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Affäre Odenwälder Standortmarketing: Ex-Landrat Dietrich Kübler steht ab Donnerstag vor Gericht

Dietrich Kübler (66, ÜWG), Ex-Landrat des Odenwaldkreises, steht ab Donnerstag, 6. Juli, wegen Untreue zu lasten des Odenwaldkreises vor dem Schöffengericht in Michelstadt. Foto: by -pdh-

Vier Jahre nach Aufdeckung seiner rechtswidrigen Einflussnahme auf das Standortmarketing-Ausschreibungsverfahren zugunsten der Erbacher Werbeagentur Lebensform muss sich der frühere Kreischef jetzt strafrechtlich wegen Untreue verantworten

ODENWALDKREIS / MICHELSTADT. - Ab Donnerstag, 6. Juli, muss sich Dietrich Kübler (66, ÜWG), der frühere Landrat des Odenwaldkreises, in der Affäre Standortmarketing vor dem Schöffengericht des Amtsgerichts Michelstadt in einer mehrere Verhandlungstage umfassenden Hauptverhandlung (Aktenzeichen 700 Js 28075/13) verantworten. Weitere Verhandlungstermine sind für Montag, 10. Juli und Donnerstag, 27. Juli, bestimmt worden.

Ende Juni 2013 hatte FACT erstmals über die rechtswidrigen Handlungen des damaligen Landrats berichtet. Wenige Tage später dementierte Kübler in einer Fragestunde des Odenwälder Kreistags diese Meldung noch als „Fantasie eines einzelnen Journalisten, die jeder Grundlage entbehrt“.

Später reihte er die FACT-Redaktion wegen ihrer beharrlichen Berichterstattung zu dieser Thematik bei einer öffentlichen Wahlveranstaltung gar in den Bereich der „Lügenpresse“ ein.

Anklage wegen Untreue zum Nachteil des Odenwaldkreises

Vier Jahre später lautet die Anklage der Darmstädter Staatsanwaltschaft gegen Dietrich Kübler auf Untreue zum Nachteil des Odenwaldkreises. Kübler war im Juni 2013 ins Visier der Ermittler geraten, nachdem er FACT-Recherchen zufolge seinem Wahlkampfmanager Johannes Kessel, Inhaber der Erbacher Agentur Lebensform, einen lukrativen, mit EU-Geldern geförderten Auftrag unter Missachtung mehrerer gültiger Vergaberichtlinien und gegen den geharnischten Protest der heimischen Wirtschaft zugesprochen hatte.

Dabei geht es um einen bewilligten Gesamt-Förderbetrag von rund 140.000 Euro. Nach Intervention des damaligen Landrats Kübler hatte die Erbacher Werbeagentur die Ausschreibung gewonnen, obwohl sie nach Jurorenmeinung regulär noch nicht einmal die erste Bewerbungsrunde überstanden hatte und auch nach mehreren Warnschreiben des Kreisrechtsamtes den Auftrag wegen Wettbewerbsverstößen niemals hätte bekommen dürfen.

Die jetzt zu verhandelnde Anklage der Staatsanwaltschaft Darmstadt listet zunächst einen nach Angaben der hessischen Wirtschafts-und Infrastrukturbank bewiesenen Schaden auf. Dieser beträgt demnach 68.780,60 Euro wegen nicht gewährter, bzw. widerrufener Fördermittel.

Dazu kommen weitere 28.820,33 Euro, die nach Meinung der Staatsanwaltschaft Darmstadt auf Rechnungen der Werbeagentur ohne ausreichende Vertragsgrundlage gezahlt wurden. Dem früheren Landrat wird vorgeworfen, kraft seines Amtes die Vergabeverstöße und den Ausgleich der Rechnungen bewirkt zu haben.

Strafverfahren wurde zunächst eingestellt

Gegen den damaligen Landrat hatte 2013 ursprünglich der Verdacht der Vorteilsnahme, wettbewerbsbeschränkender Absprachen, des Subventionsbetrugs und der Untreue bestanden. Nach Abschluss ihrer fünfzehnmonatigen Ermittlungen und Einvernahme von dutzenden Zeugen aus mehreren Bereichen des Odenwaldkreises hatte die Staatsanwaltschaft Darmstadt das Verfahren wegen vermuteter Vorteilsannahme gegenüber allen Beschuldigten gem. § 170 Abs. 2 der Strafprozessordnung im September 2014 zunächst eingestellt.

