KOMMENTAR: Quo vadis Reichelsheim?
„Wir müssen und werden die Bürger informieren, mitnehmen, bevor die Bagger rollen.“ Dieser kluge, verheißungsvolle Satz stammt vom früheren Hessischen Innenminister, dem heutigen Ministerpräsidenten Volker Bouffier.
Hessen-Mobil kommt der Ankündigungspflicht nach dem Straßenrecht bei größeren Baumaßnahmen beispielsweise mit einem mindestens halbjährigen Vorlauf nach. Was also aus Wiesbaden schon seit Jahren vorgegeben wird, ist offenbar in Reichelsheim noch längst nicht angekommen.
Dort fühlen sich die Anwohner des Eberbacher Wegs total übergangen. Sie klagen über mangelnde und vor allem nicht rechtzeitige Information über die geplante und inzwischen begonnene Sanierung ihrer Straße und die damit einhergehende Kostenbelastung.
Bürgermeister Stefan Lopinsky räumte in der Bürgerversammlung am Montagabend ein, „dass die Information schneller hätte geschehen können“. Warum dies erst nach vorgesehenem Baubeginn am 1. Oktober dieses Jahres per Schreiben der Gemeinde bei den Anwohnern am 8. September im Briefkasten lag, bleibt das unergründliche Geheimnis des Reichelsheimer Rathauschefs.
Dies umso mehr als er erläuterte, die Maßnahme sei eigentlich schon für 2017 geplant gewesen, und habe sich nur deshalb verzögert, weil die im Haushalt vorgesehenen Finanzmittel damals für ein anderes Projekt gebraucht wurden.
Und wenn der Bürgermeister in einer Bürgerversammlung, zu der sich Anlieger des Eberbacher Wegs medienwirksam angekündigt hatten, bekennen muss, er kenne keine Zahlen für den Sanierungsbedarf, könne diese deshalb „nicht kommentieren, nur hoffen, dass sie geringer sind“, kommt dieser Auftritt einem politischen Offenbarungseid gleich.
Max Dinkelaker schreibt im Fußball-Magazin 11-Freunde: >Gerade zum Ende von Spielzeiten, wenn es wichtig wurde, wirkten Favres Mannschaften nicht stabil. Egal wo Favre in den vergangenen zehn Jahren trainierte, Berlin, Gladbach oder Nizza, der Erfolg seiner Teams hatte stets etwas Zerbrechliches<.
Diese Analyse skizziert aktuell erstaunliche Ähnlichkeiten zu der von Bürgermeister Stefan Lopinsky geführten Reichelsheimer Gemeindeverwaltung.
Die am Montagabend offenbarte Haltung des Rathauschefs aus dem Gersprenztal zum Thema Anliegerbeiträge und insbesondere seine Informationsverweigerungspolitik lässt die Frage offen: Quo vadis Reichelsheim?
Und auch darüber hinaus offenbarte sich Erstaunliches, das dieser Frage Nachdruck verleiht: Dem unvoreingenommenen Zuhörer der Reichelsheimer Bürgerversammlung am Montag drängten sich einige unangenehme Beobachtungen auf, Zeichen eines deutlichen Mangels an Solidarität unter den Bürgern.
Sorgte sich ein Anwohner über die Wildparker an Durchgangs- und verkehrsberuhigten Straßen, die den Verkehr zu Slalomfahrten zwingen, folgte sogleich die Widerrede eines anderen Bürgers, der gefährliche Slalomfahrten den gefährlichen Schnelldurchfahrten vorzog.
Die Anwohner des Eberbacher Wegs standen mit ihren nicht unerheblichen finanziellen Sorgen fast allein. Unter der Hand und in Diskussionen nach der Veranstaltungen äußerten doch tatsächlich andere Einwohner, eine Bürgerversammlung dürfe nicht mit „Spezialthemen“ überfrachtet werden, die nicht die gesamte Gemeinde beträfen.
Ihnen ist zu wünschen, dass ihre Straßen die nächsten auf der Sanierungsliste der unsensiblen Gemeinde Reichelsheim sein mögen. Zumal sich auch noch Bemerkungen über die „Besonderheiten“ von Anliegern an bestimmten Ortsstraßen vernehmen ließen. Solidarität, auch in der Provinz, sollte keine Einbahnstraße sein.
Eine Bürgerversammlung sollte in der Tat nicht zu einer Anliegerversammlung mutieren, wie Parlamentsvorsteher Jürgen Göttmann zutreffend sagte. Die Gefahr einer solch drohenden Mutation wäre jedoch deutlich geringer bis nicht existent, käme die Kommune ihrer ureigenen Informations- bzw. Ankündigungspflicht rechtzeitig und vollumfänglich nach.