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„So arbeite ich seit 20 Jahren“, bekannte Lebensform-Inhaber im Strafprozess um's Standortmarketing

Amtsrichter Helmut Schmied muss sich jetzt auch noch durch ein Rechnungs-Chaos arbeiten.

Ex-Landrat Dietrich Kübler (67, ÜWG) schweigt weiterhin beharrlich..

Das Amtsgericht Michelstadt wird in der Standortmarketing-Affäre des Odenwaldkreises...

...weitere Prozesstage erleben, voraussichtlich bis ins kommende Jahr. Fotos: © by – pdh –

Beim 8. Verhandlungstag im Strafprozess gegen den Odenwälder Ex-Landrat Dietrich Kübler (67, ÜWG) offenbart sich weiteres Chaos: Vertraglose Geschäftsbeziehung wirft Fragen auf + + + Gutachter soll Übersicht über Leistungen einer Werbeagentur bringen

ODENWALDKREIS/ MICHELSTADT. - „So arbeite ich seit 20 Jahren“, sagte der Inhaber der Erbacher Werbeagentur Lebensform GmbH, Johannes Kessel, als Zeuge vor Gericht und löste Augenrollen aus im wie stets gut gefüllten größten Sitzungsraum im Amtsgericht Michelstadt.

Am achten Verhandlungstag im Untreue-Prozess gegen den ehemaligen Odenwälder Landrat Dietrich Kübler (67, ÜWG) war der Geschäftsmann als Gewinner der Ausschreibung für ein neues Kreis-Standortmarketing im Jahr 2012 zur Aussage geladen worden.

Das Verfahren dreht sich um den Vorwurf der Staatsanwaltschaft Darmstadt, die dem Landrat Untreue im Rahmen der Werbemaßnahme vorwirft, weswegen die Förderbank eingeplante und ausgegebene Mittel in Höhe von etwa 70.000 Euro verweigerte.

Agentur beauftragt, die zweimal wegen Mängeln aus Vorentscheidungen herausgefallen war

Zusammen mit weiteren Gebührenzahlungen erkennt die Staatsanwaltschaft einen Schaden in Höhe von knapp 100.000 Euro, der Kreis könnte infolge der Affäre weitere Folge-Schadensbeträge von etwa 400.000 geltend machen.

Dem Beobachter des bisherigen Verfahrens bietet sich nach dem achten Verhandlungstag folgendes Bild: Der damalige Landrat hat in eine Ausschreibung um das Standortmarketing-Projekt (Gesamtvolumen etwa 275.800 Euro) eingegriffen und dafür gesorgt, dass eine Werbeagentur aus seiner Nachbarschaft den gut dotierten Auftrag erhielt.

Und dies, obwohl genau diese Agentur bereits zweimal wegen Mängeln aus den Vorentscheidungen herausgefallen war und gar nicht mehr beim Bieterverfahren dabei sein durfte. Sogar sein eigenes Kreis-Rechtsamt hatte rechtzeitig viermal auf die nun tatsächlich eingetretenen Risiken hingewiesen.

Steuerungsgruppe diente nur als Feigenblatt

Das alles tangierte den Landrat augenscheinlich wenig, er drückte seine Lieblingsagentur durch. Das gesamte Ausschreibungsverfahren durch Einschaltung einer Steuerungsgruppe diente demnach nur als Feigenblatt, weil bei Verwendung von Fördergeldern bestimmte klare Regelungen einzuhalten sind.

Doch nicht nur das. Sobald die Agentur den Zuschlag bekommen hatte, weigerte sie sich, einen entsprechenden Vertrag zu unterschreiben. Man brauche auch gar keinen schriftlichen Vertrag, führte nun am Dienstag Agentur-Inhaber Johannes Kessel aus.

Es genüge, wenn er im Rahmen des Konzepts, für das er den Zuschlag erhalten habe, für jede Einzelmaßnahme ein detailliertes Angebot abgebe, und das dann vom Kunden, in diesem Fall die Odenwald Regionalgesellschaft (OREG), bestätigt werde. Seit 20 Jahren arbeite er auf diese Weise. Belustigung im Zuhörerraum.

Wer hat der Agentur Aufträge übermittelt?

