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Gemeinschaftspraxis als Modell für langfristige Versorgungssicherheit

Bernhard Wagner (links) und Jan Bruun bilden in Erbach eine überörtliche Berufsausübungsgemeinschaft.

GVZ Oberzent bildet mit Hausarztpraxis in Erbach überörtliche Berufsausübungsgemeinschaft (Gemeinschaftspraxis mit zwei Standorten)

OBERZENT / ERBACH. - In medizinischen Fragestellungen ist zu 90 Prozent der Hausarzt die erste Adresse. Vielleicht eine gewagte Aussage, aber für Bernhard Wagner steht außer Frage, dass dies so ist und gut ist.

Neben einigen Spezialisierungen ist der Wahl-Odenwälder mit Bergsträßer Wurzeln in erster Linie Facharzt für Allgemeinmedizin und dies aus Leidenschaft.

Der 44 Jahre alte Mediziner praktiziert seit zwei Jahren am Gesundheitsversorgungszentrum Oberzent (GZO) und demnächst auch in einer Praxis in Erbach, in der es ansonsten aus Altersgründen schon bald eine Versorgungslücke gegeben hätte.

Möglich macht dies eine sogenannte überörtlichen Berufsausübungsgemeinschaft; umgangssprachlich auch Gemeinschaftspraxis mit zwei Standorten genannt.

Die Patienten von Nay-Je Hübner brauchen sich keine Sorgen machen, dass sie im neuen Jahr vor verschlossenen Türen stehen werden.

Die Weichen sind bereits gestellt, wenn sie zum Jahreswechsel ihre Tätigkeit in der Gemeinschaftspraxis mit ihrem Ehemann, dem Kardiologen Gerhard Hübner, in der Gerhart-Hauptmann-Straße in Erbach beendet.

Neu mit im Boot ist Jan Bruun, ebenfalls Allgemeinmediziner. Es liegen erst wenige Wochen zurück, dass der ebenfalls an der Bergstraße geborene 33-jährige mit seiner Familie aus Frankfurt nach Michelstadt gezogen ist, um gemeinsam mit Wagner die Kassenzulassung der Praxis von Frau Hübner zu übernehmen.

Im Gespräch mit der Presse geben die beiden Mediziner sich optimistisch, dass der eingeschlagene Weg weit über eine reine Wiederbesetzung einer Zulassung hinausgeht.

„Die Behandlungsanforderungen werden immer mannigfaltiger“, sagt Wagner, diese reichten bis zu Ernährungsberatung und Fragen zu Rentenansprüchen. Insgesamt sei es immer wichtiger, im fachlichen Austausch miteinander zu stehen, wovon besonders der Patient profitieren wird.

Sie werden abwechselnd an beiden Standorten behandeln und damit nicht nur mehr Patienten ihr Können zur Verfügung stellen, sondern auch bei Bedarf die berühmte zweite Meinung gleich mitliefern.

Inbegriffen ist die gegenseitige Vertretung bei Krankheit, Urlaub und Fortbildung, was bei ausbleibender Lösung bekanntlich das klassische Landarztmodell so unattraktiv unter jungen Medizinern hat werden lassen.

Da beide erst noch früh am Anfang beziehungsweise in der Mitte ihres Berufslebens stehen, senden sie der Bevölkerung gegenüber und den Verantwortlichen in der behördlichen Medizin auch ein Signal aus, das für eine langfristige Versorgungssicherheit spricht.

Bruun führt die Zusatzbezeichnung Notfallmedizin und verfügt über zusätzliche Qualifikationen in den Bereichen Akupunktur und Reisemedizin.

„Neben einer chirurgischen Weiterbildung in der Viszeral- und Gefäßchirurgie, arbeitete ich die letzten Jahre in einer internistischen Abteilung für Gastroenterologie und Infektiologie“, stellt er sich vor.

Wagner ist ferner Notfall- und Ernährungsmediziner, Akademischer Jagdwirt und bietet als Flugmedizinischer Sachverständiger auch Leistungen wie flugmedizinische Tauglichkeitsuntersuchungen an.

Außerdem: „Mit der Ausweitung der Akademischen Lehrpraxis der Ruprecht-Karls-Universität auf beide Standorte sind wir somit nahe dran an der aktuellen Forschung und Lehre“, unterstreicht Wagner.

Gerne gebrauchte Begriffe wie Vernetzung und kurze Wege füllen sie mit Leben beispielsweise mit der ebenfalls in der Odenwälder Kreisstadt angesiedelten Kardiologischen Praxis von Prof. Dr. med Michael Weber und Dr. med Michael Stanisch, was im Bedarfsfall zu früheren Behandlungsterminen beitragen kann.

Vom Zeitgewinn durch die Vernetzung beider Praxen soll der Patient auch unmittelbar profitieren. „Wenn vom Patienten gewünscht, können wir jederzeit von beiden Standorten aus auch auf seine Daten zugreifen und damit rascher Überweisungen und Rezepte ausstellen“, stellt Wagner vor, wie moderne Technik die Arbeit einer überörtlichen Berufsausübungsgemeinschaft unterstützt.

Hierzu zählt auch die Ausstattung beider Praxen mit erfahrenen Medizinischen Fachangestellten, die den Hausarzt durch eigenständige Hausbesuche entlasten.

Die beiden Mediziner bedienen sich dabei eines Modells, der Versorgungsassistentin in der Hausarztpraxis (kurz VERAH), das auch Videokonferenzen beim Patienten in dessen häuslicher Umgebung einbezieht.

Wie und weshalb Wagner auf neue Wege und Vernetzung in seiner Branche setzt, zeichnet sich auch dadurch ab, dass er Anfang Dezember in den Bezirksvorstand des hessischen Hausärzteverbands gewählt wurde.

„Zusammen mit Frau Weigand-Honecker vertrete ich die Mitglieder des Verbands bei Fragen der Berufspolitik und Interessenvertretung“, sagt Wagner, nicht ohne einen kritischen Hinweis zu dem aktuell alles überschattende Thema hinzuzufügen:

„Die Notwendigkeit hausärztlicher Betreuung ist prinzipiell klar, die Wertschätzung in der Schulterung der Hauptlast der Pandemie durch Haus- und Kinderärzte wird jedoch nicht ausreichend in der Öffentlichkeit durch die politisch Meinungsbildenden dargestellt.“