Familienhilfe mit Format
Horst Pilger geht nach 30 Jahren im Jugendamt in den RuhestandODENWALDKREIS / ERBACH. - Horst Pilger muss nicht lange überlegen, um die Arbeitsweise des Jugendamts in einem Symbol zu beschreiben. „Sie ist letztlich wie ein starkes Netz“, sagt er.
„Nur mit einem vernetzten, strukturierten und gemeinsamen Handeln der Abteilungen des Jugendamts kommen unsere Hilfen bei Kindern, Jugendlichen sowie jungen Erwachsene und deren Familien an.“ Hierfür steht auch die Abteilung „Besondere Soziale Dienste“, die Pilger seit 1995 geleitet hat.
Gerade in diesem sehr sensiblen Feld schätzt Pilger klare Absprachen. So hat er im Jugendamt mit dafür gesorgt, dass es sie gibt und damit eine bestimmte Arbeitskultur geprägt, was auch sein Chef, Jugendamtsleiter Ralf-Franz Bär, honoriert: „Durchdachte Abläufe sind kein bürokratischer Selbstzweck. Sie sichern eine qualitativ gute Arbeit für Familien.“
Nun ist Pilger mit 63 Jahren in den Ruhestand gegangen. Nach insgesamt 30 Jahren im Jugendamt. 1988 bis 1995 hatte er als Erziehungsbeistand gearbeitet, dann übernahm er die Leitung der „Besonderen Sozialen Dienste“ und damit ein Feld, das sich immer wieder gewandelt und ihn täglich vor neue Herausforderungen gestellt hat: „Eintönig war die Arbeit nie.“
So ist Pilger bei aller Erfahrung kein abgestumpfter Routinier geworden, der ohne Emotionen zu Werke geht. Er freute sich immer, wenn ein Pflegekind in seiner neuen Familie aufblĂĽht.
Wenn eine Sozialpädagogische Familienhilfe greift oder ein Heimaufenthalt beendet wird und ein Jugendlicher zurück zu seiner Familie kann, war das für ihn viel mehr als bloß ein gelungener Verwaltungsakt. Und seine Kollegen? Sie hatten in ihm einen lebhaften, meinungsstarken Mitstreiter.
„Er hat seine fachliche Sicht immer eingebracht“, anerkennt Bär. „Mit Überzeugung für seine Argumente, aber auch mit der ebenso großen Bereitschaft, sich von Argumenten anderer überzeugen zu lassen.“
Zu Pilgers Arbeitsfeld gehören die Ambulanten Dienste (vor allem Erziehungsbeistandschaft und Sozialpädagogische Familienhilfen), die Jugendgerichtshilfe, die Fachberatung für Kindertageseinrichtungen und die Tagespflegefachberatung sowie der Pflegekinderdienst.
Im Jahr 2016 wurden beispielsweise 35 Familien über Sozialpädagogische Familienhilfen betreut, hatte die Jugendgerichtshilfe mit mehr als 320 Fällen zu tun, gab es im Blick auf die Kinderbetreuung zu allen 15 Kommunen im Kreis und zu allen freien Trägern Kontakt.
Zudem wurden 79 in Dauerpflege lebende Kinder und Jugendliche betreut, sechs konnten nach Inobhutnahmen in Bereitschaftspflegefamilien untergebracht werden.
Pilger ist ein Odenwälder. In Breuberg-Neustadt geboren, hat er die Sozialarbeit immer interessant gefunden. Erste Erfahrungen sammelte er in einer freiwilligen Mitarbeit in der gewerkschaftsnahen Jugendbildungsarbeit.
Dem Studium der Sozialpädagogik in Frankfurt folgte die erste Stelle: Von 1983 bis 1988 leitete Pilger ein Jugendhaus in Offenbach. Danach fing er im Jugendamt des Odenwaldkreises an – und blieb.
Das Amt war damals noch sehr klein, wuchs aber im Laufe der Zeit. Wesentlicher Grund dafür war das Kinder- und Jugendhilfegesetz, das im Jahr 1991 in Kraft trat und viel differenziertere Leistungen vorsah als das Vorgängergesetz. „Das war ein regelrechter Paradigmenwechsel“, so Bär.
