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Abstimmungs-Wirrwarr führt zur Ablehnung des Erbacher Haushalts 2021

Über Einmütigkeit bei den Ansatz-Änderungen und Ergänzungen sowie mehrheitliches Votum für die Ablehnung von Steuererhöhung führt der Weg zur Verwerfung des städtischen Etats

ERBACH. - Die wenigen Zuschauer in der Erbacher Werner-Borchers-Halle rieben sich verwundert die Augen: gerade hatte die Stadtverordnetenversammlung mit 15 gegen 11 Stimmen bei einer Enthaltung den städtischen Haushalt für das laufende Geschäftsjahr abgelehnt.

Die Verwunderung basierte vor allem auf zwei unmittelbar vorausgegangenen Entscheidungen. So votierte das Stadtparlament zunächst bei fünf Enthaltungen einstimmig für in umfangreichen Ausschusssitzungen, zuletzt im Haupt- und Finanzausschuss vor Wochenfrist, erarbeiteten Änderungswünschen der Mandatsträger.

Bürgermeister erhebt Widerspruch gegen ablehnenden Parlamentsbeschluss

Die aktuelle Ablehnung des Etats rief unmittelbar Bürgermeister Dr. Peter Traub auf den Plan, der sofortigen Widerspruch gegen den ablehnenden Parlamentsbeschluss ankündigte, was weitere Gremiensitzungen noch vor der Kommunalwahl am 14. März zur Folge haben wird.

Ausgenommen war dabei zunächst die in der Verwaltungsvorlage vorgeschlagene Erhöhung der Grundsteuer B um 60 auf nunmehr 490 Punkte. Der Zustimmung dazu hatte sich insbesondere zunächst die SPD mit einem entsprechenden Antrag verweigert.

Im Haupt- und Finanzausschuss hatte dieser sozialdemokratische Antrag durch ein Abstimmungspatt noch Ablehnung erfahren. Diese Ablehnung kehrte sich jedoch bei der abschließenden Haushaltsberatung der Stadtverordneten um.

Mehrheitliche Ablehnung der geplanten Steuererhöhung

Mit 15 Voten der Fraktionen von SPD (9), GRÜNE (3) und FDP (2) sowie einer Stimme aus den CDU-Reihen fand der Antrag bei 12 Ablehnungen von ÜWG und den überwiegenden CDU-Mandatsträgern (je 6) mehrheitliche Zustimmung.

Rückblende: Exakt vier Wochen zuvor, am 14. Januar dieses Jahres, hatte Bürgermeister Dr. Peter Traub den Haushaltsentwurf ins Parlament eingebracht.

Der damals vorgestellte Ergebnishaushalt wies Erträge von 34.087.100 Euro sowie Aufwendungen in den Bereichen Personal, Sach- und Dienstleistungen, Umlageverpflichtungen und Steuern in Höhe von 34.799.300 Euro, mithin einen Fehlbetrag von 712.200 Euro aus.

Erhöhung der Grundsteuer B mit 300.000 Euro im Haushalt veranschlagt

In dieser Vorlage war bereits die vorgeschlagene Grundsteuererhöhung um 60 Punkte eingerechnet. „Wir würden damit dann etwas über dem hessischen Durchschnitt liegen, und ich halte diese Anhebung für dringend geboten.

Ansonsten würden sich unsere Fehlbeträge im Ergebnis und im Finanzhaushalt um weitere 300.000 Euro erhöhen, und wir würden womöglich die Ablehnung unseres Haushaltes seitens des Regierungspräsidium riskieren“, hatte Traub damals argumentiert.

„Für ein durchschnittliches Privatgrundstück in Erbach würde sich die Grundsteuer B um rund 55 Euro pro Jahr erhöhen“, hatte der Bürgermeister dargelegt. „Geringere Einnahmen und höhere Ausgaben, die wiederum mit den zu bewältigenden Aufgaben zu tun haben“, seien die Ursachen für dieses Defizit.

Im Wesentlichen handele es sich dabei um die beiden großen Blöcke „Personalausgaben“ und Ausgaben für „Sach- und Dienstleistungen“, so die Darstellung von Dr. Peter Traub.

SPD lehnt Steuererhöhung strikt ab

Dem Vorschlag der Steuererhöhung hatten die Sozialdemokraten von Anfang an eine Absage erteilt. Darauf wies Fraktionschef Gernot Schwinn auch aktuell noch einmal deutlich hin (siehe dazu auch gesonderte Pressemitteilung der SPD-Fraktion unter: www.de-fakt.de/bundesland/hessen/odenwaldkreis/details/?tx_ttnews).

