NEWS

„320 Seiten geballtes Wissen im JubilĂ€ums-Jahrbuch“

Dank an die „GrĂŒndervĂ€ter des ,gelurt‘“: In der JubilĂ€umsausgabe sind Horst Schnur (links) und Georg Dascher (rechts) wieder als Autoren vertreten. Vor 25 Jahren waren sie maßgeblich an der Entstehung der Reihe beteiligt. DafĂŒr dankte ihnen Landrat Frank Matiaske. Foto: Saskia Hofmann/Kreisverwaltung

Landrat stellt „gelurt 2019“ vor und dankt Autoren + + + Publikation ab sofort erhĂ€ltlich

ODENWALDKREIS / ERBACH. - „Nie wieder Krieg“. Deutlich sind die Worte auf dem Transparent zu lesen, das auf einem kleinen Lastauto vor dem Rathaus von Michelstadt steht.

Auf der LadeflĂ€che des Wagens und vor dem Auto stehen mehr als 40 MĂ€nner, unter ihnen BĂŒrgermeister Heinrich Ritzel und der Beigeordnete Karl Neff. Sie gehören zum „Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold“, einer 1924 gegrĂŒndeten Organisation zum Schutz der Weimarer Republik.

Aus dem Jahr 1925 stammt das Gruppenfoto vor dem Rathaus, das als Titelbild fĂŒr das Jahrbuch „gelurt 2019“ ausgewĂ€hlt worden ist. Landrat Frank Matiaske stellte die Publikation am Mittwoch, 5. Dezember, im Landratsamt vor.

Das Foto gehört zum Beitrag von Heidi Haag „Heinrich Ritzel: Der Stratege und die Nazis“. Eindrucksvoll zeichnet die Autorin das Wirken des SPD-Politikers nach und schildert, was sich um ihn und seine Mitstreiter herum zwischen 1925 und 1933 zutrug.

In seinem Vorwort geht Matiaske auf diesen Beitrag ein. „Er bietet viel Stoff zum Nachdenken“, Ă€ußert er mit Blick auf den Einsatz Ritzels fĂŒr die Demokratie und manchen aktuellen Entwicklungen in Deutschland und anderswo, die Anlass zur Sorge gĂ€ben.

Bei der Vorstellung des „gelurt“ machte Matiaske darauf aufmerksam, dass sich die Herausgabe des Buches in diesem Jahr zum 25. Mal jĂ€hrt. „Diese JubilĂ€umsausgabe ist das schwerste ‚gelurt‘ aller Zeiten.

Sie umfasst – dank der fleißigen ehrenamtlichen Autorinnen und Autoren – 320 Seiten geballtes Wissen. Und trotzdem ist es dem Kreis und auch mir persönlich ein Anliegen, dass sie zum selben Preis verkauft wird wie auch die Ausgabe vor ihr, denn sie soll in möglichst vielen BĂŒcherregalen ein Zuhause finden“.

Insgesamt umfasst das Buch 29 Artikel von fĂŒnf Autorinnen und 22 Autoren. Fast alle waren der Einladung ins Landratsamt zur Vorstellung gefolgt. Redigiert und herausgegeben wurde das Buch wieder von Anja Hering, der Leiterin des Kreisarchivs.

Auch sie blickte bei der Vorstellung des Jahrbuchs auf dessen AnfĂ€nge in den Jahren 1993 und 1994 zurĂŒck und dankte vor allem Georg Dascher und Horst Schnur – den, so Matiaske, „GrĂŒndervĂ€tern des ‚gelurt‘“.

Das Wort aus dem OdenwĂ€lder Dialekt bedeutet so viel wie „genau hingesehen“. Hering, die schon damals Kreisarchivarin war, erinnerte daran, dass es nicht leicht gewesen sei, den Namen der neuen Publikation durchzusetzen.

„Aber die OdenwĂ€lder HartnĂ€ckigkeit und Beharrlichkeit gewannen, so dass wir heute das 25. Jahrbuch fĂŒr Kultur und Geschichte vorstellen können.“

Die JubilÀumsausgabe kann ab sofort im Buchhandel und im Kreisarchiv in Erbach erworben werden. Im Handel kostet es 18 Euro, Abonnenten zahlen 15,50 Euro.

 

DIE AUTOREN:

Außer Heidi Haag, die nicht nur ĂŒber Heinrich Ritzel, sondern auch ĂŒber das Forscherleben des „gelurt“-MitbegrĂŒnders Georg Dascher geschrieben hat (Anlass ist dessen 90. Geburtstag), haben folgende Autoren fĂŒr das „gelurt“ 2019 BeitrĂ€ge verfasst:

Georg Dascher widmet sich dem Kanzley Protokoll 1652/53, das im
GrĂ€flich Erbach-FĂŒrstenauischen Archiv in Steinbach liegt Festgehalten sind KaufvertrĂ€ge, hier werden die Schweizer KĂ€ufer vorgestellt. Familienforscher wird dies freuen.

