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Dezimiertes Erbacher Stadtparlament zeigt seine Stärke

Zwei von sieben durch BĂĽrgermeister Dr. Peter Traub via Magistrat beantragte Verwaltungsstellen nicht genehmigt, davon eine komplett abgelehnt

ERBACH. - Zu Beginn seiner 37. Sitzung der laufenden Legislatur war das Erbacher Stadtparlament mit 16 Migliedern der insgesamt 31 Stadtverordneten gerade eben beschlussfähig. Wenig später erhöhte ein weiterer Mandatsträger mit seiner Präsenz die Zahl der Stimmberechtigten im Parlament auf 17.

Doch auch das stark dezimierte Stadtparlament zeigte im Verlauf der Sitzung seine Stärke durch Wahrnehmung der selbst auferlegten Wächterfunktion: zwei der von Bürgermeister Dr. Peter Traub via Magistrat beantragten Wieder- oder Neubesetzungen von Verwaltungsmitarbeitenden schoben die Stadtverordneten einen Riegel vor.

Eine Stellenbesetzung komplett abgelehnt

Davon wurde eine Stellenbesetzung komplett abgelehnt, eine weitere soll zunächst in den Gremien besprochen werden, nachdem der Fachbereich >Stadtleben< zuvor einer Organisationsbewertung durch externe Fachkräfte unterzogen werden soll. Fünf weiteren Wieder- und Neubesetzungen erteilte das Parlament einstimmig sein >Go<.

Das Procedere war erforderlich, weil das Erbacher Stadtparlament im April dieses Jahres in der Haushaltssatzung mit einem Mehrheitsbeschluss eine Sperre bei der Neu- und Wiederbesetzung aller städtischer Stellen mit Ausnahme der Positionen zur Kita-Betreuung erwirkt hatte (siehe FACT-Bericht unter: www.de-fakt.de/bundesland/hessen/odenwaldkreis/details/?tx_ttnews).

Wächterfunktion der Stellenbesetzung ernst genommen

Aktuell dokumentierten insbesondere die Fraktionen von SPD, GRÜNEN und Teilen der CDU, dass es ihnen mit der Wächterfunktion über die in der Haushaltssatzung 2024 verankerte Stellensperre für alle Neu- und Wiederbesetzungen angesichts der in den vergangenen sechs Jahre von 100 auf derzeit 160 Mitarbeitende aufgeblähte Stadtverwaltung durchaus ernst ist.

Dies nicht zuletzt auch aufgrund des aktuell bis Jahresende 2024 prognostizierten städtischen Gesamtschuldenstands von rund 17,4 Millionen Euro (rund 14,5 Millionen Kreditaufnahmen und Investitionen sowie 2,9 Millionen Rückzahlungen an die Hessenkasse).

Jahresfehlbedarf 2024 in Erbach „nur noch“ rund 1,2 Millionen Euro

Und trotz eines um 0,3 Millionen Euro gemäß der Prognose zum Stichtag 31.07.2024 bis Jahresende gegenüber dem Haushaltsansatz 2024 gesunkenen Jahresfehlbedarfs von „dann nur noch“ rund 1,2 Millionen Euro. Diese Zahlen wurden zuvor dem Parlament zur Kenntnis gegeben.

Auch in der Genehmigungsverfügung des Erbacher Haushalts 2024 hatte das Regierungspräsidium (RP) Darmstadt als zuständige Behörde „die finanzielle Leistungsfähigkeit der Kreisstadt Erbach als >angespannt< bewertet“.

Weiter heißt es in der Genehmigungsverfügung: „Wegen der Ausgleichslücke des Finanzhaushalts 2024, dem Umfang der bereits bestehenden investiven Fremdfinanzierung und der aktuellen wirtschaftlichen Unwägbarkeiten empfehle ich weiterhin, eigenverantwortlich haushaltswirtschaftliche Sperren ….. auszusprechen sowie eigenständig eine kritische Überprüfung der vorgehaltenen und neu beabsichtigten Leistungen bzw. Standards – konsumtiv, wie investiv – unter den Gesichtspunkten >pflichtig< und >freiwillig< vorzunehmen.

„Auch im Personalbereich ist ein mögliches Konsolidierungspotential zu nutzen“

Um auch künftig finanzielle Gestaltungsspielräume zu sichern, ist es daher ab sofort nicht mehr vertretbar, in disponiblen Bereichen neue vertragliche Verpflichtungen einzugehen.

Auch im Personalbereich ist ein mögliches Konsolidierungspotential zu nutzen. Im Hinblick auf den im Hauhalt 2024 erneut ausgeweiteten Stellenplan empfehle ich, im Rahmen der Personalbewirtschaftung vorhandene Stellen letztlich nur bei tatsächlichem Bedarf zu besetzen.

Auch in diesem Bereich muss eine entsprechende Priorisierung zugunsten der Erfüllung von Pflichtaufgaben erfolgen“, zeigt das RP den zu beschreitenden Weg explizit auf.