Der vorgelegte Finanzhaushalt weist gar einen Fehlbetrag von knapp 2 Millionen Euro aus. „Der resultiert nicht zuletzt aus dem schon oft angesprochenen Rückgang der Gewerbesteuereinnahmen.“, hatte der Bürgermeister erläutert.

Steuereinnahmen durch Corona-Pandemie noch einmal reduziert

„Zur Erinnerung: In 2019 standen noch Gewerbesteuereinnahmen von 6,3 Millionen zu Buche. In 2020 war unser Planansatz 4,9 Millionen, de facto wurden es dann nur 3,5 Millionen. Glücklicherweise hat uns das Land angesichts der Auswirkungen der Corona-bedingten Maßnahmen hier einen außerordentlichen Ausgleich von 1,3 Millionen gewährt.

Damit sollten wir für 2021 nicht rechnen; wir setzen unseren Ansatz für 2021 dennoch etwas optimistischer bei 4,5 Millionen an, denn es gibt natürlich auch bei uns Unternehmen, die spürbar von der Krise profitiert haben.

In Summe kalkulieren wir also für 2021 mit einem Finanzmittelfehlbetrag von 1.951.500 Euro. Als Ergebnis des Jahres 2020 verfügen wir noch über eine Liquidität von rund 3 Millionen Euro, 1,8 Millionen davon ungebunden“, hatte der Rathauschef die Situation bei der Einbringung skizziert.

Ausschussvorsitzender Schwinn berichtet über beschlossene Änderungsmaßnahmen

„Wir haben den Haushalt in den Ausschüssen eingehend beraten“, berichtete Haupt- und Finanzausschussvorsitzender Gernot Schwinn aus der vorbereitenden Arbeit. „Im Bereich der investiven Maßnahmen und dem Bereich Personal wurden Änderungen beschlossen.“

Diese Änderungsbeschlüsse seien einstimmig so gefasst worden und wurden der Annahme durch die Stadtverordnetenversammlung so empfohlen. Sie standen in einer entsprechenden Tischvorlage den Parlamentariern bei der abschließenden Beratung entsprechend zur Verfügung.

Bei der gemeinsamen Tagung der parlamentarischen Ausschüsse habe es keinerlei darüber hinausgehende Änderungs- oder Ergänzungsanträge gegeben, sagte Schwinn.

Der SPD-Antrag zur Rücknahme des Ansatzes zur Grundsteuererhöhung fand durch die oben erwähnte Pattsituation im Ausschuss keine Zustimmung. Mehrheitlich wurde jedoch im Haupt- und Finanzausschuss die geänderte Vorlage dem Parlament zur Annahme empfohlen.

Personalkosten um 80.000 Euro reduziert

Bei den einstimmig vorberatenen Maßnahmen hatte man sich im Ergebnishaushalt auf unveränderte Ertragsansätze von knapp 34,1 Millionen Euro verständigt, die Aufwendungen jedoch um 80.000 Euro durch reduzierte Personalkosten, vorwiegend im Kita-Bereich, nach unten korrigiert, sodass sich der Fehlbetrag auf gut 630.000 Euro verminderte.

Der investive Bereich des Erbacher Etats 2021 erfährt bei konstanten Haushaltsansätzen Entlastung durch zeitliche Verschiebungen in künftige Haushaltsjahre.

So sollen die Bereiche der neuen Kita „Auf der Höhe“ (155.000 Euro), Planungskosten für die vorgesehene Großsporthalle (80.000 Euro) Sanierung der Herrentoilette am Wiesenmarktgelände (100.000 Euro) sowie Wartehallen (10.000 Euro) den Investitionsetat 2021 um 345.000 Euro reduzieren.

„Keine Kontroversen im Bereich der reduzierten Zahlen“

„Wie berichtet, waren wir uns bei den Einsparungen einig, da gab es keine Kontroversen“, konstatierte ÜWG-Fraktionschef Michael Gänssle.

„Insbesondere waren wir uns einig, dass die Gelder, die wir dieses Jahr im Bereich Wiesenmarkt, Weihnachtsmarkt, Fest der Freundschaft und ähnliche Dinge wahrscheinlich nicht ausgeben, weil die zwar wünschenswert aber höchst unwahrscheinlich sind, trotzdem im Etat belassen werden sollen.“

Die Ansätze wolle man deshalb beibehalten, „wenn es doch besser wird, als wir erwarten, dann dann die Veranstaltungen in der einen oder anderen Art und Weise durchführen können.“

„Komplettverzicht auf Grundsteuererhöhung riskant, um nicht zu sagen falsch“

Uneinigkeit herrsche jedoch im Umgang mit dem Paragrafen 106 der Hessischen Gemeindeordnung (HGO) in Bezug auf den Liquiditätspuffer. Die erarbeiteten Einsparungen im Personalbereich von 80.000 Euro würden umgerechnet in 15 Punkten weniger Grundsteuererhöhung zu Buche schlagen.

