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Auch im 198. Jahr gackerten „Ganserte“ in Erbach zu ihrem Gi-Gack-Jahrestag

Obergansert Jürgen Volk, Zuchtgansert Hermann Dingeldey und Fahnengansert Egon Rettig (von links) beim alljährlichen Zeremoniell am Gänsgretelbrunnen, ...

... wobei die Ganserte samt zahlreichen Zuschauern diesmal auf ...

... die Taufe von Jungganserten mangels Bewerbern verzichten mussten, aber nicht minder fröhlich wirkten.

Zuvor waren die Ganserte gackernd und singend vom Brauhaus durch's ...

... Städtl zum Badbrunnen im >Eck< gezogen.

Auf dem RĂĽckweg ging's durch den Graben zum Graf-Franz-Denkmal, das ...

... dreimal fröhlich singend umrundet wurde, ehe im mit ...

... Stroh ausgelegten „Gänsestall“, dem Sternensaal des Erbacher Brauhauses, der gemütliche Teil begann. Fotos: er

Gäsegretel-Verein 1827 Erbach feierte am 02. Januar einmal mehr den historischen Versöhnungstag der fünf Burschen, die sich zuvor um die holde Gänsemagd gestritten hatten, aber allesamt mit der kalten Schulter bedacht worden waren

ERBACH. - Annik, eine in Erbach zu Besuch weilende Amerikanerin, wollte es nicht glauben, was sie am Abend des 02. Januar im Erbacher Brauhaus und rund um die Kultgaststätte in der Odenwälder Kreisstadt erlebte.

Verwundert rieb sich Annik die Augen und schlug mehrfach die Hände vor's Gesicht als rund 40 Männer aller Altersgruppen und Gesellschaftsschichten vom streng bewachten Sternensaal des Brauhauses (Frauen haben an diesem Abend hier keinen Zutritt) singend durch die Gaststube in Richtung Marktplatz zogen.

Alle waren weiß gewandet, trugen Gänsefedern im nicht selten lichten Haar und führten Lampions in einem als Gans stilisierten Rahmen mit sich. An der Spitze des Männerpulks trug „Fahnengansert“ Egon Rettig die Vereinsfahne mit der Aufschrift „Gänsegretel-Verein GI-GACK seit 1827 Erbach/Odw“.

Gänsegretel-Lied mit einer Strophe in drei Mundart-Varianten

Und immer wieder ertönte ein lautes, gemeinschaftlich zelebriertes „Giiii-Gack“ und natĂĽrlich durfte auch das Vereinslied, begleitet von „Musikgansert“ Achim Fischer, einem Zugvogel aus dem benachbarten bayrischen Dörnbach, nicht fehlen. 

„Jeder will des Gennsgredel hawwe; jeder will das Gennsgredel hawwe; jeder will se robbe, jeder will se zoppe; jeder will des Gensgredel hawwe“, schallte es da geballt aus Männerkehlen mit nicht immer genau definierbaren Stimmlagen.

Das nur aus einer Strophe bestehende Lied hat dennoch eine zweite Variante, die sich inhaltlich von der Urform nur unterscheidet, indem sie im Wesentlichen auf die Bedürfnisse der Mitbürger eingeht, die des Erbacher Dialektes nicht mächtig sind, und die Übersetzung der Dialektform liefert.

Und selbst die rustikaleren Formen der Erbacher Mundart werden beleuchtet. Diese liefert die dritte  Strophe, die sich allerdings nur an diejenigen richtet, die Odenwälder Urformen auch gewachsen sind.

Brauchtumsverein mit fast 200-jähriger Geschichte

Was hat es nun mit dem seit 1827 in Erbach bestehenden Gänsegretel-Verein auf sich? „Wir sind ein Brauchtumsverein, der im Jahre 2020 auf 193 Jahre Geschichte zurückblickt“, heißt es auf der Vereins-Homepage.

Ursprünglich aus einer Überlieferung entstanden, die wohl mehr auf einer Legende beruht, feiert der Gänsgretelverein jährlich am 2. Januar ein Traditionsfest der Männerfreundschaft. Der Zusammenschluss existiert schon sehr lange, erste nicht urkundliche Erwähnungen datieren auf das Jahr 1827.

