„Historische Erkenntnisse, die Stoff für abendfüllende Diskussionen bergen“
Landrat Frank Matiaske und Kreisarchivarin Anja Hering haben das neue Odenwälder Jahrbuch für Kultur und Geschichte vorgestellt: „gelurt 2017“ODENWALDKREIS / ERBACH. - Das vom Kreisarchiv des Odenwaldkreises seit 1994 jeweils in der Adventszeit herausgegebene Odenwälder Jahrbuch für Kultur und Geschichte mit dem beziehungsreichen Titel „gelurt“ ist in der 23. Ausgabe erschienen. Landrat Frank Matiaske stellte das Werk am Mittwoch, 30. November, gemeinsam mit Archivarin Anja Hering im historischen Sitzungssaal (Saal Robert Burns) der Kreisverwaltung in Erbach offiziell vor.
Sie begrüßten die Mehrzahl der Autorinnen und Autoren, die Beiträge für den 276 Seiten starken und 915 Gramm schweren Band verfassten. In seinem Vorwort bezeichnet Matiaske das Buch als ein bemerkenswertes Kaleidoskop historischer Themen aus der Region, das Vergangenes beleuchte und zugleich Einsichten für die Gegenwart erhelle.
An die Heimatforscherinnen und Heimatforscher gewandt, knüpfte der Landrat daran an und sagte mit dem Blick auf mancherlei Überraschendes in den verschiedenen Artikeln, „gelurt 2017“ präsentiere „historische Erkenntnisse, die Stoff für abendfüllende Diskussionen bergen“.
Matiaske sah das zur guten Tradition gewordene Zusammentreffen der Mitwirkenden als „Geburtsstunde“ der neuen Auflage und überreichte das erste Exemplar an Graf Raimund zu Erbach-Fürstenau, den er als „kritischen und streitbaren Partner“ der regionalen Geschichtsforschung ansprach. Der Archivalienbestand in Fürstenau bringe Licht in die historischen Epochen des Kreises vor dem 19. Jahrhundert.
Anja Hering umriss die einzelnen Berichte und gab deren Urhebern Gelegenheit, Inhalte selbst kurz zu erläutern. Allein der Streifzug durch dieses eine Jahrbuch enthielt eine solche Vielzahl an interessanten Hinweisen, dass der Chronist einen Roman über die bemerkenswerte Aufsatzsammlung hätte schreiben können. Der frühere Landrat Horst Schnur, seit vielen Jahren als Autor im „gelurt“ vertreten, bewertete das Werk als besondere Form eines „regionalen Gedächtnisses“.
Der M-&-K-Verlag in Michelstadt-Steinbach hat das Buch in Schwarz-Weiß gedruckt, redaktionell bearbeitet wurde es von Kreisarchiv-Leiterin Hering, unter Mitarbeit und Mithilfe von Wolfgang Bastian, Georg Dascher, Tanja Gold, Heidi und Heinz Otto Haag sowie Stefanie Striller.
Die Titelseite zeigt die alte Linde in Kainsbach. Dabei handelt es sich um eine Bleistiftzeichnung von Egbert Striller, der schon seit längerer Zeit jeweils den Baum des Jahres skizziert und in seinem Beitrag (Abschied der Metamarphosen, II. Teil) Baumgestalten sowie die Kultur der Landschaft beschreibt und mit Zeichnungen und Fotos illustriert.
Striller schenkte das Originalbild in der Größe von 30,5 auf 43 Zentimeter dem ältesten der heimatlichen Schreiber und Nestor der „gelurt“-Reihe, dem Ober-Kainsbacher Georg Dascher.
Von fünf Autorinnen und 23 Autoren stammen die insgesamt 25 Artikel des neuen Jahrbuches, um das Layout kümmerte sich das Kreisarchiv. Der Geologe Jochen Babist hält in Wort und Bild Beobachtungen zu Erdfällen und Bodenabsenkungen im Mümlingtal fest, insbesondere in Steinbach.
Antje Vollmer hat unter dem Titel „Der erste steinerne Bau der Stadtkirche zu Michelstadt“ Forschungsergebnisse, angefangen vom Jahr 815 mit der Schenkungsurkunde von Ludwig dem Frommen an Einhard mit der Errichtung der Einhardsbasilika, kritisch unter die Lupe genommen.