Auch könne man das zuvor beschriebene voraussichtlich nicht auszugebende Geld für Feste und Märkte am Jahresende als Haushaltsrest auf der Habenseite verbuchen.

„Das macht es uns im nächsten Jahr leichter in irgendeiner Form entweder Fehlbeträge abzudecken oder Liquidität zu schaffen. Dann könnte man dann auch ins Risiko gehen“, sagte Gänssle und schlug vor weitere 10 bis 15 Punkte der vorgeschlagenen Grundsteuererhöhung zu reduzieren, sodass lediglich eine Erhöhung um 30 auf 460 Punkte zu Buche schlagen würde.

Diesen Weg könnten ÜWG und auch die CDU-Fraktion mitgehen, erläuterte Michael Gänssle. Den von der SPD vorgeschlagenen Komplettverzicht auf die Grundsteuererhöhung „halten wir für riskant, um nicht zu sagen falsch“.

„Gar keine Erhöhung kann uns im nächsten Jahr doppelt weh tun“

Die Einnahmen seien höchst ungewiss, und „die Beratungen des Ansatzes für das Haushaltsjahr 2022 müssten dann ohne jegliche Reserve angegangen werden“, warnte der ÜWG-Fraktionschef.

„Wenn wir die komplette Liquiditätsreserve dieses Jahr einsetzen, um die Grundsteuer nicht zu erhöhen, wird es uns im Jahr 2022 erheblich schwerer fallen, einen genehmigungsfähigen Haushalt zu kriegen.“

Schließlich erfordere der Paragraf 106 HGO in der Regel 2% des durchschnittlichen Ausgabevolumens als Liquiditätspuffer vorzuhalten. „Wenn wir das in diesem Jahr nicht machen, dann folgt aus der Regel, dass wir das im nächsten Jahr machen müssen.“

Deshalb der Vorschlag, um 30 Punkte zu erhöhen, um nicht im nächsten Jahr einen größeren Schritt machen zu müssen. „Die 490 Punkte tun jedem weh, und sie müssen nicht sein, aber gar keine Erhöhung kann uns im nächsten Jahr doppelt weh tun“, lautete Gänssles Warnung.

„Nicht erforderlich im Moment Grundsteuer-Hebesätze zu erhöhen“

„Im Moment ist es nicht erforderlich, die Grundsteuer-Hebesätze zu erhöhen“, zeigte sich Gernot Schwinn für die SPD überzeugt und verwies auf die rechtlichen Hinweise des RP zu den Haushaltsgenehmigungen aus den Vorjahren.

„Ja, wir haben eine angespannte Finanzlage, aber man sollte den Empfehlungen des RP folgen, sich zunächst um die Kostensituation kümmern, und da einsparen, wo es möglich ist. Im Bedarfsfall müsse man sich, der RP-Empfehlung folgend, von Immobilien und Vermögen trennen, die nicht benötigt werden.

SPD sieht „Erhöhung als fatal und als ein falsches Signal“

„Erst in letzter Konsequenz, wenn die Finanzmittel nicht ausreichen die Pflichtaufgaben zu erfüllen, sind Steuern zu erhöhen. Wir sind derzeit nicht in der Situation, dass wir gezwungen wären die Steuersätze zu erhöhen“, resümierte Schwinn.

Eine Steuererhöhung treffe jeden Bürger, und auch 50 Euro im Schnitt würden Familien wie Alleinstehenden in der derzeitigen Situation richtig weh tun. „Ohne Not zu haben“ sehe die SPD-Fraktion „eine Erhöhung als fatal und als ein falsches Signal“.

Der Sozialdemokrat warb für die Beibehaltung der Grundsteuerhebesätze von 390 (A) und 430 Punkten (B). „Tun wir unseren Bürgern etwas Gutes und warten auf die Entwicklung im nächsten Jahr“, lautete sein Credo.

„Viele Gewerbetreibende zehren an privater Geldbörse, greifen Rücklagen an“

In die gleiche Richtung ging das Plädoyer von FDP-Fraktionschef Rudolf Burjanko. „Wir haben alle sehr akribisch und noch genauer hingeguckt, in diesem Jahr“, befand der Liberale.

Wenn der Bürgermeister in seiner Bewertung richtigerweise darauf abziele, dass alle in der Wertschöpfungskette aktuell in Nöte geraten seien, dann gelte es zu ergänzen, diese Nöte seien vielerorts sogar zu schweren Turbulenzen geworden.