Man erzählt sich dazu die Geschichte von fünf jungen Burschen, die ein gemeinsames Problem hatten: sie verehrten alle die gleiche Dame, eine Gänsemagd, die im Odenwald volkstümlich Gänsgretel genannt wurde.

Hoffnung bei fĂĽnf Verehrern wach- und dennoch Abstand gehalten

Das Fräulein verstand es wohl, bei allen fünf Verehrern sowohl die Hoffnung wachzuhalten als auch den Abstand zu wahren, zum Zuge kam keiner der fünf befreundeten Burschen (die Odenwaldbahn war ja zu dieser Zeit auch noch nicht gebaut ...)

Zwangsläufige Folge waren Eifersucht und Streit. Wie immer, wenn zuviele Ganserte hinter einer Gans her waren, kam es zur Prügelei. Die fünf Kavaliere hauten sich, wie es im Odenwald nun mal beliebter Brauch war, die Augen dicht.

Nach dem Zwist nistete sich so etwas wie Klarheit in den Köpfen der fünf Herren ein (das soll bei Verliebten ein sehr seltenes Phänomen sein), sie erkannten nämlich, dass sie auf dem besten Wege waren, ihre Freundschaft aufs Spiel zu setzen.

Versöhnung der Streithähne am 2. Januar

Die Legende berichtet von einer feuchtfröhlichen Versöhnung, und um die Gänsgretel hat sich ab diesem Zeitpunkt keiner mehr bemüht. Dem Vernehmen nach ist sie viele Jahre später als alte Jungfer verstorben ….. (Wer's glaubt??).

Alljährlich aber feierten die Fünf fortan den Jahrestag ihrer Versöhnung am 2. Januar, was etliche Herren aus Erbach auch heute noch dazu bewegt, im aus diesem historischen Anlass gegründeten Gänsgretelverein das hohe Lied der Freundschaft zu singen und zu feiern.

Damen haben bei dieser Veranstaltung absolut keinen Zutritt, aber (im Gegensatz zur Gänsgretel) nur an diesem Tag. Damit soll sichergestellt werden, dass in Erbach nicht zuviele alte Jungfern sterben .....

Gänsgretel-Brunnen (auch Badbrunnen genannt) im „Eck“ ist steinernes Zeugnis

An diese Geschichte erinnert in Erbach auch der Gänsgretel-Brunnen im „Eck“ (auch Badbrunnen genannt), der vom Verein betreut wird. Der Badbrunnen – 1964 von einem Erbacher Künstler geschaffen – soll diese Figur, eben jene Gänsgretel, die 1827 ein bis heute nachwirkendes Eifersuchtsdrama auslöste, darstellen.

Nicht unbedingt für jeden nachvollziehbar, oder wie es ein Vereinsmitglied einmal treffend bemerkte: „Wegen dem Besen hätte ich mich nicht gekloppt...!“

Wie man Mitglied wird

Mitglied im Gänsegretel-Verein zu werden ist schwierig, aber nicht unmöglich. Ursprünglich war der Beitritt nur für in Erbach geborene Herren vorgesehen, wenn ihre Aufnahme von allen Mitgliedern einstimmig gebilligt wurde.

Inzwischen ist der „Gi-GACK-Verein“ aber offen für jeden bekennenden Erbacher, wenn er den etwas eigenen Sinn von Humor, der das Wesen des Vereins ausmacht, mit den Ur-Erbacher Vereinsmitgliedern teilen möchte.

Selbst Bewerber mit Michelstädter Migrationshintergrund sind in der Vergangenheit nicht erfolglos geblieben, wenn auch nur mit viel Mühe und sehr guten Argumenten....

Allerdings ist die Gesamtzahl der Mitglieder begrenzt. „Dies ist kein elitärer Dünkel, sondern schlicht der Platznot in unserem früheren Gänsestall im Gasthaus >Zum Eck< geschuldet, und dieses Limit wurde aus Traditionsgründen auch im neuen Vereinslokal >Erbacher Brauhaus< weitgehend beibehalten“, heißt es vom Verein.

