„Wir können nicht Leute mit Summen bis 80.000 Euro oder mehr ins Nichts jagen“
Reichelsheimer Bürger wehren sich gegen verfehlte Informationspolitik der Gemeinde und schier untragbare KostenbelastungREICHELSHEIM. - „Es gibt Anwohner bei uns, die bezahlen zwischen 40.000 und 50.000 Euro“, klagte Kerstin Kreuzer während der Bürgerversammlung in Reichelsheim am Montagabend (siehe FACT-Bericht unter: www.de-fakt.de/bundesland/hessen/odenwaldkreis/details/?tx_ttnews)
„Deshalb hätten wir uns gewünscht, dass wir rechtzeitig informiert werden, und nicht erst zwei Wochen bevor der Bagger kommt“, machte die Reichelsheimerin ihrem Unmut über die mangelhafte Information durch die Gemeindeverwaltung um Bürgermeister Stefan Lopinsky Luft.
Zuvor hatte der Rathauschef die von der Kritikerin erhobenen Vorwürfe mit Blick auf den Informationsparagrafen 3 des Baugesetzbuches zurückgewiesen. „Der Paragraf betrifft die Aufstellung eines Bebauungsplans, nicht die Wiederherstellung von Straßenkörpern“, verteidigte sich Lopinsky.
„Information hätte schneller geschehen können“
„Wir sind immer daran interessiert, schnellstmöglich alle Personen mitzunehmen“, sagte der Bürgermeister und räumte ein: „Ich gebe gerne zu, dass die Information schneller hätte geschehen können“.
Dieses unumstößliche Versäumnis wird alleine deutlich an der weiteren Schilderung Lopinskys: „Es war schon 2017 geplant, den Eberbacher Weg zu machen, wurde damals aber zurückgestellt, weil wir die finanziellen Mittel für Laudenau gebraucht haben.“
„Sie haben zweieinhalb Jahre Zeit, das ist ausreichend“
Die aktuelle Baumaßnahme betreffe lediglich den ersten Abschnitt des Eberbacher Wegs, und somit „nur“ acht bis zehn Häuser. Der endgültige Abschluss und die Abrechnung der Baumaßnahme sei nicht vor Ende 2020 zu erwarten. „Somit haben Sie zweieinhalb Jahre Zeit, das ist ausreichend.“
Die zu erwartenden Kosten seien für viele Anlieger nicht tragbar, sagte Kerstin Kreuzer. Die zu erwartenden finanziellen Belastungen für die einzelnen Anwohner seien „kein Pappenstiel. Ich möchte deshalb die Allgemeinheit informieren, wie die Kommune Reichelsheim mit uns umgeht. Das ist für mich und für viele andere nicht nachvollziehbar!“
Problem in Reichelsheim generell gegeben
„Wir im Eberbacher Weg werden ja auch nicht die Einzigen sein, die davon betroffen sind“, sieht eine weitere Anwohnerin das Problem als generell gegeben in Reichelsheim und nannte weitere sanierungsbedürftige Straßen. „Das was hier jetzt im Eberbacher Weg verhandelt wird, wird noch sehr viele andere in Reichelsheim betreffen, und da sind Summen von 40.000 Euro keine Phantasiezahlen.“
Deshalb müsse man gemeinsam versuchen eine generelle Lösung zu finden, „die für alle – sowohl für die Gemeinde als auch die Bürger - akzeptabel ist. Wir können schließlich nicht flächendeckend die Leute mit Summen bis 80.000 Euro, oder sogar noch mehr, ins finanzielle Nichts jagen.“
„Ich habe keine Zahlen“
„Ich kann diese Zahlen Gott sei Dank nicht bestätigen“, entgegnete der Bürgermeister, „denn ich habe keine Zahlen“. Weil er erst in ein bis zwei Wochen einen entsprechenden Termin habe, könne er zu den Zahlen nichts sagen, gab sich der Bürgermeister unwissend.
Bei der Berechnung der Anliegerkosten käme es gleichwohl auf die Grundstücksgröße an, wie auch auf die Zahl der Hausanschlüsse. „Die aber wären sowieso irgendwann fällig gewesen.“ Die Zahlen selbst könne er „nicht kommentieren, ich hoffe, dass sie geringer sind“.
