GesundheitsVersorgungsZentrum Oberzent: Noch immer dunkles „Leuchtturm-Projekt“
Vor mehr als zwei Jahren wurde von der GesundheitsVersorgungsKooperation (GVK) Oberzent die „Etablierung einer regionalen Gesundheitskooperation vom Sektorendenken zur koordinierten Versorgung“ angekündigt, bis dato mehr als 220.000 Euro an Fördermitteln in Anspruch genommen, ein Ergebnis mit Ausnahme einer fehlerhaften Briefkastenbeschriftung jedoch nicht sichtbarOBERZENT / BEERFELDEN. - „Wir haben seit zwei Jahren keinen Hausarzt mehr, weil unser langjähriger ärztlicher Betreuer seine Praxis geschlossen hat und wir in anderen Praxen wegen Überlastung nicht aufgenommen wurden“, klagt ein Familienvater aus Beerfelden stellvertretend für zahllose Bürger aus den vier südlichen Kommunen des Odenwaldkreises, die ab 1. Januar 2018 in der neuen Stadt >Oberzent< vereint sind.
Für die mehr als 10.000 Bewohner der dann flächenmäßig drittgrößten Stadt Hessens sind 6,5 hausärztliche Praxen zugelassen. Nur vier davon sind aktuell besetzt, Tendenz altersbedingt sinkend.
Situationsverbesserung über interkommunale Zusammenarbeit gestartet
Der sich abzeichnenden Misere der Unterdeckung bei der hausärztlichen Versorgung in der Oberzent entgegenzuwirken haben sich die politisch Verantwortlichen über die damals schon gepflegte interkommunale Zusammenarbeit der Stadt Beerfelden mit den Gemeinden Hesseneck, Rothenberg und Sensbachtal auf die Fahnen geschrieben.
Aktivitäten zur Situationsverbesserung wurden gestartet. Die ursprünglichen Bemühungen reichen zurück bis mindestens ins Jahr 2013, Fördergelder für eine Lösung des Problems fließen seit 2014. Bis zum heutigen Tag wurden insgesamt bereits mehr als 220.000 Euro Fördermittel in dieses Projekt gepumpt.
Zentrales Gesundheitsversorgungszentrum (GVZ) in Beerfelden als Lösungsansatz
Bereits 2014 wurde für den Odenwaldkreis ein knapp 100 Seiten starkes Strategiepapier erarbeitet, das Abhilfe schaffen sollte. Diverse Gutachten wurden für den Kreis und insbesondere für die Oberzent mit Hilfe der Fördergelder erstellt. Auch wurde die Idee geboren, ein zentrales Gesundheitsversorgungszentrum (GVZ) in Beerfelden zu installieren.
Mit einem solchen Projekt sollen die Voraussetzungen für moderne Gesundheitsversorgungsstrukturen in der Oberzent geschaffen werden, um damit insbesondere die ärztliche Versorgung für die Region langfristig sicherzustellen.
„Light-Version“ als Übergangslösung
Schnell wurde klar, dass ein solches Großprojekt nicht zeitnah umgesetzt werden kann. Eine Übergangslösung, quasi eine „Light-Version“ eines GVZ, sollte Abhilfe schaffen, ein sichtbares Ergebnis bis dato allerdings nicht präsentiert.
Mit der „GesundheitsVersorgungsKooperation“ (GVK) wurde im September 2015 ein Verein gegründet, mit Beerfeldens Bürgermeister Gottfried Görig als Vorsitzenden. Er sollte die weitere Arbeit vorantreiben und koordinierend wirken.
Oberzent-Projekt mit Vorreiterrolle für gesamten Odenwaldkreis
Den vier Kommunen Beerfelden, Rothenberg, Sensbachtal und Hesseneck komme dabei eine Vorreiterrolle für den gesamten Odenwaldkreis zu, wie Landrat Frank Matiaske zum damaligen Zeitpunkt hoffnungsvoll verkündete: Man erwarte von diesem Vorhaben eine „Leuchtturm-Funktion“ für Region und Land.
Mehr als zwei Jahre nach der Gründung steht die GVK allerdings noch immer mit fast leeren Händen da: „Insgesamt liegen zur Zeit 16 >Letter of Intent< von unterschiedlichen Gesundheitsanbietern vor, die ihre Leistungen in dem Zentrum anbieten möchten“, zieht Elke Kessler, Geschäftsführerin der den Verein GVK Oberzent, wie auch den Odenwaldkreis beratenden Firma ASD Concepts (Reinheim), aktuell Bilanz.