Soweit dem Landrat und dem Inhaber der Werbeagentur der Vorwurf wettbewerbsbeschränkender Absprachen bei Ausschreibungen (§ 298 StGB) gemacht wurde, sei dieser nicht mit der für eine Anklage notwendigen Sicherheit nachzuweisen gewesen, hieß es damals.

„Rechtswidrig auf Ausschreibungsverfahren Einfluss genommen“

Dem Landrat sei es zwar darauf angekommen, die Werbeagentur zu beauftragen. Zu diesem Zweck habe er in rechtswidriger Weise auf das Ausschreibungsverfahren Einfluss genommen z. B. durch plötzlich vorgeschlagene Änderung des ursprünglich vereinbarten Abstimmungs- und Bewertungsmodus in Sitzungen zur Auswahl der Bewerber, durch Missachtung förmlicher Kriterien beim Eingang von Ausschreibungsunterlagen und Missachtung von eingeholtem Rechtsrat seines Rechtsamtes.

Sofern die für die Vergabe der EU-Fördergelder zuständige Wirtschafts- und Infrastruktur-Bank (WI-Bank) Hessen in Offenbach den noch nicht ausgezahlten Förderbetrag nicht mehr oder nur zum Teil wegen der Einflussnahme des Landrats auf das Ausschreibungsverfahren auszahlen sollte, werde zu prüfen sein, ob das Ermittlungsverfahren wegen des Vorwurfs der Untreue wieder aufzunehmen sei, soweit in diesem Fall der Förderbetrag aus anderen öffentlichen Mitteln ausgeglichen werden müsste, lautete damals das Statement der Staatsanwaltschaft.

Weitere Ermittlungen nach Bekanntwerden des Schadensfalles

Diese weiteren Ermittlungsvoraussetzungen waren im März 2015 gegeben, als die WI-Bank die Streichung des auf den an Lebensform rechtswidrig vergebenen Auftrag entfallenden Förderbetrags von knapp 70.000 Euro bekannt gegeben und darüber hinaus weitere Gelder wegen nicht nachgewiesenen Verwendungszwecks ebenfalls gestrichen hatte.

Zwangsläufig nahm die Staatsanwaltschaft Darmstadt daraufhin die Ermittlungen gegen Dietrich Kübler wieder auf und erhob im Herbst vergangenen Jahres Anklage gegen den Ex-Landrat beim Amtsgericht in Michelstadt.

Klagen über Klagen der Erbacher Agentur Lebensform

Zwischenzeitlich haben sich die Ereignisse überschlagen, und die Erbacher Agentur Lebensform hat beteiligte Kreistöchter mit Klagen überzogen. Nach vorläufigen Schätzungen wurde der angerichtete Schaden durch die unseriöse Zusammenarbeit des Landrats mit der beauftragten Werbeagentur auf mehr als 450.000 Euro beziffert, die der Odenwaldkreis zu tragen hat.

Die mögliche Schadenshöhe, die im Jahr 2015 ermittelt worden war, setzt sich zusammen aus Klagen der Agentur Lebensform GmbH gegen die OREG-Tochter Tourismus GmbH, aus vorgestreckten und verlorenen EU-Fördermitteln, die Klage eines unterlegenen Bewerbers um das Projekt „Standortmarketing“ und eine umstrittene Abmahnung durch Lebensform wegen Copyrightsfragen bei einer Lammwochen-Broschüre.

Eine weitere Klage bezüglich der Weiterverwendung des zuvor schon zweifach verkauften Odenwald-Logos schlug mit zusätzlichen 30.000 Euro zu Buche, und außerdem stehen Gutachten sowie Rechtsberatungskosten im Raum, die sich im sechsstelligen Bereich angesiedelt haben.

Politische Turbulenzen führten zur Abwahl Küblers

Vor diesem Hintergrund und heftigen politischen Turbulenzen, die zum Bruch der damaligen Regierungskoalition zwischen SPD und ÜWG im Odenwaldkreis geführt hatten, wurde Dietrich Kübler im März 2015 als Landrat abgewählt und durch seinen Herausforderer, den damaligen Breuberger Bürgermeister Frank Matiaske (SPD) ersetzt.

Jetzt also, vier Jahre nach Aufdeckung des rechtswidrigen Handelns von Dietrich Kübler, wird dem Ex-Landrat vor dem Schöffengericht in Michelstadt bei drei Verhandlungstagen und umfangreichen Zeugenvernehmungen der mit Spannung erwartete Prozess gemacht.