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„Die Arroganz der Macht in Bensheim ist gescheitert“

Die BI >Bensheimer Marktplatz besser beleben< hat ihr vorläufiges Ziel erreicht: Jetzt gibt es einen ergebnisoffenen Ideenwettbewerb zur Belebung des aktuell im weihnachtlichen Lichterglanz erstrahlenden Marktplatzes. Foto: er

Bensheimer Stadtverordnete treten mit großer Mehrheit dem Bürgerbegehren bei und ersetzen damit den Bürgerentscheid + + + Heftige Wortgefechte + + + CDU und SPD im Fokus der Kritik

BENSHEIM. - Der ursprünglich von einer Mehrheit aus CDU, SPD und AfD in der Bensheimer Stadtverordnetenversammlung für 17. Januar 2021 terminierte Bürgerentscheid ist vom Tisch.

Das Stadtparlament folgte am Dienstagabend einem CDU-Antrag zur Aufhebung dieses Beschlusses und trat dem Begehren der Bürgerinitiative >Bensheimer Marktplatz besser beleben< bei.

Damit wurde die Auslobung eines ergebnisoffenen städtebaulichen Ideenwettbewerbs, wie von der BI gefordert, beschlossen, und der seither fixierte Realisierungswettbewerb mit Festlegung auf ein eingeschosssiges Gebäude am südlichen Marktplatzrand ad acta gelegt (siehe dazu FACT-Bericht unter: www.de-fakt.de/bundesland/hessen/kreis-bergstrasse/details/?tx_ttnews).

Dem letztlich eindeutigen Votum von 29 Antrags-Befürwortern aus CDU, GLB, BfB, AfD und FWG stand einzig die SPD-Fraktion mit sieben Nein-Stimmen entgegen, während sich die vier FDP-Vertreter der Stimme enthielten.

Ganz so einig wie es das klare Votum vermuten lässt, zeigten sich die Parlamentarier in den vorausgegangenen heftigen Rededuellen freilich nicht.

BfB-Fraktionschef Franz Apfel machte dies besonders deutlich: „Die Arroganz der Macht in Bensheim ist gescheitert“, rief er den Christdemokraten zu.

„CDU hätte der gesamten Stadt viel Ärger und Kosten erspart“

In die gleiche Richtung agierte Doris Sterzelmeier für die GLB: „Wir freuen uns über den Antrag der CDU, der jetzt einlenkt und versöhnlich wirkt.

Die CDU hätte der gesamten Stadt viel Ärger und Kosten erspart und wir hätten einige Monate an Zeit gewonnen, wenn sie Anfang des Jahres unserem Antrag gefolgt wäre. Warum nicht gleich?“, fragte die GLB-Fraktionschefin.

Der jetzt vorliegende CDU-Antrag sei im zweiten Absatz identisch mit einem Antrag der GRÃœNEN vom Februar dieses Jahres, der abgelehnt wurde. Auch hier stelle sich die Frage: Warum nicht gleich?

„CDU und SPD haben im Februar mit knapper Mehrheit die >Verwaltungsvorlage Realisierungswettbewerb< mit einer Ergänzung beschlossen. Aus unserer Sicht und der vieler Bürger hat die Verwaltung nicht alle Ergebnisse aus dem Bürgerdialog im Eckpunktepapier richtig zusammengefasst. Deshalb konnten wir GRÜNE dem nicht zustimmen.“

„An der Ergebnisoffenheit hatten wir GRÜNE damals schon gezweifelt“

Im September 2019 sei ein ergebnisoffener Dialogprozess angestoßen worden. „An der Ergebnisoffenheit hatten wir GRÜNE damals schon gezweifelt und sahen uns im Februar 2020 bestätigt.

Wir und auch die FWG und BfB wollten, dass Planungen vorgelegt werden, die alle Ergebnisse des Bürgerdialogs wiedergeben. Das seither vorgesehene Procedere mit Einbindung der Bürger nach vorliegenden fertigen Modellen „halten wir GRÜNE für falsch und für zu spät“.

