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Standortmarketing-Affäre Odenwaldkreis: Vier Rechtsgutachten verheimlicht

Amtsrichter Helmut Schmied leitet das Strafverfahren souverän.

Staatsanwältin Brigitte Lehmann erhebt Anklage gegen den früheren...

...Landrat Dietrich Kübler wegen Veruntreuung zu Lasten des Odenwaldkreises in Höhe von mindestens rund 100.000 Euro...

...vor dem Amtsgericht Michelstadt.

Ex-Landrat Dietrich Kübler (rechts) und sein Hauptabteilungsleiter Oliver Kumpf, hier auf einem Archivbild vor dem Akteneinsichtsausschuss, der sich schon 2014 vergeblich um Aufklärung der rechtswidrigen Vorgänge rund um den damaligen Landrat und seine „rechte Hand“ bemühte.

Das Amtsgericht in Michelstadt steht durch den Strafprozess gegen den Ex-Landrat des Odenwaldkreises derzeit im Fokus der Öffentlichkeit. Fotos: © by –pdh-

Amtsrichter Helmut Schmied: „Der Odenwaldkreis ist ein Moloch von verschwundenen Unterlagen“

ODENWALDKREIS / MICHELSTADT. - Der zweite Tag der Beweisaufnahme vor dem Amtsgericht Michelstadt endete wie der erste: Die Zeugeneinvernahme dauerte länger als geplant und einige geladene Zeugen mussten unverrichteter Dinge nachhause geschickt werden. Abzusehen ist bereits, dass der zunächst als letzter Verfahrenstermin vorgesehene 27. Juli nicht der letzte Prozesstag sein wird, wohl auch nicht der vorletzte.

Das Verfahren gegen den Odenwälder Ex-Landrat Dietrich Kübler (67, ÜWG) wegen vermuteter wettbewerbsbeschränkender Absprachen und des Vorwurfs der Vorteilsannahme und –gewährung beschäftigt seit 2013 die Justiz.

Die Staatsanwaltschaft Darmstadt in Person von Staatsanwältin Brigitte Lehmann beziffert den entstandenen Schaden einer verunglückten Standortmarketingmaßnahme auf mindestens etwa 100.000 Euro.

Er entstand durch Rücknahme von Zusagen für EU-Fördergelder durch die Hessische Wirtschafts-und Investitionsbank (WI-Bank) nach schweren Vergabefehlern bei der Ausschreibung der Maßnahme durch die Odenwald-Regionalgesellschaft. Die Gesamt-Schadenssumme des Landkreises liegt ungleich höher.

Der Odenwälder Ex-Landrat soll in das Bewerber-Auswahlverfahren massiv eingegriffen haben, um auf diese Weise seiner benachbarten Lieblings-Werbeagentur zu dem lukrativen Auftrag in sechsstelliger Höhe zu verhelfen.

Die ersten beiden Verhandlungstage zeigten nach Bekundungen der zahlreichen Zuhörer im vollen Verhandlungsraum des Schöffengerichts alle Zutaten eines drehreifen Kriminalfilms, ein Besucher fühlte sich ins Mafia-Milieu versetzt.

Es geht um gefälschte Tagungsprotokolle, um illegale Eingriffe ins Bewerberverfahren zu kaschieren, um angebliche Tischvorlagen mit kritischen Passagen, die allerdings kein bisher befragter Tagungsteilnehmer je zu Gesicht bekommen haben will.

Einen schriftlichen Vertrag mit der Werbeagentur, die den Zuschlag bekam und mittlerweile alle Geldmittel verbraucht hat, gibt es bis heute nicht. Wer sich dem Landrat in den Weg stellte, wurde bedroht oder sogar degradiert mit deutlichen finanziellen Einbußen.

Vier Rechtsgutachten des eigenen Rechtsamts sind dem Entscheidungsgremium Kreisausschuss (KA) des Odenwaldkreises wohl nicht vor dessen Entscheidung zugunsten der Werbeagentur vorgelegt worden, obwohl sie genau zu dem Zweck gefertigt worden waren. Sie enthielten deutliche Warnungen vor finanziellen Risiken bei Beauftragung der Agentur, die nun definitiv eingetreten sind.

Besonders deutlich sprach es der Erste Kreisbeigeordnete des Odenwaldkreises, Oliver Grobeis (SPD) aus. Bis zur entscheidenden Kreisausschusssitzung am 10. Februar 2012, nach welcher der Zuschlag vom Landrat telefonisch an den befreundeten „Gewinner“ durchgegeben wurde, hatte der Kreisausschuss keine Ahnung von den Warnungen des Rechtsamts.

Erst später haben die einzelnen Mitglieder Kenntnis erhalten. „Es kann doch nicht sein, dass wir über solche entscheidenden Dinge erst im Sommer 2013, und dann noch von der Presse, informiert werden.“

In der Tat hatten die Odenwälder Presseagentur pdh und FACT zeitgleich im Juni 2013 erstmals von den Verfehlungen erfahren, die anderthalb Jahre zurücklagen, und die im Kreistag vertretenen Parteien mit ihren Erkenntnissen und den entsprechenden Unterlagen konfrontiert.

Erst dadurch erfuhren die Kreistagsabgeordneten von den Warnungen, die zur Jahreswende 2011/2012 an den Landrat und an den Hauptabteilungsleiter Oliver Kumpf geschickt worden waren. Übereinstimmend führten die Zeugen aus, dass sie sich von beiden hintergangen fühlten.

Fast resigniert äußerte sich der ansonsten akribisch vorbereitete Amtsrichter Helmut Schmied. Wann immer es spannend wurde, verließ einige Zeugen die Erinnerung. Andere hatten mittlerweile ihre Unterlagen aus der fraglichen Zeit vernichtet, was den Richter zu der süffisanten Äußerung veranlasste: „Der Odenwaldkreis ist ein Moloch von verschwundenen Unterlagen.“

Die Zeugen wurden wegen der schwerwiegenden Aussagen weit länger befragt, als vorgesehen. Der bisher verfolgte Zeitplan wird nicht zu halten sein. Daher werden weitere Verhandlungstage anberaumt werden. Der nächste Termin wurde auf Donnerstag, 27. Juli festgelegt.

Professionellen Beobachter halten es nach der Analyse der Zeugenaussagen der ersten beiden Tage für möglich, dass durchaus aus einem bisherigen Zeugen auch ein Beklagter werden könnte.