Die Michelstädter Stadtkirche steht auch im Mittelpunkt des Beitrages von Thomas Seifert, der sich mit dem Tumba-Frevel (Tumba = steinernes, manchmal auch metallenes Grabmal) befasst. Michael Weber beschreibt das wechselvolle Leben und Wirken der Gräfin Barbara von Wertheim (1500-1561) als vormundschaftliche Regentin in der Reformationszeit. Über die Reformationszeit berichtet auch Heidi Banse unter dem Titel „Magaretha Götz . . .brachte die Neidköpfe nach Michelstadt“.
Horst Wendel beleuchtet den Besuch von August Hermann Francke in der Grafschaft Erbach, der sich Verdienste um Waisenhäuser erworben hatte. Dr. Peter W. Sattler widmete sich einer wappengeschichtliche Epoche des Hauses der Grafen zu Erbach-Erbach im Mittelalter. Dr. Johann Heinrich Kumpfs Artikel dreht sich um den „Hochgräflichen Erbachischen Hof- und Canzleybuchdrucker Friedrich Julius EngweiIer zu Michelstadt“.
In der Zeitreise, die diese Ausgabe des Buches „gelurt“ unternimmt, geht es weiter mit dem Beitrag von Ludwig Fertig über die „Prinzenpädagogik zur Reichsgründungszeit“. „Karl Balthasar Gaydoul, ein Waldenser in Michelstadt“, so heißt der Aufsatz von Heidi Haag über die Epoche der Vertreibung der Waldenser und Hugenotten aus Frankreich und den Namen Gaydoul.
Werner Heil beschäftigte sich mit dem Leben von Hannickel Lügenbiehl, einem Odenwälder Original, der zwar nicht so bekannt geworden war wie der Raubacher Jockel, aber es doch wert ist, vor dem Vergessen bewahrt zu werden. Heinz-Otto Haag, Anwohner der Rudolf-Marburg-Straße in Michelstadt, geht auf Spurensuche nach deren Namensgeber, der als Gründer des Odenwaldmuseums gilt.
Viele Odenwälder wanderten im 19. Jahrhundert nach Amerika aus. Georg Dascher ruft Briefe einiger ausgewanderter Böllsteiner in Erinnerung, die sie an Verwandte und Freunde in ihrer Heimat schickten. Georges Sebastian Roche, einem Hauptmann der königlich-serbischen Armee und Bürger Michelstadts, widmet Willi Bischoff seinen Beitrag.
Werner König geht auf Besprechungen des Kollegiums der Stadtschule Michelstadt während der Nazizeit ein. Brigitte Diersch beschreibt das Ende der Zeit des Nationalsozialismus in Erbach, als amerikanische Soldaten einmarschierten.
Horst Schnurs Artikel hat das rätselhafte Raibacher Bild zwischen Neustadt und Hainstadt zum Thema, eine Rückblende in die Keltenzeit. Schnur war es, der im ersten „gelurt“ (1994 auf 95) das Wort „luren“ mit „aufmerksam lauschen, zuhören, horchen, heimlich spähen, mit Augen und Ohren scharf aufpassen, gespannt auf etwas warten“ erklärte.
Kaum ein Odenwälder kennt den Beerfelder Metzkeil nicht, über dessen Geschichte Dr. Rolf Reutter berichtet. Aber wo befindet sich die „Lichte Platte“? Dass es sich dabei um eine schon fast vergessene Siedlung von Vielbrunn handelt, zeigt Nobert Allmann auf. Hans-Günther Morr stellt das „Leben am und um den Ulfenbach“ im Überwald (Kreis Bergstraße) mit einem „kleinen kulturhistorischen Spaziergang“ vor.
Gleich vier Autoren – Cornelia Fürpahs-Zipp, Dr. Fritz Roth, Dr. Peter W. Sattler und Winfried Wackerfuß – blicken auf 65 Jahre Bestehen der Akademie für lebenslanges Lernen / Volkshochschule Odenwaldkreis zurück.
Der Jahresrückblick von Wolfgang Bastian vom Pressedienst des Kreises gibt Gelegenheit, eventuell selbst Erlebtes oder auch nur Gehörtes oder Gesehenes Revue passieren zu lassen. Die Bücherecke von Karl-Ludwig Schmitt rundet das Jahrbuch ab.