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Desinteresse gegenüber dem ländlichen Raum rächt sich

Nimmt deutlich Stellung: Der Odenwälder Landrat Frank Matiaske. Foto: Kreisverwaltung

Was Regierungen in Bund und Ländern jetzt dringend tun müssen: Ein Meinungsbeitrag des Odenwälder Landrats Frank Matiaske

ODENWALDKREIS. - „Der Begriff >Heimat< erlebt gerade eine neue Konjunktur. Grund dafür ist das politische Beben nach der Bundestagswahl, genauer: die Suche nach den Gründen dafür und nach den Konsequenzen für die neue Regierung. Sicher galt der Protest der vergleichsweise vielen AfD-Wähler auch der Zuwanderungspolitik der letzten Bundesregierung“, sagt der Odenwälder Landrat Frank Matiaske.

„Mehr aber, davon bin ich überzeugt, rührte er vor allem in den neuen Bundesländern, aber verstärkt auch in Westdeutschland, daher, dass viele Menschen, die im ländlichen Raum leben, sich abgehängt fühlen, heimatlos. Das was einst trug, gibt keine Sicherheit mehr, und das was ist oder kommen mag, erst recht nicht.

Kein Wunder, ist es den führenden Parteien in Bund und Ländern doch über etliche Jahre nicht ausreichend gelungen, die Prosperität in ländlichen Regionen zu fördern. Überspitzt formuliert: Die Politik hat sich für das Land viel zu wenig interessiert. Das kritisiere ich schon lange.

Diese Einstellung rächt sich nun in Deutschland – ähnlich wie in anderen Ländern zuvor. Mich überzeugt die Feststellung des Düsseldorfer Wirtschaftsprofessors Jens Südekum, die, mit Blick auf den Wahlerfolg des amerikanischen Präsidenten Trump und den Brexit, vor kurzem in der F.A.Z. zu lesen war: „In den Vereinigten Staaten und Großbritannien war der Zusammenhang zwischen dem ökonomischen Abstieg von Regionen und der Wahlentscheidung eindeutig.“

Einen „Abstieg aus der Mitte nach unten“, wie Südekum die Entwicklung benennt, gibt es auch bei uns. Zwar sind in Deutschland nicht alle ländlichen Gebiete gleichermaßen davon betroffen.

Die Fragen von BĂĽrgerinnen und BĂĽrgern jener Regionen, gleich wo sie liegen, sind aber dieselben und sind existentiell: Wie sollen wir uns noch beheimatet fĂĽhlen, wenn wir sehen, dass Versorgungsstrukturen brĂĽchig werden oder schon zusammengebrochen sind?

Dass junge Leute wegen fehlender beruflicher Perspektiven wegziehen? Dass ein massiver Ärztemangel droht? Dass ein immer rascherer Wandel über Beständigkeit siegt? Dass Traditionen immer blasser werden oder zur Folklore verkommen?

Wenn das Ergebnis der Bundestagswahl dazu führte, dass den Stärken des ländlichen Raumes wieder mehr Interesse entgegenschlägt, würde ich dies sehr begrüßen. Dann würde wahrgenommen, welche identitätsstiftende Kraft gerade das Land hat und welche Anstrengungen es gibt, sich einer gefährlichen Abwärtsentwicklung entgegenzustemmen.

Als Landrat des Odenwaldkreises nenne ich nur drei Beispiele: den Breitbandausbau, den wir vorangetrieben haben, um wirtschaftlich anschlussfähig zu bleiben, den Aufbau vieler Kooperationen, um die Gesundheitsversorgung zu sichern, und innovative Angebote im Personennahverkehr.

Das Land Hessen hat uns dabei unterstützt. Dafür bin ich dankbar. Aber von einem echten, dauerhaften Interesse der jetzigen Landesregierung und ihrer Vorgänger am Wohlergehen des ländlichen Raums – ob in Süd-, Mittel- oder Nordhessen – kann man kaum sprechen.

In Hessen werden zum Beispiel lieber Autobahnkreuze saniert anstatt für einen ordentlichen Verkehrsanschluss ländlicher Regionen zu sorgen. Lieber baut man Städte wie Frankfurt oder Darmstadt weiter zu anstatt nach intelligenten Lösungen zu suchen, die auch Gebiete wie den Odenwaldkreis als Wohnstandort einbeziehen.

Gleiches gilt für Hochschulstandorte, bei denen beispielsweise die Nachbarbundesländer Bayern und Baden-Württemberg bewusst Ausgründungen in den ländlichen Regionen fördern und vorantreiben.

Vielleicht ändert sich die Sichtweise ja nun. Ich wünsche mir zumindest, dass die neue Bundesregierung zu einem Programm kommt, das sich zum ländlichen Raum bekennt und konkrete Vorhaben nennt. Ausdruck dieses Perspektivwechsels wäre ein eigenes Heimatministerium im Bund, das Anstrengungen zugunsten des ländlichen Raums bündelt.

Auch für Hessen müsste es ein solches Haus geben, als eigenständige Einrichtung, nicht als Anhängsel eines schon bestehenden Ministeriums. Als Landrat, der auch mit seinem Kollegen aus dem benachbarten bayerischen Landkreis Miltenberg in engem Austausch steht, weiß ich, dass ein Heimatminister, wie es ihn in Bayern gibt, einiges zugunsten des ländlichen Raumes bewegen kann. Auch Nordrhein-Westfalen kennt ein solches Ministerium.

In Hessen lebt mehr als die Hälfte der Bürgerinnen und Bürger in ländlich geprägten Gebieten, die 80 Prozent der Landesfläche ausmachen. Es wäre an der Zeit, sich diesen attraktiven Regionen und ihrer Bewohnerinnen und Bewohner stärker und glaubwürdiger zu widmen als bisher. Sowohl im Bund als auch in Hessen.“