Warnungen vor falschen Zeugenaussagen und selektives Erinnerungsvermögen
Prozess gegen den Ex-Landrat des Odenwaldkreises Dietrich Kübler: Miese Stimmung zwischen Verteidigung und StrafkammerODENWALDKREIS / MICHELSTADT. - Auch am dritten Verhandlungstag blieb kein Stuhl im Raum 128 des Amtsgerichts Michelstadt frei, als Amtsrichter Helmut Schmied das Verfahren gegen den früheren Odenwälder Landrat Dietrich Kübler (ÜWG) aufrief. Das Publikum bekam einiges geboten, vom wundersamen Auftauchen einer bisher nicht existenten Tischvorlage bis zum sehr selektiven Erinnerungsvermögen des ersten Zeugen am heutigen Donnerstag.
Die Staatsanwaltschaft Darmstadt beschuldigt den früheren Landrat der Untreue, Vorteilsannahme und –gewährung im Rahmen eines geplanten Odenwälder Standortmarketings in den Jahren 2011 bis 2013. Der direkte Schaden soll sich auf knapp 100.000 Euro belaufen, die damit in Zusammenhang stehenden Schäden des Odenwaldkreises (OWK), die später separat eingefordert werden können, auf weitere bis zu 400.000 Euro.
Hatten die bisherigen Zeugen aus dem Odenwälder Kreisausschuss übereinstimmend ausgesagt, dass sie vor ihrer Entscheidung zugunsten der Erbacher Werbeagentur Lebensform über massive Warnungen des Rechtsamt des OWK in keiner Weise informiert wurden, sondern erst anderthalb Jahre später durch die Presse, und sich daher vom Landrat hintergangen fühlten, hat der Parteifreund des Ex-Landrats, Kreistagsabgeordneter und früherer Kreisbeigeordneter Michael Gänssle, eine völlig andere Erinnerung.
Ihm sei mindestens ein warnendes Rechtsgutachten vor einer der entscheidenden Kreistagssitzung ordnungsgemäß vorgelegt worden, da war sich der ÜWG-Politiker sicher. Darin hatte das Rechtsamt massiv vor finanziellen Folgen im Falle einer Beauftragung der Agentur gewarnt.
Zwei Rechtsbelehrungen des Amtsrichters Schmied zur Strafbarkeit von Falschaussagen und eine ebenso deutliche Warnung der Staatsanwältin Brigitte Lehmann zum Verhalten im Zeugenstand brachten den Zeugen nicht aus der Fassung.
Er blieb bei seiner Behauptung und konnte noch bemerkenswerte Einzelheiten über ein fehlendes Angebotsblatt liefern, bei anderen Fragen zu entscheidenden Vorgängen konnte er sich nicht erinnern und verwies auf die bisher vergangene Zeit und darauf, dass er seine betreffenden Unterlagen zwischenzeitlich vernichtet hätte.
Richter: Auch andere Dokumente nachträglich verfälscht
Seine Aussage könnte durch die in diesen Tagen vom Landratsamt beigebrachten Unterlagen untermauert werden, denn im geführten Protokollbuch gibt es einen Vermerk über eine entsprechende Tischvorlage, die selbst allerdings fehlte. Raunen im Saal und die Bemerkung des Vorsitzenden Richters, man habe bereits festgestellt, dass im Odenwälder Landratsamt auch andere Unterlagen nachträglich verfälscht worden waren.
Während der Vernehmung eines Mitarbeiters des Odenwälder Rechtsamt, Bernhard Hering, kam es zum Geplänkel zwischen Richter Schmied und den drei Verteidigern Küblers. Schmied arbeitete heraus, dass eine frühere Zeugenaussage des Hauptabteilungsleiters Oliver Kumpf den aktuellen Aussagen des Zeugen eklatant widersprachen.
Kumpf konnte sich nämlich nicht daran erinnern, eine letzte Warnung vor Beauftragung der Werbeagentur persönlich während der entscheidenden Sitzung des Kreisausschusses von Hering erhalten zu haben und dazu sogar aus der Sitzung kurzzeitig herausgerufen wurde.
Andere Zeugen konnten sich jedoch sehr gut an den Vorfall erinnern, nicht aber an die Warnung, weil Kumpf die wohl für sich behalten hatte. Der im Gegensatz zur Verteidigung erneut gut vorbereitete Richter wies den Anwurf von populistischem Verhalten zurück, das ihm die Verteidigung vorwarf.
Ein Mitarbeiter der Wirtschafts- und Infrastrukturbank (WI-Bank) erklärte, wie es zum Widerruf der Fördergelder in Höhe von etwa 70.000,- Euro gekommen war. In mehreren Stufen hatte die WI-Bank in Zusammenarbeit mit der Staatsanwaltschaft Darmstadt ihre Entscheidung vorbereitet, das zugesagte Fördergeld einzubehalten. In zwei Schreiben allein standen starke Worte. „Von den hier festgestellten Vergabeverstößen rechtfertigt jeder einzelne Verstoß den Widerruf.“
Im Mittelpunkt der festgestellten schweren Vergabeverstöße stehe die „willkürliche Auswahlentscheidung“ zunächst in der empfehlenden Steuerungsgruppe und bei der folgenden Auftragsvergabe durch den Kreisausschuss, die beide von Landrat Dietrich Kübler geleitet worden waren.
OREG-Geschäftsführer war nicht Herr in seinem Haus
Zum zweiten Mal wurde der frühere OREG-Geschäftsführer Jürgen Walther vernommen. Die Odenwald-Regionalgesellschaft war verantwortlich für die Ausschreibung der Marketing-Maßnahme, in deren Verlauf er nach eigenen Worten zunehmend feststellte, dass Landrat und Hauptabteilungsleiter klandestin die Geschäftsführung der OREG übernommen hätten.
Hinter seinem Rücken seien Aufträge an die Werbeagentur gegeben worden, entsprechende Angebote und Rechnungen seien an der OREG vorbei an das Landratsamt gesandt worden. Erst als es um die fristgerechte Zahlung ging, um die EU-Fördergelder nicht zu verlieren, habe er Rechnungen in Höhe von etwa 50.000 Euro zu Gesicht bekommen, die zum Teil unbestellte Leistungen umfassten.
Der Landrat hatte überdies auf dem Briefpapier der OREG einen Schriftwechsel mit der WI-Bank geführt. Die Frage des Vorsitzenden Richters, ob der Ex-Landrat eine Ermächtigung gehabt habe, im Namen der OREG Schriftverkehr zu führen, verneinte Walther.
Das Verfahren wird am 15. August um 9.00 Uhr fortgesetzt. Die sicher notwendigen Zusatztermine werden dann festgesetzt.