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Bauleitplanung für Erbacher Südstadt gegen SPD und GRÜNE beschlossen

>Großes Kino< in der Erbacher Parlamentssitzung zu einer Formalie: Beratung der Schöffen-Vorschlagsliste gerät zum Eklat

ERBACH. - Eine Sondersitzung des Erbacher Stadtparlaments war nötig geworden, nachdem zur turnusmäßigen Sitzung zu Monatsbeginn Juni die Frist der zweiten Offenlage der Bauleitplanung für die Südstadt noch nicht abgelaufen war.

Infolge des Zeitdrucks durch den Grundstückskaufvertrag mit dem Investor – dieser sieht vor, dass bis Jahresende 2023 Baurecht geschaffen sein muss (siehe FACT-Bericht unter: www.de-fakt.de/bundesland/hessen/odenwaldkreis/details/?tx_ttnews) - geriet die Sondersitzung zu einem nicht aufschiebbaren Termin.

Und dennoch geriet dieser wichtige Tagesordnungspunkt zur infrastrukturellen Entwicklung der Odenwälder Kreisstadt fast zur Nebensache gegenüber einem zweiten Tagesordnungspunkt, einer eigentlich lediglich abzuhandelnden turnusmäßigen Formalie, der Vorschlagsliste ehrenamtlicher Schöffen, nämlich. Zu dieser Thematik geriet die Sitzung schier zu einem Tollhaus.

Keine Änderungswünsche eingegangen, lediglich Fragen aufgeworfen worden

Zum wichtigsten Punkt der Tagesordnung sagte der Vorsitzende des Bauausschusses, Klaus-Peter Trumpfheller (CDU), während der zweiten Offenlage der Planung seien keine Änderungswünsche mehr eingegangen, lediglich Fragen aufgeworfen worden.

So etwa nach einem möglichen Zenario, wenn der Investor nicht bauen würde, oder nach der Parkplatzsituation für Gäste und Mitarbeiter des Hotels wie auch für Besucher des Ärztehauses und dessen Mitarbeiter. Die Empfehlung des Ausschusses zur Annahme der Verwaltungsvorlage ergab 4 Ja-Stimmen, bei einer Gegenstimme und zwei Enthaltungen.

„Viele Fragen und wenig Antworten“

„Viele Fragen und wenig Antworten“, konstatierte Christa Weyrauch, Fraktionschefin der GRÜNEN. So sei u.a. die Wasserversorgung in dem Gebiet nicht gewährleistet, wie sich auch die Gesamtsituation nicht verbessert habe. Auch hätten sich die GRÜNEN eine Umweltverträglichkeitsprüfung gewünscht, sagte Weyrauch.

Dem widersprach Michael Gänssle, Fraktionschef der ÜWG und Vorsitzender des Haupt- und Finanzausschusses. Die Wasserversorgung sei ausreichend, sagte er. Auch sei die jetzt zur Disposition stehende Fläche bereits bebaut, und somit erfolge keine Änderung, was ein Umweltgutachten entbehrlich mache.

„Das ist kein Verzicht auf eine solche Prüfung.“ Selbst die heikle Parkplatzsituation sah Gänssle entspannt: „Es liegt im ureigensten Interesse des Betreibers dies zu lösen.“

„Wollt ihr ein Hotel oder nicht, ist nicht die Frage“

„Wollt ihr ein Hotel oder nicht, ist nicht die Frage“, sagte Gernot Schwinn, Fraktionschef der SPD. Er wolle hier keine Zuspitzung zulassen, denn selbstverständlich wünsche man sich auch seitens der Sozialdemokraten ein attraktives Hotel für Erbach.

„Ein Ärztehaus wird allerdings unsere Versorgungssituation nicht verbessern“, sagte Schwinn und sah hier „das Risiko zu einer Ruine“. Insbesondere rügte er die schlechte Ausgestaltung des städtischen Vertrags mit dem Investor.

Acht Gegenstimmen der GRÃœNEN sowie der SPD und vier Enthaltungen aus der SPD

Nach Festlegung der Bauleitplanung „sind wir bei Genehmigung der Baupläne des Investors durch die Baubehörde außen vor, können dann nur zustimmen“, konstatierte Gernot Schwinn.

Einen Widerspruch in dieser Aussage sah Michael Gänssle: „Wenn ich ein Hotel will, dann muss ich eine Fläche, die es bisher dafür nicht gab, zur Verfügung stellen.“ Er warb vielmehr dafür, „sich dem nicht entgegen zu stellen“.

Für die Verwaltungsvorlage zur Bauleitplanung in der Erbacher Südstadt votierten 13 Parlamentarier aus den Fraktionen von ÜWG, CDU, FDP und SEA, bei acht Gegenstimmen der kompletten GRÜNEN-Fraktion sowie der SPD und vier Enthaltungen aus den Reihen der SPD.

Unrühmliches Highlight bei Verabschiedung der Schöffen-Vorschlagsliste

Das unrühmliche Highlight der Sitzung folgte zu einer alle fünf Jahre turnusmäßig anstehenden Formalie, der Schöffen-Vorschlagsliste. Die Brisanz hatte sich jedoch schon im Vorfeld abgezeichnet.

Der Tagesordnungspunkt war bereits in der vorgeschalteten Haupt- und Finanzausschusssitzung zur turnusmäßigen Parlamentssitzung zu Monatsbeginn Juni thematisiert worden und schon nach damaligen Dissonanzen zunächst von der Tagesordnung abgesetzt worden, um rechtliche Stellungnahmen einzuholen.