„Zur Befriedung der Stadt haben Bürgermeister Richter und die CDU nicht beigetragen“

Bei der Einbindung der Bürgerinnen und Bürger hoffe man auf die neue Bürgermeisterin, „die mit ihrem Klimawechsel hier Verbesserungen angekündigt hat. Zur Befriedung der Stadt haben Bürgermeister Richter und die CDU dann nicht beigetragen.“

Sterzelmeier erinnerte daran, dass die BI das ihr gesetzlich zustehende Recht einer achtwöchigen Sammlungszeit von Unterschriften habe einklagen müssen, nachdem diese Möglichkeit durch die coronabedingten Kontaktbeschränkungen unterbrochen werden musste. „Dies hat die Stadt weiter gespalten.“

„Spät, aber immerhin, hat die CDU-Fraktion jetzt eingelenkt“

Erst am 23. November nach entschiedener Stichwahl und nachdem die CDU nicht mehr den Bürgermeister stellt, komme der CDU-Antrag auf den Tisch. „Warum nicht gleich?“

„Spät, aber immerhin, hat die CDU-Fraktion jetzt eingelenkt. Sicher nicht, weil sie es inhaltlich richtig findet. Aber es ist egal, es ist gut, dass dieser Antrag heute vorliegt.“

Man hoffe auf eine CDU, die sich künftig aufgeschlossen zeige gegenüber Vorschlägen aus der Bürgerschaft und von anderen Fraktionen. Heute könnte der Anfang sein, für einen offeneren Austausch um die beste Lösung zum Wohle der Stadt.“ Dies komme der gesamten Stadtgesellschaft und hier insbesondere dem Marktplatz zugute.

„Wollen BI mit ins Boot nehmen, aktiv einbinden“

„Die CDU hatte bereits ein Ergebnis als Schnittmenge des Beteiligungsprozesses“, hatte CDU-Fraktionschef Markus Woißyk eingangs der Sitzung den Antrag begründet. „Wir stehen nach wie vor zu diesem Ergebnis.“

Trotzdem wolle man die BI „mit ins Boot nehmen, aktiv einbinden“, weil sich offensichtlich einige Bürger in diesem Verfahren nicht mitgenommen gefühlt hätten. Die CDU erwarte von der BI, „dass sie den weiteren Weg vorgibt und bis zum Ende begleitet. Es wäre zu einfach, sich zurückzulehnen.“

Es könne auch nicht sein, dass eine Klageandrohung zu einer Änderung im Prozess führe. „Befremdlich“ fand Woißyk „den Einschüchterungsversuch“. Wer sich von Drohungen einschüchtern lasse, der solle sein Mandat zurückgeben.

Der künftigen Bürgermeisterin empfahl der CDU-Frontmann unter lautem Gelächter zahlreicher Zuhörer: „aufgerissene Gräben, an denen sie selbst mitgegraben hat, wieder zuzuschütten und die Marktplatz-Thematik zur Chefsache zu erklären“.

„Kein Grund von unserer Überzeugung abzuweichen“

Der CDU-Antrag befriede die BI und nehme den Bürgern das Recht gehört zu werden, entgegnete SPD-Fraktionschefin Eva Middleton. „Es gibt keine neuen Umstände und keinen Grund von unserer Überzeugung abzuweichen.“

Die Denkmalschutzbehörde habe sich klar positioniert und dokumentiert, dass an der östlichen Marktplatz-Seite wieder ein Gebäude entstehen müsse. Die Sozialdemokraten hätten schon immer für ein einstöckiges Gebäude an dieser Stelle geworben.

Für sie stelle sich die Frage, ob die anderen Fraktionen Angst vor dem Bürgerentscheid hätten und deshalb dem vorliegenden CDU-Antrag zustimmen würden.

„Nicht auf das >Café Extrablatt< fixiert, aber es bleibt eine Option“

Auch habe es bereits Mieter gegeben. Die SPD-Fraktion sei nicht auf das >Café Extrablatt< fixiert, „aber es bleibt eine Option“. Hier werde ein gutes Konzept einfach entsorgt „und aus wahlkampftaktischen Gründen jetzt zerfleddert“.

Der jetzt vorliegende Antrag beschere „eine jahrelange Ungewissheit“, prophezeite sie. Beim Sammeln der Unterschriften habe die BI „nicht immer mit sauberen Mitteln gearbeitet“, das hinterlasse einen „faden Nachgeschmack“, warf Middleton ein.

„Wen wollen Sie mit solchen haltlosen Aussagen erschrecken?“, entgegnete BfB-Fraktionschef Franz Apfel der Sozialdemokratin.

„CDU musste die Position des Bürgermeisters verlieren um zur Einsicht zu gelangen“

„CDU-Vorsitzender Heinz sprach nach der Wahl von Bürgermeisterin Christine Klein >Wir räumen keine Steine weg<. Heute räumt die CDU keine Steine sondern einen der großen Felsbrocken weg“, konstatierte Apfel.