Bürgermeister schlägt Stellen mit weiteren Gesamtkosten von 171.000 Euro vor

Vor diesem Hintergrund hatte das Stadtparlament schließlich über die vom Bürgermeister via Magistrat beantragte Wiederbesetzung von fünf Stellen, der Umwidmung einer 0,5 Stelle sowie 1,5 Stellen-Neubesetzungen mit einem Gesamtkosten-Budget in Höhe von weiteren 171.000 Euro über den bereits geplanten Personalkosten zu befinden.

Dazu stellte der Vorsitzende des vorberatenden Haupt- und Finanzausschusses (HuF), Michael Gänssle (ÜWG) fest, dass angesichts der Sperrklausel im Stellenplan einzeln über die jeweiligen Stellen zu befinden war. Fünf dieser Stellen wurden mit jeweils sechs Stimmen im HuF und damit einstimmig zur Annahme empfohlen.

Dabei handelte es sich um:

  1. eine Vollzeitstelle – Personalleitung; Wiederbesetzung wegen Kündigung mit für 2024 bereits geplanter Personalkosten;

  2. eine Vollzeitstelle – Gerätewart; Wiederbesetzung wegen Aufhebungsvertrag mit ebenfalls für 2024 bereits geplanter Personalkosten;

  3. eine Vollzeitstelle – Bauamt, techn. Infrastruktur, Unterhaltung und Betrieb, Neubesetzung; Stelle zusammengesetzt aus vorhandener 0,5 Stelle – Techn. Infrastruktur, Unterhaltung und Betrieb, und Umwidmung 0,5-Archivstelle. Personalkosten müssen zur Verfügung gestellt werden, diese liegen bei jährlich 65.000 Euro;

  4. eine Vollzeitstelle Finanzabteilung – Steueramt; befristete Wiederbesetzung aufgrund von Elternzeit, Personalkosten für 2024 sind geplant;

  5. eine Vollzeitstelle BürgerService und Ordnungsamt – Feuerwehr; Neubesetzung, Personalkosten müssen zur Verfügung gestellt werden und belaufen sich auf jährlich 76.000 Euro.

Bei diesen Positionen folgte das Stadtparlament einstimmig der Beschlussempfehlung des HuF. Diese EinmĂĽtigkeit endete jedoch an diesem Punkt.

Wie sich schon im HuF abgezeichnet hatte gab es für die Wiederbesetzung einer 0,5 Stelle in der Abteilung Stadtleben – Wiesenmarkt und Schlossweihnacht wegen Kündigung, mit geplanten Personalkosten für 2024, und einer 0,5 Stelle Neubesetzung, zu der Personalkosten in Höhe von 30.000 Euro zur Verfügung gestellt werden müssen, einen ersten Dissens.

Zunächst soll eine Organisationsuntersuchung in der Abteilung Stadtleben erfolgen

In der Diskussion habe man im HuF festgestellt, dass es sich um freiwillige Leistungen handele und zunächst eine Organisationsuntersuchung in der Abteilung Stadtleben erfolgen solle. Auf Basis des Untersuchungsergebnisses solle die Stellenbesetzung erneut besprochen werden, trug Gänssle die Mehrheitsmeinung im Ausschuss vor.

In diese Richtung entwickelte sich dann auch die Diskussion im Parlament, während Bürgermeister Traub warnte, „freiwillige Leistungen nicht zu sehr einzuschränken“. Es höre sich „immer schön an“ Pflichtaufgaben zu priorisieren.

SchlieĂźlich verweise das RP jedes Jahr darauf, auf Stellenbesetzungen zu achten und zwischen Pflicht- und freiwilligen Leistungen zu differenzieren. Gleichwohl habe er kein Problem damit, die Stelle einer Organisationsbewertung zu unterziehen.

„Anforderungen sind deutlich größer geworden als vor 30 Jahren“

Er halte es jedoch für ausgesprochen wichtig, die Stelle für Wiesenmarkt und Schlossweihnacht von einer seither 0,5 Stelle auf eine Vollzeitstelle auszuweiten, „denn die Anforderungen sind deutlich größer geworden als vor 30 Jahren“, sagte Traub.

Weil die Aufgaben für Schlossweihnacht und Vorbereitungen für den Wiesenmarkt 2025 zum Jahresende 2024 anstünden gelte es keine Zeit zu verlieren, um diese Position in der Verwaltung für die Zuarbeitung für Marktmeister Peter Breitenbach zu gewährleisten. Deshalb müsse die Position zeitnah ausgeschrieben werden.

„Die Angelegenheit ergebnisoffen angehen“

Dem hielt André Weyrauch (CDU) entgegen, man solle hier keine politischen Schachzüge der Orga-Prüfung voranstellen und das Ergebnis der Überprüfung nicht vorwegnehmen, sondern die Angelegenheit ergebnisoffen angehen.

Der christdemokratische Stadtverbandsvorsitzende sieht Erbach bei der Besetzung solcher Stellen in Konkurrenz mit anderen öffentlichen Institutionen, „denn es wird angesichts der Gehaltsstrukturen im Rhein-Main-Gebiet niemand aus Frankfurt nach Erbach kommen, um eine solche Stelle zu besetzen“.