Hintergrund war, der Magistrat hatte vier von 16 Bewerbern von der Liste gestrichen und dem Parlament somit vier Bewerber der Wahl durch den Souverän vorenthalten, die alle die gesetzlich verankerten Kriterien zur Bewerbung erfüllt hatten.

Kriterien vom Innenministerium klar definiert

Diese Kriterien benannte Chris Hörnberger, Pressereferent im hessischen Innenministerium, auf FACT-Anfrage wie folgt: „Die Gemeinde muss in jedem fünften Jahr eine alle Gruppen der Bevölkerung nach Geschlecht, Alter, Beruf und sozialer Stellung angemessen berücksichtigende Vorschlagsliste für Schöffen aufstellen.

Für die Aufnahme in die Liste ist die Zustimmung von zwei Dritteln der anwesenden Mitglieder der Gemeindevertretung erforderlich, mindestens jedoch der Hälfte der gesetzlichen Zahl der Mitglieder der Gemeindevertretung.

Die Gemeindevertretung hat bei der Aufstellung der Vorschlagsliste darauf zu achten, dass nur geeignete Bewerber in die Vorschlagslisten aufgenommen werden, die die hohen Anforderungen des Amtes erfüllen. Ungeeignete Personen sind nicht in die Vorschlagslisten aufzunehmen.

Die Auswahl soll nach dem Prinzip der allgemeinen Repräsentanz erfolgen. Religiosität oder Weltanschauung/politische Einstellung sollen nicht die Eignung zum Schöffen beeinträchtigen. Etwas anderes gilt erst dann, wenn der Schöffe die freiheitliche demokratische, rechts- und sozialstaatliche Ordnung ablehnt und bekämpft.

In diesen Fällen kann es an der persönlichen Eignung für das Schöffenamt fehlen und eine vertiefte Prüfung der Geeignetheit der Kandidatin/des Kandidaten erforderlich sein.“

Der Vorprüfung der Verwaltung obliegt die Feststellung, ob die Bewerbenden die Alterskriterien (mindestens 25, höchstens 69 Jahre bei Dienstantritt) erfüllen, nicht vorbestraft sind, Ortsbürger und der deutschen Sprache mächtig sind. Im Falle einer Bewerber-Ablehnung durch den Magistrat ist diese zu begründen.

„Der Magistrat hat versucht, die Rechte der Stadtverordneten zu beschneiden“

Diese Rechtsauskunft lag zu Sitzungsbeginn auch von der Kommunalaufsicht, dem Landratsamt des Odenwaldkreises vor. Für diese hatte sich Detlef Röttger geäußert: „Ich vertrete die Auffassung, dass in diesem Fall den Stadtverordneten die Namen aller eingegangenen Bewerbungen mitzuteilen sind, um diesem Gremium unter Umständen eine Änderung oder Ergänzung der Abstimungsvorlage zu ermöglichen.“

Bürgermeister Dr. Peter Traub erläuterte, der Magistrat habe sich in drei Sitzungen ausführlich mit der Thematik beschäftigt und sei einstimmig von der Richtigkeit seines Handelns überzeugt. Er beantragte den Ausschluss der Öffentlichkeit zu dieser Debatte, was ihm bei nur neun Pro-Stimmen vom Parlament versagt wurde.

Die GRÜNE-Fraktionchefin Christa Weyrauch sprach gar von widerrechtlichem Magistratshandeln: „Der Magistrat hat versucht, die Rechte der Stadtverordneten zu beschneiden.“

„Da gibt es keine Möglichkeit jemanden auszugrenzen!“

Dies sah Peter Traub anders: „Man kann es so und so sehen“, interpretierte der Bürgermeister seine Rechtsauffassung. Stadtverordnetenvorsteher Antonio Duarte widersprach und positionierte sich klar: „Da gibt es keine Möglichkeit jemanden auszugrenzen!“ Das sei das eindeutige Ergebnis der ihm vorliegenden Rechtsauskünfte.

In dieser emotional ohnehin aufgeladenen Stimmung kam der Vorschlag von Christa Weyrauch für einen 17. Bewerber on top und führte zum Eklat. Der Bewerber sei Neubürger in Erbach, habe ausländische Wurzeln und erfülle die gesetzlichen Kriterien, sagte die GRÜNEN-Chefin.

Tumultartige Szenen ohne jegliche Rededisziplin

Tumultartige Szenen ohne jegliche Rededisziplin folgten mit dem Tenor, man wolle sich damit nicht mehr befassen. Nach Weyrauchs Entgegnung, sie werde dem Bewerber mitteilen, dass man nicht einmal über seine Zulassung abstimmen wolle, verließ ÜWG-Chef Michael Gänssle temporär den Sitzungssaal.

Christa Weyrauch zog ihren Erweiterungs-Antrag schließlich zurück. Nach einer Sitzungsunterbrechung beschwichtigte Bürgermeister Traub: „Wir beschädigen uns alle.“

Nicht die vom Magistrat vorgeschlagene 12er-Liste, sondern die Liste der eingegangenen 16 Bewerbungen solle zur Abstimmung gelangen. Dies allerdings mit dem Zusatz, die Liste entspreche nicht dem Vorschlag des Magistrats.

Darauf verständigte sich schließlich das Gremium mit abschließend überwältigender und fast versöhnlicher Mehrheit bei nur jeweils einer Gegenstimme und Enthaltung.