„Die gesamte Region wird davon profitieren“
Solche Absichtserklärungen gab es jedoch schon zum Gründungszeitpunkt der GVK. Damals wurde für 2016 die Besetzung einer Augenarztpraxis mit Dr. Justina Musiol sowie zweier Hausärzte angekündigt, die allerdings noch gesucht werden müssten. „Neue Strukturen eröffnen neue Wege“, betonte der Landrat seinerzeit und kündigte an: „Die gesamte Region wird davon profitieren.“
Die aktuelle Situation weist jedoch weder eine Augenarztpraxis mit Dr. Musiol auf (sie eröffnete bereits im Juni 2016 eine Praxis im rheinhessischen Nieder-Olm), noch wurden bisher Hausärzte gefunden.
Lediglich GVK-Briefkasten-Geschäftsstelle jedoch keine Arztpraxen eröffnet
GesundheitsVersorgungsZentrum (GVZ) Oberzent prangt allerdings schon mal in großen Lettern auf einem Büroschild, das dieser Tage von Elke Kessler und Dr. med. Alwin Weber, 2. Vorsitzender der GVK, vor dem seit mehr als einem Jahrzehnt leer stehenden Bürogebäude der früheren Firma Breimer GmbH in der Mümlingtalstraße 58 in Beerfelden zwar präsentiert, bisher jedoch noch nicht angebracht wurde.
Hier soll ein GVZ Oberzent mit Zweitarztpraxen als Zwischenlösung für ein künftiges neues GVZ eröffnet werden. „Die GVK Oberzent e.V. mietet dafür den kompletten, 550 qm umfassenden 2. Stock und vermietet die Räumlichkeiten an die Leistungserbringer im GVZ weiter“, sagt Elke Kessler.
„Finanzierung notwendiger Maßnahmen durch Kommunen und Fördermittel gesichert“
Als erstes sei am 1. November die Geschäftsstelle der GVK Oberzent von ihrem seitherigen Standort am Nordic-Center (Seeweg, Beerfelden) in das angemietete Bürogebäude umgezogen. „Da es sich um Büros handelt, ist dafür keine Genehmigung notwendig.“
Auch eine Klingel gibt es bis dato, knapp zwei Wochen nach dem verkündeten Umzug, am neuen Bürogebäude noch nicht. Lediglich am Hausbriefkasten ist die Bezeichnung „GVK Oberzent, ASD Concets, Elke Kessler“, ergo gar mit Schreibfehler ohne „p“ im Firmennamen „ASD Concepts“ zu lesen.
Die ersten Praxen würden bis Mitte/Ende Dezember einziehen, „abhängig vom Fortschritt der Ertüchtigungsmaßnahmen“. Bis dahin werde auch die Umnutzungsgenehmigung, für die jetzt alle Unterlagen vorlägen, erwartet.
„Die Finanzierung sowohl der überschaubaren Umbauten, als auch der Brandschutzmaßnahmen sind durch Zuschüsse der Kommunen und die Fördermittel gesichert“, sagt Kessler.
Auch früher genannte Eröffnungstermine nicht eingehalten
Diese „Ertüchtigungsmaßnahmen“, zu denen insbesondere ein den Bestimmungen für öffentliche Gebäude entsprechend strenges Brandschutzkonzept mit Fluchtmöglichkeiten gehört, sollten jedoch bereits zum 1. März diesen Jahres abgeschlossen sein.
Zu diesem Zeitpunkt war im vergangenen Jahr der Eröffnungstermin vorgesehen, wie GVK-Vorsitzender Gottfried Görig, in Personalunion auch Beerfeldener Bürgermeister, und Elke Kessler unisono im Oktober vergangenen Jahres angekündigt hatten.
Stadtbaumeister nennt realistisches Zeitfenster von „drei bis sechs Monaten“
Auch der später dann genannte neue Eröffnungstermin zum 1. September 2017 konnte ebenso wenig eingehalten werden, wie jetzt die Baumaßnahmen keineswegs in den aktuell genannten vier bis sechs Wochen erledigt sein werden. Dieser erneut kühnen Terminprognose widersprach der Beerfeldener Stadtbaumeister Peter Bauer auf FACT-Nachfrage deutlich.
„Ich bin aktuell mit der Erstellung eines Bauantrages betraut“, sagte Bauer. Nach dessen Genehmigung müssten die städtischen Gremien die Finanzierung beschließen, ehe eine Ausschreibung erfolgen und danach umgebaut werden könne. Befragt nach der voraussichtlichen Dauer für diesen Aufwand nannte der Stadtbaumeister ein realistisches Zeitfenster von „drei bis sechs Monaten“.
Bevorstehende Fusion der Oberzent-Kommunen lähmt aktuell Parlamentsentscheidungen
Angesichts der durch die Fusion der vier Kommunen aktuell bestehenden Handlungsunfähigkeit der einzelnen Parlamente in der Haushaltsplanung, könnten nötige Beschlüsse frühestens Anfang kommenden Jahres im dann gemeinsam tagenden Gesamtparlament aller Fusionskommunen gefasst und die Maßnahmen erst danach in Angriff genommen werden.