Stundungsmöglichkeit über 20 Jahre
Es gebe allerdings mittlerweile die Stundungsmöglichkeit über 20 Jahre. Die Satzung sehe vor, bei einer rein innerörtlichen Nutzung 75% der Kosten auf die Anlieger umzulegen. Die Sanierung des Eberbacher Wegs sei unumgänglich, „ansonsten versuchen wir, die Belastung der Bürger gering zu halten“.
Es sei ein „gordischer Knoten“ zu durchschlagen. „Ich verstehe Sie sehr gut, es wünscht sich keiner, dass er diese Anliegerbeiträge zu zahlen hat, aber jeder,der sich innerhalb der letzten 25 Jahre ein Baugrundstück gekauft hat, war auch dabei mit Anschlussgebühren und Anliegerbeiträgen“, versuchte Stefan Lopinsky zu beruhigen.
Baumaßnahme sei mit 1,3 Millionen Euro veranschlagt
„Dass Sie keine Zahlen haben irritiert mich, denn wir haben Zahlen genannt bekommen“, entgegnete Kerstin Kreuzer. Die Baumaßnahme sei mit 1,3 Millionen Euro veranschlagt worden. Ausgehend von dieser Summe entfielen auf die 30 Anlieger 975.000 Euro Anliegerbeiträge, was einer durchschnittlichen Summe von 32.500 Euro je Anlieger entspricht.
Diese durchschnittlichen Einzelsummen variieren dann gemäß der Grundstücksgröße und der Geschossflächenzahl. Hinzu kämen je nach Zahl der Hausanschlüsse bis zu 9.000 Euro weiterer Kosten, was im Einzelfall durchaus der Summe von 50.000 Euro entspreche.
Und das sei nur der Kostenvoranschlag. Jeder, der schon einmal gebaut habe bzw. Handwerker beschäftigt habe, mache häufig die Erfahrung „upps, es wird immer ein bischen teurer“. Das sei durchaus auch bei dieser Baumaßnahme zumindest möglich.
Grundinformation durch die Gemeinde stehe immer noch aus
Diese Grundinformation durch die Gemeinde stehe immer noch aus „weil das Planungsbüro oder die Bauleiterin der Gemeinde noch keine Zeit hatte,einen Termin zu vereinbaren, den wir allerdings am 11. Oktober schon zugesagt bekamen“.
Dieser Darstellung widersprach der Bürgermeister, denn „so einfach sei die Rechnung nicht, weil die Gemeinde ja gewisse Flächen der Straße, „z.B. wo der Kanal liegt“ kostenmäßig übernehmen würde und auch der Teil für die Bürgersteige entfalle, für die schon einmal Anliegerbeiträge bezahlt worden seien. So sei diese Rechnung „verkehrt und keineswegs so einfach wie dargestellt“, befand Lopinsky, ohne konkret aufklären zu können.
„Wollen unsere Satzung mehrheitlich beibehalten“
Der Anfrage des früheren Gemeindevertreters Oswald Trautmann erteilte der Bürgermeister eine klare Absage. Trautmann hatte Ausführungen erbeten zur aktuellen Haltung innerhalb der gemeindlichen Gremien bezüglich der Änderung in ständig wiederkehrende Straßenbeiträge gegenüber der derzeit geforderten einmaligen Anliegerbeiträge im Falle einer Sanierung.
„Wir wollen unsere Satzung mehrheitlich beibehalten“, entgegnete Lopinsky für den Gemeindevorstand. Letztendlich müsse jedoch das oberste Gremium, das Gemeindeparlament, darüber befinden.
„Riesiger Verwaltungsaufwand mit jährlichen Neuberechnungen“
„Wiederkehrende Straßenbeiträge haben den Nachteil, dass sie Bereichs-bezogen abgerechnet werden müssen.“ So müssten beispielsweise in Ober-Kainsbach wie in weiteren Ortsteilen, die nur durch Bundes-, Land- oder Kreisstraßen erschlossen seien, keine Anliegerbeiträge bezahlt werden.