Mitglieder vereinen viele Charaktere und Professionen

Bei den Aufnahmekriterien steht ein gesunder Humor und die Fähigkeit, auch über sich selbst zu lachen, ganz oben auf der Liste.

Eine bunte Mischung vieler Charaktere und Professionen hat in diesem Verein zueinander gefunden, Arbeiter und Landwirt, Akademiker und Freiberufler, Rentner und Student, Adel und BĂĽrger, Theologe und Atheist, alle Daseinsformen sind vertreten und haben ihren SpaĂź miteinander.

Am Anfang einer Migliedschaft steht die Bewerbung in schriftlicher Form. Der Fantasie sind dabei keine Grenzen gesetzt, auch ein Bierdeckel diente schon als anerkanntes Formular.

Stimmt die Jahreshauptversammlung dem Beitritt zu, wird der Anwärter über sein zweifelhaftes Glück informiert und hat nun genügend Zeit, sich auf die Aufnahmeprüfung – diese findet nur einmal jährlich am 2. Januar statt – vorzubereiten.

Lustiges und rustikales Aufnahmezeremoniell

Sie besteht im wesentlichen aus dem Singen des Vereinsliedes, auf einem Stuhl stehend und den Text auswendig beherrschend. Erleichternd wirkt sich dabei aus, dass das Lied, wie erwähnt, nur aus einer Strophe besteht, die in drei mundartlichen Varianten vorgetragen wird.

Nach der Aufnahmezeremonie, die mit der Verleihung des Ganserthemdes und des Gansertnamens (jedes Mitglied trägt einen Namen, der im Zusammenhang mit Beruf, Hobby oder sonstigen Auffälligkeiten steht, es gibt einen Büttgansert, Morsegansert, Formengansert, Schafsgansert usw.) einhergeht, entspannen die Schnatterer bei einem weiteren geistigen Getränk und bereiten sich damit auf den Marsch durch die Innenstadt zum Badbrunnen vor.

Der Verein begibt sich dann auf den Weg zum Badbrunnen, um dort öffentlichkeitswirksam die eigentliche Taufe des Neulings zu feiern. Getauft wird er mit dem geweihten Wasser eben jenes Brunnens, der gewissermassen das spirituelle Zentrum des Vereins bildet. Wobei „spirituell“ direkt von „Spirituosen“ abgeleitet werden darf .....

Bei der Taufe wird ein Junggansert einem strengen Taufzeremoniell unterzogen. Das Taufgefäß besteht aus einem „Puhlschepper“ (für Nicht-Odenwälder, ein Jauchegruben-Entleerungsgefäß), das übrigens vom „Zuchtgansert“ in der Regel am Morgen des Tauftages noch in seiner ursprünglichen Funktion verwendet wird (so wird es zumindest erzählt....).

In diesem Jahr keine „Jungganserte“

Diese Zeremonie entfiel in diesem Jahr mangels Bewerbern, sodass am Badbrunnen lediglich Obergansert Jürgen Volk begrüßte und Zuchtgansert Hermann Dingeldey die Vereinsgeschichte verlas. Es versteht sich von selbst, dass laute Giiii-Gack-Rufe der Ganserte die Zeremonie ergänzte.

Dann griff Musikgansert Achim Fischer wieder in die Tasten und der Marsch durch den Schlossgraben in Richtung Marktplatz begann mit lauten Gesängen auch weit über das Gänsgretel-Lied hinaus.

Nach dreimaliger Umrundung des Graf-Franz-Denkmals zog es die Ganserte in den gewärmten „Gänsestall“, dem mit Stroh ausgelegten Sternensaal im Brauhaus. Dort gab's neben leckerem Gänsebraten auch reichlich flüssige Nahrung.

Und als die letzten Ganserte in den frühen Morgenstunden des 3. Januar 2025 meist „flügellahm“ den Heimweg antraten, hatte Annik, die hier zu Besuch weilende und ob des ungewöhnlichen Brauchs staunende Amerikanerin, wahrscheinlich längst von den Erbacher Ganserten und deren Lied geträumt.