt Oberzent hat beschlossen, dass sie keine Durchfahrerlaubnis für die Transporte zu den geplanten Standorten der Rotoren erteilen und kein Einvernehmen zu Zuwegungen aller städtischen Flächen erteilen wird. Die Stadt sei sogar bereit, den angedrohten Klageweg in Kauf zu nehmen.
Dem stimmen insbesondere die Vertreter der CDU und die Landtagskandidatin im Odenwaldkreis Sandra Funken ausdrücklich zu, wie ihren Verlautbarungen zu entnehmen ist.
Die Stimmung ist sehr aufgeheizt und ich habe eine derartige angespannte Situation in der Bürgerschaft noch nicht erlebt. Gerade gestern, am Mittwoch, 17. 10. 2018, wurde dies in Beerfelden in der Alten Turnhalle bei der Filmvorführung des Kinofilms „End of Landschaft – wie Deutschland sein Gesicht verliert“ von Autor Jörg Rehmann eindrucksvoll spürbar.
Wenige Tage zuvor war dieser Film in Erbach in drei Kinosälen gleichzeitig im ausverkauften Haus zu erleben.
Bereits jetzt werde, so stellen die Bürger fest, gegen das in der bevorstehenden Volksabstimmung vorgesehene Staatsziel in Art. 26 b verstoßen, wo es heißt: „Die natürlichen Lebensgrundlagen des Menschen stehen unter dem Schutz des Staates und der Gemeinden.“
Nach diesem Staatsziel sei der Staat und die Gemeinden im Rahmen ihrer Zuständigkeit und Leistungsfähigkeit verpflichtet, „zur fortlaufenden Beachtung ihr Handeln nach ihnen auszurichten.“
Es sollte in der Bürgerschaft kein Zweifel darüber aufkommen, dass formulierte und in der Verfassung des Landes Hessen festgeschriebene Staatsziele von den Verantwortungsträgern in der Politik zweifelsfrei eingehalten werden.
Die Besucher stimmten in den Gesprächen im bis auf den letzten Platz gefüllten Saal den kritischen Bürgerinitiativen „Gegenwind“ inhaltlich zu, dass die Zerstörung der Landschaft im Odenwald durch Windindustrie dem ländlichen Raum keinen wirtschaftlichen Nutzen bringe und keine Arbeitsplätze schaffe, was gerade zur Zukunftsentwicklung der neuen Stadt Oberzent von dringender Notwendigkeit sei.
Stattdessen werden die Wälder im Odenwald zu Spekulationsobjekten auf Subventionsbasis, die die Erträge aus den Taschen der kleinen Leute und des Mittelstandes ziehe und in die Töpfe der großen Kapitalunternehmen transferiere, ohne einen Nutzen für das Gemeinwohl sowie die lokale Ökonomie zu hinterlassen.
Der politisch gesteuerte Prozess ohne Bürgerbeteiligung und mit der Entmündigung der Kommunalpolitik entspreche nicht den Prinzipien der Demokratie, sondern den Strukturen des Kolonialismus, ganz im Gegensatz des neuen Verfassungsartikels 64, in dem der Grundsatz der Subsidiarität betont wird.
Ich bitte Sie daher in aller Offenheit sehr inständig, uns dabei behilflich zu sein, den Landschaftscharakter unserer neuen Stadt zu bewahren, damit er für langfristig richtige Planungsziele im Sinne einer ökologischen Gesundheitsregion für die angrenzenden Ballungsgebiete, die weiter wachsen, zielorientiert entwickelt werden kann.
Herzlichen Dank für Ihr Verständnis.
Mit freundlichen Grüßen
Horst Schnur <