Egbert Striller stellt als Zeichner eine allumfassende Geschichte der Edelkastanie vor, die Baum des Jahres 2018 ist. Er vergisst nicht, vor den Folgen des Klimawandels zu warnen. Außerdem macht der Anmerkungen zur Fichte; die Skizzen und Notizen zu diesem Artikel entstanden vorwiegend wĂ€hrend der ehrenamtlichen Betreuung des Naturschutzgebietes Bullauer Eutergrund.

Thomas Seifert hat ĂŒber den Regisseur und Drehbuchautor Peter Sehr (1951-2013) aus Bad König geschrieben und stellt dem Leser dessen Entwicklung und filmisches Werk vor, das in enger Zusammenarbeit mit Sehrs Ehefrau Marie Noelle entstanden ist.

Brigitte Diersch nimmt den Leser mit auf eine Zeitreise vom 17. ins 21. Jahrhundert und beschreibt die baulichen VerÀnderungen am und auf dem Erbacher Marktplatz.

Horst Schnur befasst sich damit, ob Einhard langobardische Baumeister zum Bau seiner Basilika nach Steinbach geholt hat. Man kann annehmen, dass auf der Baustelle neben dem damaligen OdenwĂ€lder Dialekt eine vorwiegend langobardische SprachfĂ€rbung zu hören war – mit Worten wie sculthais (Schultheiß) und launegild (Lohngeld).

Peter W. Sattler widmet sich der Reformation in der ehemaligen Kurpfalz und ihren Auswirkungen im Odenwald und zieht als Beispiele die Orte Wald-Michelbach, Grasellenbach und Abtsteinach heran.

Antje Vollmer geht der Zeit des DreißigjĂ€hrigen Kriegs im Odenwald nach. Der Odenwald war zwar kein unmittelbares Kriegsgebiet, aber er war Durchzugsgebiet der vielen Kriegstruppen, was genauso schlimm war.

Ann-Kathrin Weber gibt einen Einblick in einen Briefwechsel der AdelshĂ€user Erbach und Löwenstein gut 100 Jahre nach dem WestfĂ€lischen Frieden. Dieser hatte zwar vieles geregelt, dennoch gab es zwischen den HĂ€usern Rechtsstreitigkeiten, so dass man sich 1761 Rat bei der Theologischen und Juristischen FakultĂ€t in TĂŒbingen einholte.

Heidi Banse nimmt sich die MichelstĂ€dter KirchenbĂŒcher vor und stellt fest, dass es nach dem DreißigjĂ€hrigen Krieg und dem Friedensschluss keinen ewig wĂ€hrenden Frieden gab. Die Bevölkerung musste immer wieder durchziehende Truppen unterstĂŒtzen und versorgen, obwohl sie sich oft kaum selbst ernĂ€hren konnte. UnterstĂŒtzt wurde sie in der Bildbearbeitung von ihrem Enkel Lukas Schnellbacher.

Werner Heil hat seinen Beitrag mit „Keiner war schon immer da – Woher kamen die alten OdenwĂ€lder?“ ĂŒberschrieben. Er kommt zu dem Schluss, dass auch im Odenwald mehr Menschen den DreißigjĂ€hrigen Krieg ĂŒberlebten, als aus den bekannten VolkszĂ€hlungen hervorgeht. Bei diesen ZĂ€hlungen wurden nĂ€mlich nur die erwachsenen MĂ€nner berĂŒcksichtigt. Frauen, Jugendliche und Kinder wurden nicht erfasst.

Thomas Steinmetz informiert ĂŒber die FrĂŒhgeschichte von Kirchspiel und Zent Kirch-Brombach und wirft einen Blick auf die Zeit vor dem 13. Jahrhundert.

Ernst Hieronymus berichtet ĂŒber „Ein Dorf im Widerstreit rivalisierender Herrschaften“ und schaut auf das obere Gersprenztal, das ĂŒber mehrere Jahrhunderte im Interessengebiet rivalisierender Standesherren lag - teils zum Nutzen der Untertanen, meistens aber zum Schaden der Bevölkerung.

Johann Heinrich Kumpf lĂ€sst den Leser an einem Strafprozess in Darmstadt im Jahr 1853 teilhaben, bei dem Anna Maria und Philipp Vogt fĂŒr einen Mord zum Tode verurteilt wurden. Die Hinrichtung, die erste hinter geschlossenen Mauern durchgefĂŒhrte Exekution in der Provinz Starkenburg, fand mit einer eigens aus Mainz abgeholten Guillotine statt.

