LESERBRIEF: Dem Bensheimer Innenstadt-Sterben entgegen wirken
Das Sterben der Innenstädte ist in vollem Gange – nicht erst seit Corona. Und Bensheim ist vorne mit dabei, wie mir bei meinem täglichen Weg durch die Fußgängerzone schon seit geraumer Zeit permanent vor Augen geführt wird.
Fast jeden Monat gibt eines unserer Einzelhandelsgeschäfte auf, steht ein weiteres Ladenlokal leer. Zeitgleich vermehren sich die Lieferfahrzeuge von DHL, Hermes, DPD, GLD, UPS, oder wie sie alle heißen, selbst in den Fußgängerzonen und bringen tagtäglich stapelweise Pakete von Amazon und Co.
Während sich also Internet-Riesen die ohnehin schon wohl gefüllten Taschen weiter vollstopfen, stirbt der Einzelhandel, dieser wichtige Pfeiler urbanen Lebens, auch in Bensheim. Widerstand scheint zwecklos.
Zumindest könnte man das glauben, wenn man die nahezu gleichlautenden Parolen nahezu aller politischen Parteien und Gruppierungen auch in unserer schönen Stadt Glauben schenkt.
Was nützen uns all die schönen Reden, was hilft es, wenn sich unser Vereinsverbund >Bensheim aktiv< aus Industrie, Gewerbe, Handel und Dienstleistungen jetzt in >Stadtmarketing Bensheim< umbenennt und sich dahinter die gleichen Protagonisten tummeln, wie seither?
Was bitte soll sich da ändern, wenn noch immer an der Idee festgehalten wird, ein neues Café auf dem Marktplatz könne die Innenstadt beleben? Ärzte wurden aus der Innenstadt weggelockt in ein neues Ärztezentrum an der westlichen Peripherie der Stadt. Auch andere wichtige Institutionen sind aus der Innenstadt verbannt.
Auswärtige Arzt-, Zahnarzt und sogar Apotheken-Besucher kommen erst gar nicht mehr in die Innenstadt und die Kundenzahlen in den Einkaufstraßen sinken monatlich weiter. Die Lage für viele mittelständige Geschäftsinhaber und Händler wird immer prekärer.
Die drohenden Folgen reichen weit über den Einzelhandel hinaus, denn wo der Handel stirbt, sterben ganze Stadtzentren. Cafés und Gaststätten alleine können dem nicht entgegen wirken.
Krise aber ist immer auch Chance, besagt eine alte Weisheit. Dienstleistung und Konsum allein reichen nicht aus, um das zu realisieren, was städtisches Leben ausmacht: soziale und funktionale Mischung.
Dazu kommen heute weitere zeitgemäße Forderungen: nach der grünen Stadt. Und nach der gerechten Stadt. Zu diesen Zielen hat sich die Idee von der „produktiven Stadt“ gesellt – zum Beispiel in der im vergangenen November verabschiedeten „Neue Leipzig-Charta“ zur Stadtentwicklung.
Durchmischung mit Gewerbe, aber auch mit nichtkommerziellen Nutzungen oder locker definierten Freiräumen – vielleicht liegt die Chance der durch Corona verstärkten Krise im Zwang zum Experiment, um der Stadt neue Wege zu öffnen und die Richtung vorzugeben für das was irgendwann kommen wird: ihre nächste Renaissance.
Diese aber sollte schnellstmöglich von Fachleuten eingeleitet werden.
Fritz Dorsheimer
64625 Bensheim