Damit der Weihnachtsstern über jedem Dach leuchtet
AWO-Präsente für 250 alte, alleinstehende, kranke oder sonst bedürftige MitbürgerMICHELSTADT. - Die Nachkriegsnot war noch groß, als der noch nicht lange gegründete AWO-Ortsverein in den Tagen vor Weihnachten für Aufmerksamkeit sorgte. Im Stadtbild waren zwei Frauen mit einem Holzwägelchen unterwegs.
Geladen hatten sie Care-Pakete und Päckchen in verschiedener Größe für Menschen, denen es weit schlechter ging als ihnen .
An der Deichsel des wackligen Gefährtes waren Anna Sattler, Ehefrau des Kreisamtmannes Heinrich Sattler, und Käthe Giebenhain, deren Ehemann eine leitende Funktion beim Konsum innehatte und Stadtverordneter war.
Sie waren auf dem Weg zu Alten und Alleinstehenden, zu Kriegerwitwen, Vertriebenen oder sonst notleidenden Menschen, um ihnen eine Festtagsfreude zu bereiten und Solidarität und Zugehörigkeit zur Bürgergemeinschaft zu bekunden.
Und diese vor mehr als sechzig Jahren begründete Tradition hat nicht nur bis heute Bestand, sondern wurde im Laufe der Zeit Zug um Zug erweitert.
Hinzu kamen jährliche Basare in der Löwenhofreite und die Weihnachtsfeiern, die anfänglich im Saale von „Schmerkers Garten“ und später in der Odenwaldhalle stattfanden.
Bis zu vierhundert Personen nahmen an den Veranstaltungen in der Odenwaldhalle teil, freuten sich an dem Programm, das über viele Jahre von der Trachtenkapelle Michelstadt, der Ballettschule Krings, dem Chor der Freimaurer-loge „Zu den drei Sternen“ mit dem Solisten Gerd Ohlweiler, der Vielbrunner Gitarrengruppe „Regenbogen“ mit Reimund Bechtold und anderen Mitwirkenden gestaltet wurde.
Eine besondere Ãœberraschung war immer, wenn alle Besucher kostenlos einen Christstollen als Weihnachtsgabe mit nach Hause nehmen durften.
Bald wurden auch die Bewohner der städtischen Alten- und Pflegeheime von der Arbeiterwohlfahrt, dem Haus Bonum und dem Haus Strater in die vorweihnachtliche Geschenkaktion miteinbezogen.
Während die Geschenktüten für die in der eigenen Wohnung lebenden Menschen vorwiegend mit Grundnahrungsmitteln sowie einer Tafel Schokolade und einer Packung Kaffee gefüllt waren, erhielten die Heimbewohner meistens Pflege- und Hygieneartikel.
Einmal besonders gefreut haben sich die Altenheimbewohner über ein Fläschchen Parfüm, das aus einer Großhandelsrücknahme von der Firma Cofa günstig erworben werden konnte.
Um den größer werdenden finanziellen Anforderungen gerecht zu werden, flossen nicht nur Erlöse aus dem Betrieb der Kleiderkammer in den für die weihnachtlichen Aktionen benötigten Finanzierungs-Topf. Das ganze Jahr über strickten die Altenklubmitglieder Socken und andere warme Wollsachen zum Basar-Verkauf, bestückten eine Tombola, verkauften Kaffee und selbstgebackenen Kuchen.
Was von einem Flohmarktverkauf auf dem Marktplatz an Geld übrig blieb war ebenso willkommen wie der Erlös-Anteil aus dem jährlichen Wohlfahrtsbriefmarkenverkauf, bei dem der Ortsverein mehrmals bundesweit das beste Ergebnis erzielte und die beiden erfolgreichen Sammlerinnen vom Bundesprä-sident Johannes Rau zu einem Empfang im Schloss Bellevue eingeladen wurden.
Man nahm an den Landessammlungen teil und nutzte die Vergütung ebenso wie Spenden aus Wirtschaft und Industrie. Auf diese Weise wurde es sogar möglich, gemeinnützige Einrichtungen zu fördern.
So wurden Pflegebetten für das Zentrum Gemeinschaftshilfe finanziert, an verschiedenen Plätzen wurden Ruhebänke aufgestellt, eine Video-Übertragungsanlage für die AWO-Pflegeeinrichtung am Stadtring angeschafft, für das Rotary-Hospiz gestiftet, um nur einige Beispiele zu nennen.
Die nun fast zwei Jahre dauernde Pandemie führte die weihnachtlichen Aktivitäten notgedrungen zurück in die Jahre des Anfanges. Die Kleiderkammer ist zum wiederholten Mal geschlossen und auch der Altenklub führt gegenwärtig keine Veranstaltungen mehr durch.
In diesen Tagen ist Ortsvereinsvorsitzender Friedel Weber mit seinen Helferinnen unterwegs zu den Menschen, die sich über Päckchen und ein persönliches Gespräch an der Haustür als Symbol des Eingebundenseins in die Bürgergemeinschaft freuen.
Es sind diesmal rund um zweihundertfünfzig Personen, die persönlich besucht werden. Wie seit mehr als dreißig Jahren mit dabei ist der hochbetagte 90-jährige ehemalige städtische Bauhof-Mitarbeiter Heinrich Müller, der lange eigenständig im Wehrmannhaus an der Mauerstraße wohnte und seit einigen Jahren seinen Lebensabend wohlumsorgt in der AWO-Pflegeeinrichtung am Stadtring verbringt.