Ludwig Fertig beschreibt in „Ein OdenwĂ€lder Lehrer und Literat: Johann Luft (1798-1880) aus Heubach“ das schwierige Leben eines Lehrers, der seinen Beruf letztendlich aufgibt und sich der Schriftstellerei hingibt.

Joachim JĂ€nsch macht sich „Gedanken zur Schulschrift im deutschen Sprachraum“. Anlass dafĂŒr gaben sowohl die vielfĂ€ltigen Erinnerungen an die Wiederkehr des hundertsten Todestages von Ludwig SĂŒtterlin im Jahre 2017 wie auch die Diskussion darĂŒber, ob GrundschĂŒler ĂŒberhaupt noch in eine Schreibschrift erlernen sollten.

Klaus Wöber beschreibt in „Johann Adam Imgrund (1810-1881) – Legende und Wahrheit
Ein Beitrag zur Schulgeschichte von Haingrund“ die schwierigen UmstĂ€nde eines damaligen Lehrerlebens. Imgrund ist aber mit Leib und Seele Lehrer und stellt sich den Herausforderungen. So errichtet er sogar ein Schullokal und vermietet dies der armen Gemeinde.

Heinz-Otto Haag beleuchtet ein jĂŒdisches Schicksal: das Leben von Arno Bick und seiner Familie. Er war Lehrer in Michelstadt und leitete auch ein Knabenpensionat bis 1933. Die Familie Bick ĂŒberlebte den Holocaust. 1959 starb Arno Bick in Tel Aviv, 1963 seine Frau Rosa Regina. Haag konnte sich auch auf Familienunterlagen stĂŒtzen, da er in stetigem Kontakt mit den Nachfahren steht.

Philipp und Wolfgang Götz gehen den HintergrĂŒnden eines Flugzeugabsturzes bei Bullau im MĂ€rz 1945 nach. Die verunglĂŒckte Maschine war eine Heinkel He 111 der Transportgruppe 30, die verwundete Wehrmachtsangehörige, Angehörige der Wlassow-Armee sowie eine große Menge Post ausgehend von einer der Kanalinseln ĂŒber Saint-Nazaire nach Deutschland, transportieren sollte.

Stefan Toepfer von der Pressestelle des Odenwaldkreises beschreibt, dass die 68er-Bewegung auch im lĂ€ndlichen Odenwald stattfand und schildert Beispiele aus dem Gymnasium Michelstadt und bei den Jungsozialisten. Auch das Kloster Höchst spielte eine wichtige Rolle. Außerdem hat er den JahresrĂŒckblick der Kreisverwaltung verfasst.

Werner König widmet sich dem Umgang mit der Geschichte der jĂŒdischen MitbĂŒrger nach dem Zweiten Weltkrieg in Michelstadt. Der Autor war Magistratsmitglied und kann aus erster Hand berichten, wie sich die Erinnerungskultur entwickelte.

Rolf Reutter schreibt ĂŒber die Ober-Finkenbacher Kammfabrik. Ihr GrĂŒndungsdatum ist bisher nicht bekannt, sie erscheint um 1770 als PapiermĂŒhle. Der Autor schildert die Geschichte der Kammfabrik und ihrer ehemaligen Besitzer.

Ulrich Herrmann entfĂŒhrt den Leser abermals in die bunte und Vielfalt des OdenwĂ€lder Dialektes. Zum Beispiel zum Wort „bauf“, das mehrere Bedeutungen hat, „prompt“, „ohne großen Aufwand“ oder „dauernd“. Auch OdenwĂ€lder Originale werden vorgestellt, so der „Kalennerabreißer Leo aus Höchst“, dessen ganzer Lebensinhalt sein traditioneller tĂ€glicher Gang zu ihm wohlgesinnten Haushalten war, um dort akribisch die meist seinetwegen angeschafften Tageskalender abzureißen.

Horst Wendel widmet sich der spannenden Frage „Goldmachen in Erbach?“ und schreibt ĂŒber die „Transmutation von Silber in Gold“, fĂŒrwahr eine kuriose Geschichte aus dem 18. Jahrhundert mit vielen Unstimmigkeiten.

Norbert Allmann beschreibt die Geschichte der StadtmĂŒhle von Bad König bis zu ihrem Umbau in ein modernes Wohnhaus und die Geschichte ihrer Besitzer. Das RĂ€dergelege mit KammrĂ€dern und Wellbaum sowie die Transmissionswellen sind im Erdgeschoss des MĂŒhlenbereiches noch erhalten und erinnern an den einstigen MĂŒhlenbetrieb.

Karl-Ludwig Schmitt stellt in der BĂŒcherecke wieder allerlei Lesenswertes vor.