Aber hier beginnen die Divergenzen. Die Mitarbeiter der OREG, die Kessel als Gesprächspartner benannte, hatten als Zeugen zuvor ausgesagt, dass sie ohne schriftlichen Vertrag mit der Agentur weder Aufträge erteilt noch Bestätigungen abgegeben hätten.

Und da stellt sich die Frage: Wer hat überhaupt der Agentur Aufträge übermittelt, wenn noch nicht einmal klar ausgesagt werden konnte, wer ihr den Zuschlag mitgeteilt hatte. Es scheint, dass Ex-Landrat Kübler bei seinem Nachbarn angerufen und die frohe Botschaft übermittelt hatte, aber klar erwiesen ist noch nicht einmal das. Hat die Agentur mit sich selbst den Leistungsumfang ausgewürfelt?

Eindeutig ist zumindest, dass das Auftragsvolumen etwa 81.000 Euro in der ersten Etappe ausmachte, die berechneten Leistungen der Agentur zum Zeitpunkt der ersten Prüfung durch die Wirtschafts- und Infrastrukturbank im Oktober 2013 aber bereits 141.000 Euro umfassten.

Exorbitant teure Münchner Anwälte mussten Rechtssicherheit schaffen

Am 31. Oktober 2013 musste die OREG die Zahlung der ersten Tranchen nachweisen, vor dem 28. Oktober aber lagen noch nicht einmal entsprechende Rechnungen der Agentur vor. Noch schlimmer, der OREG-Geschäftsführer Jürgen Walther war sich nicht sicher, ob er zahlen dürfte, weil er noch nicht einmal einen Vertrag in den Händen hielt.

In einer exorbitant teuren Wochenendsitzung mit Münchner Anwälten besorgte sich Walther die rechtliche Grundlage zur Auszahlung, die dann prompt erfolgte, trotzdem wegen der inzwischen bekanntgewordenen Unregelmäßigkeiten nicht zur Auszahlung der Fördermittel führte.

Aussage der meisten vorherigen Zeugen bestätigt

Der zweite Zeuge des Tages. Jürgen Walther, Vorsitzender der Industrievereinigung Odenwaldkreis (IVO), bestätigte die Aussage der meisten vorherigen Zeugen, dass der Ex-Landrat es offensichtlich darauf angelegt hatte, die Agentur Lebensform trotz zweimaligem Verfehlen der Ausschreibungsmodalitäten zum Sieger des Bieterverfahrens zu erklären.

Die aus den Ämtern kommenden stimmberechtigten Mitglieder der Steuerungsgruppe wurden demnach öffentlich vom Landrat aufgefordert, entsprechend zu votieren, obwohl gerade die IVO auf mögliche Risiken wegen der Eingriffe des Landrats ins Bieterverfahren hingewiesen hatte.

Muss ein Gutachter das Rechnungsgewirr ordnen?

Der Vorsitzende Richter der Strafkammer im Amtsgericht Michelstadt, Helmut Schmied, ist nicht zu beneiden. Einerseits fehlt ihm nach eigenem Bekunden die Fantasie, warum ein Landrat trotz bekannter Risiken derart in festgelegte Fördergrundlagen eingreift, angesichts relativ geringer Beträge. Darin war er sich mit dem Zeugen Jürgen Walther von der IVO einig.

Andererseits steht er vor einem nicht minder großen Problem: Die von der Agentur Lebensform eingereichten und dem Gericht vorliegenden Rechnungen lassen sich absolut nicht den Ausschreibungsanforderungen und dem eingereichten Konzept zuordnen.

Abgesehen davon, dass der berechnete Gesamtbetrag das genehmigte Volumen um etwa 60.000 Euro übersteigt, stimmen berechnete Elemente nicht mit angebotenen überein. Sollte der Richter nun einen Gutachter zur Entwirrung der Rechnungen einsetzten müssen, wird sich der Prozess um Monate verlängern.

Zur Erinnerung: Das Verfahren war im Juli mit drei Verhandlungstagen angesetzt, der achte Tag hat weitere Fragen aufgeworfen. Hatte man im Spaß zunächst vom Verlauf bis Weihnachten gescherzt, ist heute Ostern im Gespräch. Nächster Verhandlungstermin ist am Mittwoch, 25. Oktober, ab 10.00 Uhr im Amtsgericht Michelstadt.