„Das ist ein riesiger Verwaltungsaufwand, mit jährlichen Neuberechnungen“, befand der Bürgermeister und sieht auch die Gerechtigkeit in Frage gestellt: „Warum soll jemand in Ober-Ostern eine in Reichelsheim gelegene Innerortsstraße mitbezahlen?“
Darüber hinaus stelle sich dann eventuell das Problem, dass ein Bewohner vielleicht nicht zahlen könne oder wolle, und dann eventuell prozessiere. „Das ist ein riesiger Aufwand und somit ein Nachteil.“
Sachverständiger soll Parlament im nächsten Jahr aufklären
Parlamentsvorsteher Jürgen Göttmann ergänzte, er habe für das kommende Jahr vorgesehen, einen Sachverständigen zu engagieren, der den Gemeindevertretern informativ Vor-und Nachteile der wiederkehrenden Straßenbeiträge aufzeigen soll, damit diese dann über eine mögliche Änderung befinden können.
Die Anlieger des Eberbacher Wegs in Reichelsheim werden jedenfalls selbst dann wohl kaum noch in den Genuss einer solch möglichen Satzungsänderung kommen, falls sich das Gemeindeparlament im kommenden Jahr dafür aussprechen sollte.
„Mit überstürztem Baubeginn wurden Fakten geschaffen“
Dazu befand Karlheinz Kreuzer, „mit dem überstürzten Baubeginn wurden Fakten geschaffen, ohne dass die Leute zur Besinnung kommen und überlegen können, was da passiert und entsprechend reagieren können.“
Seinem Ansinnen nach Lösungen für einen für alle Seiten gangbaren Weg widersprach der Bürgermeister mit dem Hinweis, dass sich die Gemeinde - auch bei wiederkehrenden Straßenbeiträgen – diese Summen anrechnen lassen müsse und damit bei der Zuteilung von Schlüsselzuweisungen durch das Land Hessen Nachteile erleide.
„Auch einige vor Ihnen, waren betroffen und haben bezahlt“
„Es sind auch einige vor Ihnen, die betroffen waren und bezahlt haben.“ Ob eine mögliche Änderung der Satzung noch für den Eberbacher Weg Anwendung finden könne, vermochte der Rathauschef nicht zu sagen und verwies auf ein bevorstehendes Gespräch mit dem Fachbüro. Aktuell sei jedoch die gültige Satzung mit der Anwendung einmaliger Straßenbeiträge maßgebend.
Einräumen musste der Bürgermeister, die Gemeinde habe ein Problem, wenn jeder die Möglichkeit der Stundung über 20 Jahre nutzen würde, „denn dann müssen wir sehen, wo wir das Geld für die nächsten Maßnahmen hernehmen“.
Deshalb müsse man ganz vorsichtig wirtschaften, um die Aufnahme von Kassenkrediten zu vermeiden. Das Land habe jedoch eine klare Gliederung, die sich in Bundes-, Land-, Kreis- und Kommunalstraßen mit unterschiedlichen Kostenträgern darstellten.
Zeitnahe Auskunft über konkrete Kosten, „um uns die Angst zu nehmen“
Irene Beck erbat zeitnahe Auskunft über die konkreten Kosten „um uns einfach mal die Angst zu nehmen. Dann geht der Druck weg. Dazu ist aber noch nichts passiert.“ Stefan Lopinsky sicherte zu „in den kommenden zwei Wochen mit dem Fachbüro einen Termin zu fixieren.
Brigitte Dieffenbach verwies auf eine vergleichbare Sanierungsmaßnahme in der Bismarckstraße, bei der ein Anlieger seinerzeit nur 4.000 DM bezahlt habe. Birgit Uhrig monierte an die Adresse des Bürgermeisters, dass die jetzige Situation nur deshalb entstanden sei, „weil wir nicht richtig informiert werden“.
„Wo soll ich 40.000 Euro hernehmen“
Es sei den Bürgern nicht zumutbar solche Summen zu bezahlen. „Wo soll ich 40.000 Euro hernehmen“, fragte die Reichelsheimerin und bat um annehmbare, vernünftige Lösungen. „Wir möchten hier keinen Krieg in Reichelsheim, wir möchten mit Ihnen zusammenarbeiten.“
Es werde, wie der Bürgermeister zugesagt habe, ein Gespräch mit dem Fachpersonal geben, „mehr können wir Ihnen leider nicht versprechen“, sagte Parlamentsvorsteher Jürgen Göttmann und beendete die Diskussion ohne weitere Wortbeiträge zuzulassen: „Ich möchte nicht die Bürgerversammlung zu einer Anliegerversammlung Eberbacher Weg mutieren lassen.“