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Unvergessene Schreckensnacht

Gedenkfeier für die vor 75 Jahren abgestürzten polnischen Flieger

MICHELSTADT. - Es ist in die Jahre gekommen, das Grabmal auf dem Michelstädter Friedhof nicht weit vom zweiten Eingang nahe der Mauer, das an die polnischen Flieger erinnern soll, die in der Nacht vom 24. auf 25. April 1944 beim Absturz ihres Lancaster-Bombers über Michelstadt den Tod fanden.

Der Zahn der Zeit hat genagt an den sieben Stelen und den mit dem polnischen Adler zierenden Aufbauten, die 1947 von polnischen Soldaten errichtet worden sind.

Die goldene Schrift mit den Namenszügen der Fliegerbesatzung und auch die Strahlkraft des polnischen Adlers sind nicht mehr vorhanden. Auch die Einfriedung ist brüchig und marode.

Der 75. Jahrestag des Flugzeugabsturzes war am Donnerstag Anlass, das nächtliche Geschehen in Erinnerung zu rufen und die von der Regierung Polens angestoßene Renovierung offiziell auf den Weg zu bringen.

Neben Generalkonsul Jakub Wawrzyniak und Oberst Galiniewicz vom Stützpunkt Ramstein und weiteren Offizieren, Bürgermeister Stephan Kelbert, politischen und kirchlichen Vertretern, der über viele Jahre das Grab pflegenden Gisela Geppert waren auch Bürger beider Nationen zur Erinnerung an das schreckliche Ereignis auf den Friedhof gekommen, das nicht zuletzt für das Stadtbild unabsehbare Folgen hätte haben können.

Denn wären die drei Luftminen nicht über der Absturzstelle oberhalb des Schindangers an der Römerstraße Richtung Langes Tal niedergegangen, sondern wären über der Stadt explodiert, hätten die Druckwellen aller Wahrscheinlichkeit nach vom historischen Michelstadt nicht viel übrig gelassen.

Was war geschehen in jener Schreckensnacht? Lehrer Adam König, Weltkriegsteilnehmer und Vater des heute 80-jährigen ehemaligen Gymnasiallehrers Werner König, hat es in Sütterlinschrift in seinem Oktavheft festgehalten.

Die Familie wohnte schon damals auf der Anhöhe an der Ecke Waldstraße/Kreuzweg mit unverbautem Blick. Oft in diesen Tagen beobachtete er die meist ostwärts fliegenden alliierten Bomberverbände.

So war es auch in der Nacht vom 24. auf 25. April, als plötzlich nach Mitternacht Geknatter einsetzte, dem sehr schnell heftige Einschläge folgten. Mit seiner Familie flüchtete der Lehrer in den Keller. Bald waren Haus und Kellerräume taghell erleuchtet.

Phosphorbomben waren im Wald zwischen der Odenwaldklubhütte und der Römerstraße niedergegangen und hatten einen Waldbrand entfacht.

Die über der Stadt abgeworfenen Stabbrand-bomben verursachten Schäden im Hause Barnewald an der Scharfenbergstraße und an der Stadtschule. Eine in den Stall der Hofreite Wörz gefallene Stabbrandbombe wurde sofort mit Mist zugedeckt und unschädlich gemacht.

Vorwiegend gingen die Brandbomben im Bereich zwischen Odenwaldklubhütte und Römerstraße nieder. Eigentlicher Grund für die Vorkommnisse war die in großer Höhe erfolgte Explosion eines von deutschen Nachtjägern angeschossenen Lancaster-Bombers mit polnischen Piloten.

Ein Motor war in den Hof des landwirtschaftlichen Anwesens Pauthner an der Ecke Waldstraße/Schulstraße gestürzt, der zweite ging im Garten der Villa Kalkhof nieder, der dritte auf einem Feldstück am Kreuzweg und der vierte auf dem Habrich.

Die Hauptteile mit der Kanzel, in der noch einer der sieben toten Flieger saß, wurden im Bereich Römerstraße und Langes Tal gefunden. Beerdigt auf dem Michelstädter Friedhof, erinnert seit 1947 das von polnischen Soldaten errichtete Grabstätte an die Flieger und ihr Schicksal.

Über viele Jahre gepflegt wurde sie vom Baustoffunternehmer Konrad Hilbert und dessen Lebensgefährtin Gisela Geppert. Hilbert war als Jagdflieger über Russland abgeschossen worden.

Als Kriegsgefangener war ihm bei Kolschosebauern eine so menschliche Behandlung zuteil geworden, dass er sich moralisch zu diesem Freundschaftsdienst verpflichtet fühlte. Der später der Grabstätte beigefügte Flugzeugpropeller stammt vom Aeroclub Odenwald, in dem Hilbert aktiv war.

Bürgermeister Kelbert stellte in einer kurzen Ansprache die Notwendigkeit der Gedenkveranstaltung. heraus. Eine solch´ lange Friedensperiode sei keine Selbstverständlichkeit. Man müsse Völkerfreund-schaften pflegen und mit Leben erfüllen.

Doch in dieser Stunde sei man in Trauer mit allen Kriegstoten vereint. Generalkonsul Jakub Wawrzyniak erinnerte an den vor knapp 15 Jahren erfolgten Beitritt Polens zur EU und die damit bekundete Hinwendung zu westlichen Werten.

Dies sei ein verpflichtendes Ziel, insbesondere auch, weil Deutsche und Polen praktisch „Tür an Tür“ wohnten. Nach der Kranzniederlegung durch Generalkonsul Wawrzyniak und Bürgermeister Kelbert wiesen drei polnische Armeeangehörige mit militärischen Gruß ihren toten Kameraden die letzte Ehre.

Pfarrer Christoph Zell von der katholischen Pfarrkirche und sein Amtskollege von der Polnischen Katholischen Mission sprachen im Schlusswort vom hoffnungsmachenden Osterlicht, das allen Menschen beschieden sei. Fotos: Ernst Schmerker