Unheilvolle Geschäftsverbindung offenbart sich im Strafprozess gegen Ex-Landrat Kübler
Lebensform-Geschäftsführer Johannes Kessel führt Aufträge im Gesamtvolumen von 140.000 Euro ohne vertragliche Grundlage aus und weiß nicht mehr, wer ihm den Auftrag erteilt hatODENWALDKREIS / MICHELSTADT. - Der achte Verhandlungstag im Strafprozess gegen den früheren Landrat des Odenwaldkreises Dietrich Kübler (67, ÜWG) vor dem Amtsgericht Michelstadt sah mit Johannes Kessel den Mann im Zeugenstand, der als Chef der Erbacher Werbeagentur Lebensform GmbH im Fokus der Standortmarketing-Affäre stand.
Die unheilvolle Verbindung des früheren Verwaltungschefs Kübler im Erbacher Landratsamt, der mit dieser Liaison den Grundstein für seine Abwahl legte und sich deshalb jetzt auch vor dem Strafrichter verantworten muss, und dem Agentur-Inhaber Kessel, basiert offenbar auf der Fortsetzung eines Geschäftsmodells, mit dem der Agenturchef der Lebensform GmbH Leben einhaucht.
„So arbeite ich seit 20 Jahren“ - auch dem nicht vorbelasteten Zuhörer drängte sich nach der Zeugenaussage von Johannes Kessel die Frage auf, ob die Unverbindlichkeit, die hinter dieser Aussage steckt, nicht zum Prinzip erhoben worden ist.
275.000 Euro-Auftrag basierte auf Mitteilung „wir hätten Ausschreibung gewonnen“
Diese in 20 Jahren erprobte Arbeitsweise offenbarte sich im Verlauf der Zeugenvernehmung in der Hauptverhandlung u.a. so: Ohne vertraglich fixierte Geschäftsgrundlage (Kessel auf Frage des Richters weshalb er keinen Vertrag unterschrieben habe: „Der von der OREG zur Unterschrift vorgelegte Vertrag war mir zu allgemein, zu altbacken.“) sollte also der Auftrag „Standortmarketing-Konzept“ und dessen Umsetzung im Gesamtvolumen von 275.800 Euro abgewickelt werden.
Diesen Auftrag habe seine Firma mündlich oder per Mail erhalten, an Einzelheiten, insbesondere auch daran, wer diese Mitteilung überbracht habe, könne er sich nach so langer Zeit nicht mehr erinnern, er wisse nur, dass mitgeteilt worden sei, „wir hätten die Ausschreibung gewonnen“, sagte Kessel.
Pikant auch die Tatsache, dass unter dem Datum 28.10.2013 drei Rechnungen der Agentur im Gesamtvolumen von zusammen gut 101.000 Euro unter dem Angebotsbezug 12.12.2012 der mit den administrativen Aufgaben beauftragte Kreistochter OREG vorgelegt wurden, ohne dass es unter dem Datum 12.12.2012 auch nur ein einziges Angebot gab.
Neue Homepage des Kreises mit Hauptabteilungsleiter Oliver Kumpf besprochen
Johannes Kessel konnte sich zwar noch daran erinnern, die Erneuerung der Homepage des Odenwaldkreises, die weder Bestandteil der Ausschreibung zum Standortmarketing-Konzept, noch als Leistungsmerkmal angeboten worden war, angeblich entgegen sonstiger Gepflogenheiten, mit dem Hauptabteilungsleiter Oliver Kumpf im Erbacher Landratsamt abgestimmt zu haben.
Erinnerungslücken offenbarte er jedoch bei der Frage, ob diese Leistung im Gesamtpaket Standortmarketing und unter welcher Position an die OREG abgerechnet worden sei. Solche Details wisse er nicht, dafür seien seine Mitarbeiter zuständig, sagte Kessel.
Widersprüchliche Zeugenaussagen
Im Gedächtnis geblieben war ihm indes wiederum, wer ihn angeblich mit Leistungen, die über das ursprüngliche Angebot hinaus gingen, beauftragt hatte. Namentlich nannte Kessel dazu den früheren OREG-Geschäftsführer Jürgen Walther, sowie die Projektleiterinnen Gabriele Quanz und Meike Mayer.
Diese Zeugen hatten bei früheren Vernehmungen vor Gericht jedoch unisono ausgesagt, keine solchen Aufträge erteilt zu haben. Dem Vorhalt des Richters zu diesem Faktum begegnete Kessels Rechtsbeistand Amann mit der Aussage „Egal was Zeugen sagen“, und erntete damit heftiges Raunen aus dem Gerichtssaal.