Auch SPD-Fraktionschef Gernot Schwinn warnte davor, „den zweiten vor dem ersten Schritt zu machen“, während Michael Gänssle, ÜWG-Fraktionschef, es für wichtig erachtet „die Abteilung funktionsfähig zu halten und die Zeit, die man noch hat, zu nutzen“.

„Eigentlich bräuchten wir auch noch einen Abteilungsleiter in der Abteilung Stadtleben“

„Wenn die Stelle nicht besetzt wird, bin ich gezwungen umzubesetzen“, dann würden andere zentrale Dinge liegenbleiben, sagte der Bürgermeister und ergänzte: „Eigentlich bräuchten wir auch noch einen Abteilungsleiter in der Abteilung Stadtleben“, denn diese Funktion fülle er quasi nebenbei noch aus.

Hartmut Myska vertrat die Auffassung, „wenn Stellen wegfallen, kann man die Arbeit keinem anderen überstülpen“. Deshalb votiere er für Wiederbessetzung, sagte der ÜWG-Parlamentarier.

„Know how in Verwaltung schaffen und klären, ob man am externen Marktmeister festhalten will“

Parlamentsvorsteher Antonio Duarte gab den Vorsitz ab und sagte, man müsse „Know how in der Verwaltung schaffen und im Marktausschuss klären, ob man langfristig an einem externen Marktmeister festhalten will“.

Hier habe der vor mehr als sechs Jahren ausgeschiedene Frank Reubold eine deutliche Lücke hinterlassen. Wichtig sei schlussendlich „wer dort sitzt“, befand Duarte.

Mit dem aktuellen freien Marktmeister habe man „einen hochkomplexen Vertrag ausgearbeitet“, sagte Bürgermeister Traub. „Kein anderer würde das für dieses Geld machen“, lobte er die Einsatzbereitschaft des Marktmeisters und verwies darauf: „Das ist kein Selbstläufer.“

„Bei einer Negativentscheidung breche ich dann den Prozess ab“

Sein Vorschlag sei, sagte Traub, er wolle die Stelle ausschreiben und auf die parlamentarische Entscheidung warten. „Bei einer Negativentscheidung breche ich dann den Prozess ab.“

GRÜNEN-Fraktionschefin Christa Weyrauch fände es gut „jemanden in der Verwaltung aufzubauen“ und empfahl „noch eine Runde zu drehen, um einer möglichen kompletten Umstrukturierung mit anderen Anforderungen eine Chance zu geben“.

Eine zentrale Rolle spiele der Marktmeister neben dem man eine professionelle Kraft aufbauen müsse, sagte Traub. „Der Wiesenmarkt 2025 muss laufen, so wie es jetzt aussieht ist die Organisation hochgefährdet, ansonsten muss ich jemanden umbesetzen.“

„Schade, dass man so wenig Achtung vor dem Haus hat“, entgegnete Christa Weyrauch und blieb bei ihrem Vorschlag, in den Gremien „noch eine Runde zu drehen“.

Dem pflichtete Michael Gänssle bei, „damit nicht andere aus falschen Gründen >nein< sagen“, auch wenn er sich eine sofortige Wieder- und Neubesetzung der Stelle vorstellen könne.

Bei vier Gegenstimmen wurde die aktuelle Wieder- und Neubesetzung dieser Stelle bis zum vorliegenden Ergebnis der Organisationsbewertung verschoben und die Angelegenheit in den Marktausschuss zurĂĽckgegeben.

Nach diesen umfangreichen Diskussionsbeiträgen machte das Parlament bei der anstehenden siebten Stellenbesetzung kurzen Prozess.

Wiederbesetzung der Stabsstelle Medien- und Ă–ffentlichkeitsarbeit wegen Elternzeit abgelehnt

Bürgermeister Traub warb auch hier für die Wiederbesetzung der Stabsstelle Medien- und Öffentlichkeitsarbeit wegen zweijähriger Elternzeit der seitherigen Stelleninhaberin. Die Personalkosten hierfür sind im Haushalt 2024 eingestellt.

Schon im HuF gab es mit 3:3 Stimmen ein Patt und damit eine ablehnende Zustimmungsempfehlung. Dazu erläuterte der Rathauschef, bis auf eine auf 538-Euro-Basis beschäftigte neue Mitarbeiterin habe er die Aufgaben der seitherigen Stelleninhaberin auf andere Hauptamtsmitarbeitende verteilt.

„Werde Notverteilung der Aufgaben kommende Woche wieder rückgängig machen“

„Damit läuft derzeit nur das Notwendigste, andere zentrale Aufgaben bleiben liegen“, klagte der Bürgermeister. Ungeachtet dessen lehnten SPD, GRÜNE und zwei CDU-Vertreter die Wiederbesetzung ab bei einer FDP-Enthaltung und fünf Befürwortern aus der ÜWG und einem CDU-Vertreter.

„Man erlebt immer wieder Überraschungen“, sagte ein sichtlich gekränkter Peter Traub und kündigte an, er werde die „Notverteilung der Aufgaben kommende Woche wieder rückgängig machen“ und Hauptamtsmitarbeiter nicht wieder für Medien- und Öffentlichkeitsarbeit abstellen.