„Zum Beispiel werden Eltern seither immer einbezogen, gibt es Hilfepläne, die gemeinsam erarbeitet werden.“ Doch nach wie vor werde das Jugendamt vor allem als Kontrollbehörde wahrgenommen und weniger als ein „Makler von Hilfen“, beklagt Bär. „Ja, das Jugendamt ist eine Behörde. Verwaltung ist bei uns aber doch etwas anderes als klassische Administration. Schließlich haben wir es mit Menschen zu tun.“
Pilger hat sich als ein solcher Makler verstanden und steht zu den Entscheidungen, die er getroffen hat. Auch zu den schwierigen, etwa jenen, ein Kind in Obhut zu nehmen. „Mir war immer wichtig, zu den jeweils besten Lösungen zu kommen“, sagt er.
Um sie zu finden, war er an den einzelnen Fällen nicht nur interessiert, sondern es gehörte zu seiner Leitungsaufgabe, sich mit seinen Mitarbeitern über sie auszutauschen, vor allem über die komplizierten.
Worauf Pilger stets setzen konnte, waren außer seiner Verwurzelung im Odenwald („Der Dialekt hat mir durchaus geholfen, Vertrauen zu Familien aufzubauen“) seine langjährige Zusammenarbeit mit den Abteilungsleiterinnen und -leitern des Jugendamts, insbesondere mit den Leitern der Amtlichen Jugendhilfe und des Allgemeinen Sozialen Dienstes, Oswald Friedrich und Rudi Ihrig, sowie ein enger Draht zu seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern mit ihrem enormen Fachwissen.
Eine von ihnen, Karina Glabisch aus dem Team des Pflegekinderdiensts, ist zum 1. April seine Nachfolgerin geworden.
Angst vor dem Ruhestand hat er nicht. Er überlegt kurz, ist sich dann aber sicher: „Ich werde nicht in ein Loch fallen.“ Dazu wird ihm schon seine ein Jahr alte Enkelin wenig Gelegenheit geben, aber auch seine kommunalpolitische Tätigkeit in der Erbacher Stadtverordnetenversammlung und nicht zuletzt sein Hobby: Gitarre spielen und Heimwerken.
Den Blaumann kann Pilger nun noch öfter aus dem Schrank holen als bisher. Mit dem Jahresbeginn hatte er seine Arbeitszeit ohnehin schon reduziert und Teile seines Verantwortungsgebietes abgegeben.
Stattdessen war er noch ab und zu tätig, vor allem im Bereich Kindertagespflege und um seine Nachfolgerin einzuarbeiten. „Zehn Stunden in der Woche“, sagt er, mit der Betonung auf „zehn“, um eine deutliche Grenze zu setzen. Pilger ist eben ein Mann, der Klarheit schätzt.
Dank von Landrat Matiaske und Jugend-Dezernent Grobeis
Zum Abschied aus dem Dienst hat Landrat Frank Matiaske Horst Pilger am Dienstag, 17. April, für dessen langjährigen Einsatz gedankt. Dieser sei von „Leidenschaft für die Sozialarbeit“ geprägt gewesen, hob Matiaske im Landratsamt hervor. Pilger habe viel für die Menschen im Odenwaldkreis getan.
Dem Dank schloss sich der für Jugend zuständige Erste Kreisbeigeordnete Oliver Grobeis an. Pilger sei immer am Einzelfall orientiert gewesen und habe stets „von den Kindern her gedacht“. Für die Sozialpolitik im Kreis sei Pilger stets ein wichtiger und kritischer Begleiter gewesen, so Grobeis.
An der Feierstunde nahmen auch Jugendamtsleiter Ralf-Franz Bär und Personalamtsleiter Manfred Kaufmann teil, die Pilger für die gute Zusammenarbeit ebenso dankten und ihm für den Ruhestand alles Gute wünschten wie die Personalratsvorsitzende Britta Ziefle und die Gleichstellungsbeauftragte Petra Karg.
Auch Pilger würdigte die hohe Bereitschaft zur Kooperation, sowohl im Jugendamt selbst als auch darüber hinaus. „Das Jugendamt war nie ein statisches Amt. Ich habe gerne hier gearbeitet.“