Meike Mayer hatte nach eigener Schilderung vielmehr ob des fehlenden Vertrags einerseits, sowie nicht dem ursprünglichen Angebot gemäß der Ausschreibung angepassten Leistungen seinerzeit davor gewarnt, dass die Kosten „aus dem Ruder laufen“, und ihr die Angelegenheit „zu heiß“ wurde. Meyer hatte deshalb damals sogar um Rückversetzung auf ihren ursprünglichen Arbeitsbereich gebeten.
Agenturtexte mussten von OREG-Mitarbeiterinnen erstellt werden
Auch steht Kessels Darstellung bezüglich der Texterstellung im Widerspruch zu anderen Zeugenaussagen: Während der Agenturinhaber jetzt behauptete „Ich habe alle Texte erstellt“, wussten die zuvor gehörten Zeuginnen Gabriele Quanz und Meike Mayer von anderen Vorgängen zu berichten.
So seien die ursprünglich im Konzept als Agenturleistung im Gesamtbetrag von 81.000 Euro ausgewiesene Textleistungen den OREG-Mitarbeiterinnen aufgebürdet worden, wie beide Zeuginnen übereinstimmend bekundeten (siehe FACT-Bericht unter: www.de-fakt.de/bundesland/hessen/odenwaldkreis/details/?tx_ttnews).
Falsche Rechnungsadressen waren angeblich ein „Versehen“
Die dem Gericht vorliegenden Fakten, dass Lebensform-Angebote zum Gesamtauftrag an den Hauptabteilungsleiter im Landratsamt gingen anstatt zur zuständigen OREG bezeichnete Johannes Kessel als wenig tragisches „Versehen“, denn schließlich sei die OREG ja eine Kreistochter, die sicher auch über diesen Weg die entsprechende Post erhalten hätte.
Die Frage des Vorsitzenden, ob der Angeklagte in Auftragsabwicklung oder Rechnungsangelegenheiten involviert gewesen sei, verneinte Kessel vehement und sagte, er habe mit Dietrich Kübler im Zusammenhang mit der Auftragsabwicklung nichts zu tun gehabt.
Mail an Privatadresse widerlegt Aussage zu nicht vorhandenem Kontakt
Dieser Aussage hielt der Richter jedoch entgegen, dass er seinem Duzfreund Kübler (Kessel: „Wir kennen uns seit vielen Jahren, privat allerdings nicht näher, duzen uns, weil das in unserem Dorf so üblich ist, Geschäftsbeziehungen gab es erst im Landratswahlkampf 2008/2009“), dem damaligen Landrat, am 29.10.2013 laut einer dem Gericht vorliegenden Mail an dessen Privatadresse gedankt habe: „Es sieht so aus, als ob es doch etwas bewirkt hätte, dass Du dem Walther Bescheid gesagt hast.“
Gemeint war damals, dass der OREG-Geschäftsführer Jürgen Walther auf Weisung des Aufsichtsratsvorsitzenden Kübler und unter Drohungen, er werde im Verlustfalle der Fördergelder selbst regresspflichtig gemacht, die Lebensform-Rechnungen für bis dahin erbrachte Leistungen ohne schriftliche Vertragsgrundlage angefordert und bezahlt hatte.
Der Lebensform-Inhaber konnte das Gericht auch nicht aufklären über die Frage, welche Leistungen aus seinem ursprünglichen Angebot über 81.000 Euro unter welchen Positionen in dem von ihm letztendlich abgerechneten Gesamtvolumen von 140.000 Euro enthalten sind und was an angeblich beauftragten Zusatzleistungen erbracht worden sei.
„Unmöglich“, die eigenen Rechnungen aufzusplitten
„Es ist mir unmöglich, die Rechnungen entsprechend aufzusplitten“, sagte Johannes Kessel. Das könne er bestenfalls in seinem Büro im Zusammenwirken mit seinen Mitarbeitern und unter Zuhilfenahme der zu diesen Vorgängen gespeicherten Unterlagen erledigen.
Kessel wurde jetzt im Zeugenstand von seinem Rechtsbeistand, Rechtsanwalt Pascal Charles Amann aus Darmstadt, begleitet. Dieser verwandelte sich im Laufe der Verhandlung vom Rechtsbeistand zum aggressiven Verteidiger und ließ sich nicht einmal daran hindern, an Stelle des befragten Zeugen dessen Antworten vorwegzunehmen. Vorwärtsverteidigung eines Zeugen ist im Gerichtssaal ungewöhnlich und lässt weiteren Schlussfolgerungen breiten Raum.
Selbst die Rüge des Vorsitzenden Richters Helmut Schmied „Sie verfälschen mit Ihren Antworten anstelle der Ihres Mandanten die Beweisaufnahme, beschränken Sie sich bitte auf Ihre Aufgabe“, konnte den Juristen weder in seinem Redeschwall bremsen, noch ihn davon abhalten sich in Sitzungspausen mit zwei Verteidigern des Angeklagten in eine ruhige Ecke des Gerichts zur Lagebesprechung zurückzuziehen.