Die CDU mache den Weg endlich frei für einen städtebaulichen Ideenwettbewerb wo alle im Bürgerbeteiligungsprozess vorgetragenen Positionen dargestellt werden.

„Die CDU musste die Position des Bürgermeisters verlieren um zu dieser Einsicht zu gelangen. Im Februar dieses Jahres setzte die CDU, zusammen mit der SPD, noch ein einstöckiges Gebäude als Haus am Markt durch. Da war keinerlei Bewegung, kein Entgegenkommen.

Die Bürgerinnen und Bürger wurden alleine gelassen. Sie sollten sich kein eigenes Bild über die verschiedenen Möglichkeiten machen dürfen. Und es kam, wie es kommen musste in Bensheim, es bildete sich die Bürgerinitiative >Bensheimer Marktplatz besser beleben<.

„BI musste sich zunächst ihr Recht erkämpfen - Schlimm genug!“

Die Bürgerinitiative schaffte etwas, wovon kaum einer hier glaubte, dass das möglich war. Sie reichte mehr Unterschriften ein als notwendig um einen Bürgerentscheid herbeizuführen.“

Und dazu habe sich die BI zunächst juristisch zur Wehr setzen und sich ihr Recht erkämpfen müssen. „Schlimm genug! Unsere Hochachtung vor dieser Leistung!“

Diese Politik im Rathaus müsse vorbei sein. „Wir alle müssen mehr auf die Strömungen innerhalb unserer Stadt achten, alle!“ Die BfB sei froh, „dass sich so viele Menschen um die Zukunft unserer Stadt Gedanken machen“.

Jetzt räume man einen großen Felsbrocken aus dem Weg

Jetzt räume man einen großen Felsbrocken aus dem Weg – mit einer großen Mehrheit. „Diese große Mehrheit hätte es bereits im Februar geben müssen, aber da wollten welche mit dem Kopf durch die Wand. Die Arroganz der Macht in Bensheim ist gescheitert“, richtete sich Franz Apfel an die seit 74 Jahren in Bensheim regierende CDU.

Die BfB-Fraktion begrüße ausdrücklich den Antrag der CDU, „besser spät als nie!“ Jetzt heiße es für das Rathaus auf die BI >Bensheimer Marktplatz besser beleben< zugehen und zusammenarbeiten!

Abschließend merkte Apfel an, es gebe noch einen weiteren Felsbrocken, den die CDU vor der Kommunalwahl aus dem Weg räumen müsse: „Die Sanierung des Hauptgebäudes der Sparkasse am Bahnhof bzw. Transparenz und Überprüfung warum das angeblich nicht gehen sollte. Ihre klugen Köpfe werden das erkennen!“

„Die Flucht nach vorne angetreten“

FDP-Fraktionschef Holger Steinert bezeichnete den vorliegenden CDU-Antrag politisch und taktisch nachvollziehbar, „aber eben auch sehr durchsichtig“.

Die aktuelle Diskusion sei einzig und allein dem „Schlingerkurs der CDU“ geschuldet, allerdings gelte es festzuhalten, „so ganz unschuldig an der Entwicklung im Jahr 2019 sind Sie nicht, denn Sie haben das alles bis zum Ende des Jahres 2019 mitgetragen“, sagte FDP-Fraktionsvorsitzender Holger Steinert in Richtung GLB-Fraktionschefin.

An die CDU gewandt sagte er „bis heute haben Sie alles dafür getan um das Bürgerbegehren zu verhindern, oder zumindest zu behindern, und heute ein völliger Kurswechsel. Warum, sei einfach zu erklären.

„Angesichts einer frisch verlorenen Bürgermeisterwahl und angesichts einer bereits drohenden Kommunalwahl, bei der dann ein schwebendes Verfahren für Sie negativ wäre, haben Sie schlicht und ergreifend die Flucht nach vorne angetreten.