Vor diesem Hintergrund erscheine eine Nutzungsmöglichkeit des ausgewählten GVZ-Übergangsgebäudes für Arztpraxen frühestens im kommenden Sommer realistisch, wie mehrere kommunalpolitische Vertreter aus der Oberzent übereinstimmend erklärten.
Vorliegende Kassenärztliche Genehmigungen drohen zu verfallen
Angesichts der seit 2014 reichlich fließenden Fördergelder für diese in Hessen bisher einmalige Initiative, eine eher dürftige Ausbeute befanden Insider, zumal bereits für eine urologische und eine gynäkologische Gemeinschaftspraxis aus Michelstadt die kassenärztliche Zulassungen für sogenannte Zweitpraxen vorliegen und weitere folgen sollen, diese befristeten Genehmigungen jedoch aufgrund noch immer fehlender Räumlichkeiten ungenutzt abzulaufen drohen.
Hessisches Sozialministerium fördert seit 2014
Vom Hessischen Ministerium für Soziales und Integration (HMSI), das den Modellcharakter der Initiative fördert, sind bisher reichlich Fördermittel in das Projekt geflossen. Auf FACT-Anfrage erklärte der stellvertretende HMSI-Pressesprecher Markus Büttner: „In den Jahren 2014 und 2015 wurden dem Kreisausschuss Odenwaldkreis jeweils 75.000 Euro jährlich vom HMSI zur Verfügung gestellt.
Hiermit wurden konzeptionellen Arbeiten auf Kreisebene zur Erstellung eines Strategiepapiers für die Gesundheitsversorgung im Landkreis, das auf der GesundheitsVersorgungsKonferenz am 06.05.15 öffentlich vorgestellt wurde, sowie zur Einrichtung eines Gesundheitsversorgungszentrums in Beerfelden finanziert.
96.180 Euro vom Sozialministerium erhalten, 3.920 Euro stehen noch aus
Ab dem Jahr 2016 wurde nicht mehr der Kreisausschuss Odenwaldkreis, sondern die aufgrund des Strategiepapiers entstandenen GesundheitsVersorgungsKooperationen zum Aufbau von künftigen GesundheitsVersorgungsZentren vom HMSI gefördert.
So wurden dem GesundheitsVersorgungsKooperation Oberzent e.V. 32.340 Euro in 2016 und 7.840 Euro in 2017 zur Verfügung gestellt. Der GesundheitsVersorgungsKooperation Odenwald e.V. wurden parallel 21.660 Euro in 2016 und 58.970 Euro in 2017 zur Verfügung gestellt, um weitere regionale GesundheitsVersorgungsKooperationen zu gründen.
Für 2018 ist bislang eine Förderung der GesundheitsVersorgungsKooperation Oberzent e.V. mit 3.920 Euro sowie der GesundheitsVersorgungsKooperation Odenwald e.V. mit 40.350 Euro vorgesehen. Dies ergibt für die Jahre 2014 bis 2018 eine Gesamtsumme von 315.080 Euro, die vom HMSI der Region Odenwald zur Verfügung gestellt wurde.“
Weitere 150.000 Euro von Interkommunaler Zusammenarbeit und Robert Bosch Stiftung
Stefan Toepfer, Pressesprecher des Odenwaldkreises, bezifferte auf FACT-Anfrage die in den Jahren 2014 und 2015 über den Odenwaldkreis in das Oberzent-Projekt geflossenen Landesmittel mit rund 56.000 Euro, sodass alleine über diese Förderschiene bis dato 96.180 Euro eingebracht wurden.
Unterstützt wurde das Projekt auch aus dem Kompetenzzentrum für Interkommunale Zusammenarbeit (IKZ) mit weiteren Landesmitteln von 100.000 Euro und von der Robert Bosch Stiftung mit zusätzlichen 50.000 Euro.
Von den IKZ-Mitteln wurden bis dato gut 75.000 Euro verbraucht, wie der Leiter der IKZ-Oberzent, Christian Kehrer, auf FACT-Anfrage sagte, sodass von den bewilligten Fördermitteln insgesamt bisher mehr als 220.000 Euro geflossen sind.
„Bisher eher Nullnummer denn Leuchtturm-Projekt“
„Die bis jetzt sichtbaren Leistungen der GVK sind vor diesem Hintergrund absolut kein „Leuchtturm-Projekt“, vielmehr derzeit eher eine Nullnummer“, fasst ein Kommunalpolitiker aus der Oberzent das bisherige Projekt-Geschehen zusammen.
Angesichts dieser Situation ruht die Hoffnung nun tatsächlich auf einer finalen GVZ-Lösung. Dazu haben die Sparkasse Odenwaldkreis in Kooperation mit dem Beerfeldener Therapiezentrum Janowicz sowie die Energiegenossenschaft Odenwald eG jeweils Konzepte erarbeitet, die am Donnerstag, 9. November, bei einer Informationsveranstaltung den Kommunalpolitikern der derzeit noch selbständigen vier Oberzent-Kommunen vorgestellt wurden.