Erinnern und nie vergessen
80. Jahrestag: Am 20. März 1942 begann die Deportation von Juden aus Südhessen über den Güterbahnhof DarmstadtODENWALD. - Ein unscharfes Foto zeigt einen Lastwagen mit einem Überseecontainer vor Fachwerkhäusern auf einer kopfsteingepflasterten Straße. Zwei Männer verladen Möbel und Alltagsgegenstände. Der Container ist fast voll.
Um den Lastwagen herum hat sich eine Menschentraube gebildet. Es sieht aus, als seien auch Männer in Uniformen dabei, eine Frau mit Kittelschürze ist zu sehen, Kinder.
Das Bild könnte in vielen hessischen Dörfern aufgenommen sein. Tatsächlich hat sich die Szene Ende der 1930er/Anfang der 1940er Jahren in Schaafheim abgespielt, in der heutigen Wilhelm-Leuschner-Straße 14.
Es war das Haus von Nathan Lehmann, der den Container mit dem belud, was der Familie nach der Pogromnacht noch geblieben war. Es ist wohl die einzige dokumentierte Hausräumung in Hessen.
Die Familie wollte über Holland nach Amerika, doch die Papiere wurden nicht fertig. Nur dem damals 20-jährigen Sohn Manfred gelang die Flucht.
Vater, Mutter und Tochter Luise wurden 1941 nach Schlierbach zur Familie Kahn gebracht, von dort 1942 nach Darmstadt und in Ausschwitz ermordet. Der Name von Nathan Lehmann und seiner Familie findet sich in der Deportationsliste vom 24. März 1942, Darmstadt – Piaski, auf Seite 19.
Vor 80 Jahren begann die Deportation von Juden sowie von Sinti und Roma aus Südhessen und Rheinland-Pfalz über den Güterbahnhof Darmstadt in die Konzentrationslager.
Am 20. bzw. 24. März 1942 wurden insgesamt mehr als 1000 Juden in die Waggons gepfercht. Sie kamen aus den Dörfern und Städten auch unserer Region. Nachbarn waren sie. Und Nachbarn wurden zu Zuschauern oder Mittätern. Widerstand gab es kaum.
Zunächst wurden die Menschen nach Darmstadt gebracht und dort in der Liebig-Schule gesammelt. Beim ersten Transport verschleppten die Nationalsozialisten und ihre Helfer allein 50 Menschen aus dem Gebiet des heutigen Dekanats Vorderer Odenwald.
Ihre Namen und Adressen sind bekannt, fein säuberlich in den Listen vermerkt. Sie lebten in Dieburg, Habitzheim, Messel, Münster, Ober-Klingen, Reichelsheim, Sickenhofen und Schlierbach. Unter den Verschleppten waren neun Kinder und Jugendliche, das Jüngste acht Jahre alt.
Die Initiative „Denkzeichen Güterbahnhof“, in der sich die Wissenschaftsstadt Darmstadt mit dem Landesverband der Sinti und Roma, der Jüdischen Gemeinde Darmstadt und den Bündnissen gegen Rechts in Südhessen zusammengetan haben, laden seit vielen Jahren zu einem Gedenken ein.
In diesem Jahr soll vor allem dazu der Beginn der Deportationen vor 80 Jahren von Darmstadt aus in den Blick genommen werden.
Dieses Gedenken wird am Sonntag, 20. März, 11 Uhr, am Güterbahnhof sein. Der Link zum Stream wird auf der Seite http://denkzeichen-gueterbahnhof.de/ veröffentlicht.
Zu diesem zentralen Gedenken in Darmstadt haben alle südhessischen evangelischen Dekanate an den Orten, aus denen es Deportationen gab, Gottesdienste und Gedenkveranstaltungen initiiert.
Allein im Evangelischen Dekanat Vorderer Odenwald gibt es Gedenkgottesdienste in Dieburg (Pfarrerin Dorothee Benner), Habitzheim (Annette Claar-Kreh), Messel (Pfarrer Albrecht Burkholz), Münster ( Pfarrerin Kerstin Groß), Ober-Klingen (Annette Claar-Kreh), Reichelsheim ( Pfarrerin Charlotte Voß), Schlierbach ( Pfarrerin Margit Binz) und Sickenhofen (Pfarrerin Elke Becker).
Eine Ãœbersicht findet sich auf: www.vorderer-odenwald-evangelisch.de