„Beschließen auf CDU-Antrag mal wieder über die Köpfe der Bürger hinweg“

Das Ansinnen des Bürgerbegehrens sei gewesen, die Bürger entscheiden zu lassen wie es weitergeht. „Stattdessen beschließen wir auf CDU-Antrag mal wieder über die Köpfe der Bürger hinweg.“

Die FDP habe sich schon zeitig aus dem Bürgerbeteiligungsprozess zurückgezogen, „weil wir damals schon wussten, wohin die Reise geht.“ Die Position der Liberalen habe schon frühzeitig festgestanden, und sei unverändert: „Wir haben uns auf einen eingeschossigen Bau mit Dachterrasse verständigt.“

Der entscheidende Unterschied sei jedoch, dass man anderen Strömungen, anderen Meinungen, ebenso aufgeschlossen gegenüberstehe und dann im Zweifelsfalle eben die Bürger fragen müsse. „Wir konnten mit dem Verfahren gut leben, und das entspricht den demokratischen Spielregeln.“

„SPD rückwärtsgewandt“

Das werde jetzt ausgehebelt. „Wir sind mit dem Verfahren nicht einverstanden, sehen aber durchaus den Zeitaspekt, und werden uns deshalb enthalten“, positionierte Steinert seine Fraktion.

Rolf Kahnt vertrat die AfD und warf der SPD vor, sie sei „rückwärtsgewandt“. Mit ihrer Haltung missachte sie das Anliegen der BI, einen ergebnisoffenen Ideenwettbewerb durchzuführen „und halten stattdessen an Ihrem eingeschossigen Bau fest“.

Die CDU kritisierte er für den Ratschlag an die BI, sich nicht zurückzulehnen, während man selbst jedoch genau solches plane. Wie anders sei die Äußerung des Stadtverbandsvorsitzenden Tobias Heinz zu verstehen, man wolle der neuen Bürgermeisterin keine Steine in den Weg legen, aber auch keine aus dem Weg räumen.

„CDU ist chaotisch, tragisch, verzweifelt“

„Das heißt, Sie wollen sich zurücklehnen. Das ist nicht der richtige Weg“, konstatierte Kahnt. „Was wir heute hier verhandeln, ist ein Polit-Drama erster Güte mit Tragik-komischen Zügen! Der Antrag der CDU beleuchtet Ihren gegenwärtigen Zustand: chaotisch, tragisch, verzweifelt.“

Komisch alleine deshalb, weil in der Tat eine 180-Gradwende erfolge, „nachdem man vorher in eine völlig andere Richtung gelaufen war“. CDU und SPD hätten etwas durchdrücken wollen gegen den Willen der Bürger.

„Das war deutlich spürbar, und da konnte noch so ein rhetorisch begabter Herr Schlitt seinerzeit die Leute an der Nase herumführen. Das haben die Bürger richtig gut gemerkt. Gemerkt haben die Bürger es auch bei der Bürgermeisterwahl. Hier ist die CDU im Grunde abgewählt worden und hat sich möglicherweise selbst überschätzt.“

„So kann es nicht weiter gehen!“

Gleichzeitig habe die CDU auch unterschätzt, was die BI bekunden wollte. Bei der Bürgermeisterwahl habe man dann gesagt bekommen: „So kann es nicht weiter gehen!“

Jetzt wolle sich die CDU „mit einem Blumenstrauß schmücken, aber so geht das nicht“, sagte Kahnt. Diese Einsicht komme jetzt zu einem Zeitpunkt „wo ihnen die Felle wegschwimmen“. Das sei aber keineswegs auf eigener Erkenntnis erfolgt, „denn Sie sind dazu gezwungen worden“. Die Lage für die CDU sei „hoffnungslos, aber keineswegs ernst. Ironie offen.“

„CDU nimmt Positionsänderung um 180 Grad vor“

Die CDU nehme mit dem vorliegenden Antrag „eine Positionsänderung um 180 Grad vor, denn bis zur Bürgermeisterwahl hat sie noch massiv gegen die BI agiert“, erklärte Dr. Rolf Tiemann (FWG).

Ob dieses Umdenken, dem Begehren der BI Marktplatz für einen Ideenwettbewerb für den Marktplatz durch einen Beschluss zu entsprechen, „primär aus wahltaktischen Überlegungen oder aus Überzeugung erfolgt ist, ist letztlich nebensächlich. Denn allein das Ergebnis zählt.“

Zu wünschen sei, dass nach dem Wechsel im Bürgermeisteramt und der Auflösung der Koalition im Stadtparlament „zunehmend problem- und sachbezogene entschieden wird und parteipolitische Interessen hintanstehen“.

Die FWG stimme dem Antrag gerne zu, sagte Tiemann, „denn wir haben uns von Beginn an in der Bürgerinitiative und für das Ziel der BI eingesetzt“.