Überbrückungsgelder und Finanzhilfen von Bund und Land würden jetzt erst deutlich verspätet ausgezahlt. „Viele Gewerbetreibende zehren an der privaten Geldbörse, greifen Rücklagen an.“ Wie lange die Kurzarbeit noch anhalte, sei im Moment nicht absehbar.

„Können den Bürgern nicht noch mehr Steuern zumuten“

Die Arbeitslosenquote sei auch im Odenwaldkreis gestiegen und die Impfungen gegen das Corona-Virus ließen keine Prognose auf Situationsverbesserung zu. Dieser Situation müsse man in diesem Jahr Rechnung tragen, sagte Burjanko. Und forderte auf „etwas mehr Demt zeigen für alle, die gerade in der Krise sind“.

Aus Sicht der Liberalen, könne man den Bürgern „nicht noch mehr Steuern zumuten“, zumal seit Jahresbeginn auch die Ökosteuer erhöht worden sei „und weitere Zusatzaufgaben die Bürger belasten“.

„Dem Bürger so viel wie möglich Geld im Portemonnaie belassen“

Klares Ziel müsse es sein, „dem Bürger so viel wie möglich Geld im Portemonnaie zu belassen, damit der Konsum angekurbelt wird und die Gewerbesteuer wieder fließen kann, sobald die Geschäfte öffnen dürfen. So funktioniert Wirtschaft“, verdeutlichte Burjanko.

Man wolle auch nicht, dass als eventuell möglicher Effekt einer Steuererhöhung vielleicht noch die Mieten durch Umlage der Grundsteuer erhöht werden müssten.

„Wir dürfen die Bürger nicht noch mehr belasten, sondern müssen vielmehr sehen, wie wir – wenn auch mit Schmerzen – mit dem vorliegenden, geänderten Zahlenwerk in diesem Jahr über die Runden kommen“, lautete das Plädoyer des Liberalen.

„Die Grundsteuererhöhung kommt“

„Die Grundsteuererhöhung kommt“, prophezeite der Bürgermeister, niemand solle sich darüber einer Illusion hingeben.

„Wenn wir sie dieses Jahr nicht bringen, wird sie im nächsten, oder spätestens im übernächsten Jahr kommen, und dann wird sie signifikant höher ausfallen, als wir sie jetzt mit einer schrittweisen Anhebung mit dem vorliegenden Vorschlag auf 460 Punkte gestalten könnten“, sagte Dr. Traub.

Er halte die Argumentation >Wenn wir an der Wand stehen, handeln wir< für kein verantwortungsvolles und vorausschauendes Handeln des Parlaments.

„Dann brauchen wir kein Parlament, das vorausschauend die Zukunft gestaltet, sondern betreiben lieber einen automatisierten Aktionshandel von Wand zu Wand mit entsprechendem Handeln beim jeweiligen Erreichen der nächsten Wand“, ließ der Rathauschef seinen Gedanken freien Lauf, empfahl aber abschließend doch: „Lasst uns lieber eine sinnvolle Anhebung der Grundsteuer machen, denn sie kommt eh.“.

„Auch 50 Euro sind für viele Leute sehr viel Geld“

Bevor wir unnötig die Bürger belasten, wäre es auch uns zumutbar zu bewerten, ob wir es nicht anders lösen können“ sagte Christa Weyrauch. Die GRÜNE Fraktionschefin betonte: „Auch 50 Euro sind für viele Leute sehr viel Geld,“ Die Erhöhung der Grundsteuer betreffe schließlich nicht nur Grundstückseigentümer, sondern werde auf die Mieter umgelegt.

So schloss sich Weyrauch für ihre Fraktion dem Plädoyer von Rudolf Burjanko an und signalisierte Zustimmung zum SPD-Antrag, die Grundsteuer beim aktuellen Hebesatz zu belassen.

„Wir haben andere Möglichkeiten und werden nicht an der Wand stehen, sind daher nicht gezwungen Steuern zu erhöhen, und sollten es deshalb auch nicht tun“, appellierte die GRÜNEN-Sprecherin.

Ein abschließend von Gernot Schwinn für die SPD vorgetragener Antrag auf Einsparungen in unterschiedlichen Produktgruppen des Etats sorgte für Irritationen, „weil zu spät vorgelegt“ und wurde vom Antragsteller schlussendlich zurückgezogen.

Zündstoff beinhaltete abschließend noch die Frage von Christa Weyrauch nach dem Sachstand inklusive Kosten für ein vor Jahresfrist beschlossenes Klimaschutzkonzept. Der Verwaltungschef konnte dazu keine Auskunft geben.

Das rief Weyrauchs GRÜNEN Fraktionskollegen Jürgen Müller auf den Plan: „Das ist eine grobe Missachtung des obersten Gremiums unserer Stadt“, lautete sein Vorwurf an den Bürgermeister.