Ein Juwel in Michelstadt
MICHELSTADT. - In Michelstadt gibt es sehr viel Geschichte zu entdecken. Die eine oder andere ist eher versteckt – so wie die der Nicolaus-Matz-Bibliothek (Kirchenbibliothek) Michelstadt.
Die Kirchenbibliothek ist in der Thurn- und Taxisscheune in der Löwenhofreite am Marktplatz zu finden und ein echtes Juwel in der Stadt. Die Bibliothek ist zwar in einem städtischen Gebäude untergebracht, gehört aber der evangelischen Kirche.
Bevor sie Anfang der 1980er Jahre in die Löwenhofreite umgezogen ist, war sie in der Sakristei und danach im Kirchturm der Stadtkirche untergebracht. Ihre Gründung geht zurück auf das Jahr 1499.
Der in Michelstadt geborene Freiburger Universitätsprofessor und später in Speyer als Domherr lebende Nicolaus Matz vermachte damals seine private Büchersammlung seiner Heimatstadt Michelstadt.
Die Stiftung bestand aus 117 gebundenen Büchern und sollte vornehmlich dem Predigtamt nützen und zur Fortbildung der Prediger dienen.
Auch sollte jeder Michelstädter Bürger, „der da gelehrt ist“ zum Zwecke des Studiums freien Zugang zu den Büchern haben. Es war also eine öffentliche Bibliothek, die damals noch sehr selten waren.
Bei einem Großteil der Bücher handelt es sich um religiöse Schriften wie Erbauungsliteratur, Gebets- und Stundenbücher sowie Abschriften von Bibeln und Predigten in lateinischer Sprache.
In der Zeit bis zum 18. Jahrhundert wurde die Bibliothek durch Geschenke der Grafen zu Erbach nach und nach größer. Dadurch kam noch juristische Literatur, insbesondere Bücher über das römische Recht, hinzu.
Der Ehrenamtler Erwin Müller schaut regelmäßig nach dem Rechten und führt Interessierte bereits seit vielen Jahren in die Geheimnisse der Bibliothek ein. Sein
Wissen über jeden Band ist ebenso ein Juwel wie die Bibliothek selbst und unerschöpflich. Dabei sei er eigentlich nicht vom Fach, sagt er bescheiden über sich.
Im Laufe der Zeit habe er sich aber viel Wissen angeeignet und durch den intensiven Austausch mit Wissenschaftlern und Historikern sehr viel über die Bücher und das Buchdruck-Handwerk erfahren.
Müller zieht beispielsweise zielsicher ein Buch aus dem Regal und zeigt eine handschriftlich hinzugefügte Zeile des bedeutenden venezianischen Buchdruckers Aldus Manutius in einem offenbar fehlgedruckten Text und damit eine echte bibliophile Kuriosität.
Und in einem anderen Buch den seltenen Druck eines Briefes von Christoph Kolumbus zur Entdeckung Amerikas aus dem Jahr 1493, ein mit aufwändigen Holzschnitten hergestellter Druck. Müller berichtet, dass zum Bestand der Bibliothek rund 165 Inkunabeln gehören. So werden die sogenannten
Wiegendrucke auch genannt – Bücher aus der Frühzeit des Drucks. Dieser Zeitraum bezieht sich von der Fertigstellung der Gutenberg-Bibel im Jahr 1454 bis zum 31. Dezember 1500.
„Entsprechend gibt es geschätzt nur rund 550.000 erhaltene Exemplare weltweit, was unterstreicht, wie wertvoll diese frühen Buchdruck-Werke aufgrund ihrer geringen Auflage sind“, macht der Ehrenamtler deutlich.
Hinzu käme, dass am Buchdruck selbst sehr viele Gewerke beteiligt waren, die dieses Handwerk zur Kunst gemacht haben und jedes Werk zu einem Kunstwerk. Auch das damals schon übliche „Wiederverwerten“ von Buchseiten im Einband trage dazu bei, dass einige Bücher wertvolle Unikate sind.
So ist beispielsweise das Fragment einer Handschrift vom vierten Buch Mose aus dem 9. Jahrhundert in einem der Bücher in der Nicolaus-Matz-Bibliothek (Kirchenbibliothek) Michelstadt gefunden worden.
Erwin Müller gehört zu einem Beirat, der sich aus Mitgliedern von Kirche und Stadt zusammensetzt. Dieser regelt die organisatorischen Herausforderungen, die immer mal wieder entstehen.
Aktuell wird daran gearbeitet, den Online-Katalog über die Drucke des 16. Jahrhunderts auf den neuesten Stand zu bringen und ihn dann über den Bibliotheksverbund weltweit zugänglich zu machen.
Sein Wissen über die Bibliothek möchte Erwin Müller gern weitergeben. Deshalb wird aktuell ein Nachfolger gesucht, der Spaß an Literatur und Historie hat und sich den jahrhundertealten Werken annehmen möchte.