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Bloß nicht mit der Schwiegermutter allein im Raum

Judith Albrecht vermittelte Wissen ĂŒber gĂ€ngige Umgangsformen bei anderen Kulturkreisen. Foto: Bernhard Bergmann

Vortrag in Michelstadt: Von den schönen und den schwierigen Seiten der Gastfreundschaft

MICHELSTADT. - Komplimente sind ja eine schöne Sache. Im Iran aber zum Beispiel sollte man vorsichtig damit umgehen. Es kann sonst sein, dass man ein fĂŒr seine Schönheit gelobtes SchmuckstĂŒck als Geschenk angeboten bekommt.

Das aber, so wollen es die gÀngigen Umgangsformen, darf man dann keinesfalls annehmen, man muss es mehrfach höflich ablehnen.

Erst wenn eine bestimmte Anmerkung kommt, die soviel bedeutet wie „ganz im Ernst“, dann kann, ja dann sollte man es sogar annehmen, um abermals kein Befremden auszulösen. Ob man es dann gerne tragen mag, ist freilich eine andere Frage.

So etwas aber muss man erstmal wissen, wenn es drauf ankommt, und so nannte Judith Albrecht dieses Beispiel bei ihrem gleichermaßen informativen wie unterhaltsamen Vortrag ĂŒber Gastfreundschaft, der im Rahmen der diesjĂ€hrigen Interkulturellen Woche stattfand.

FĂŒr die veranstaltende Initiative „Wissen macht stark“ begrĂŒĂŸten Dr. Christina Meyer und Pfarrerin Renate Köbler die Referentin und die GĂ€ste.

Die Berliner Sozial- und Kulturanthropologin und Filmemacherin Albrecht hat sich intensiv mit dem Thema Gastfreundschaft in unterschiedlichen Kulturkreisen – etwa in Tansania und Malawi, im Iran und in Libyen – beschĂ€ftigt und kennt sich ausgesprochen gut aus.

„Ich bin selbst viel zu Gast gewesen“, erklĂ€rte sie den rund 20 Zuhörerinnen und Zuhörern im Neuen Evangelischen Gemeindehaus in Michelstadt.

Gastfreundschaft selbst ist ebenfalls etwas Schönes. Aber was darunter zu verstehen ist und was sie praktisch bedeutet, auch darĂŒber gibt es eben unterschiedliche Auffassungen, wie Judith Albrecht verdeutlichte. Und dadurch kann es kompliziert sein.

So zeigte sie auf, dass viele Feste hierzulande exklusiv, also ausschließend, sind; als Beispiele nannte sie Weihnachten oder Hochzeitsfeiern, die nur der Familie respektive geladenen GĂ€sten vorbehalten sind.

„Das ist in vielen LĂ€ndern ganz anders. Wenn man dort zu einer Hochzeit zufĂ€llig dazukommt, dann ist man selbstverstĂ€ndlich auch Gast.“

FĂŒr Heiterkeit sorgte Judith Albrechts durchaus ernstgemeinte Anmerkung, dass in manchen Kulturkreisen die Regel gelte, nicht mit der Schwiegermutter allein im Raum zu sein.

Auch andere Aspekte kamen zur Sprache: Von den „Grenzen der Gastfreundschaft“ zu reden, wie dies immer wieder mal zu hören ist, ist laut Judith Albrecht vollkommen unpassend. Wohl könne man Schwierigkeiten und Probleme im interkulturellen Miteinander benennen.

„Das aber hat nichts mit der Grundfrage nach Gastfreundschaft zu tun“, die sozusagen als hoher Wert auf einer ganz anderen Ebene liegt, stellte die Referentin klar.

Und im Begriff „zu Gast sein“ liege immer eine zeitliche Begrenzung. Vor diesem Hintergrund zeigte Albrecht die Schwierigkeit auf, von „Gastarbeitern“ zu sprechen, wo doch viele Menschen, die nach dem Krieg nach Deutschland gekommen sind, hier bald schon heimisch wurden.

„Ein Gast wird mit der Zeit zu einem Menschen, der StaatsbĂŒrger werden soll und will.“ Dann aber sei sein Hiersein keine Frage der Gastfreundschaft mehr.

Und: „Wie vertrĂ€gt sich eine Aussage wie etwa ‚Du bist nur Gast in unserem Land‘ mit der gleichzeitig geforderten Integration?“

Man solle aus Vorbehalten, aus Angst womöglich vor dem Unbekannten, in die Neugier kommen, ermutigte Albrecht, denn: „Man kann so viel lernen.“