Nach 100 Tagen unter schwierigen Bedingungen „im Rathaus angekommen“

Sieht sich nach 100 Tagen Amtszeit im Bensheimer Rathaus angekommen: Bürgermeisterin Christine Klein. Foto: er
BENSHEIM. - Der Start in die sechsjährige Amtszeit hätte eingeschränkter nicht sein können: die Corona-Pandemie sah die Amtseinführung von Christine Klein am Vorabend des 15. Dezember vergangenen Jahres auf das Nötigste, sprich Formalien nebst wenigen Reden, reduziert.
Daran hat sich auch nach 100 Tagen Amtszeit der neuen Bensheimer Bürgermeisterin wenig geändert. Die Kommunikation mit den städtischen Gremien findet nahezu ausnahmslos über Video- oder Telefonkonferenzen statt.
„Alles externe ist schwierig, weil keine Außentermine stattfinden“, sagt die Rathauschefin, die lediglich beim privaten Einkauf in der Stadt in gebührendem Abstand und mit Maske geschützt mit Bürgerinnen und Bürgern ins Gespräch kommt.
Christine Klein sehnt sich nach „normalen Zeiten“
„Davon wird auch viel Gebrauch gemacht“, sehnt sich Christine Klein in ihrer 100-Tage-Bilanz dennoch nach „normalen Zeiten“, um den von ihr angekündigten „politischen Klimawechsel“ extern wie intern nach ihren Vorstellungen umsetzen zu können.
Sie sei „offen und immer ansprechbar“ für ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter denen sie „auf Augenhöhe und mit wechselseitigem Respekt“ begegne, und sehe sich „im Rathaus angekommen“.
Kritiker, vorwiegend aus den Reihen der Bensheimer Christdemokraten, die mit Rolf Richter den abgewählten Vorgänger Kleins stellten, sehen das naturgemäß völlig anders.
Mandatsträger kritisierten Entscheidungen der Rathausspitze
Deren Kritik richtete sich in den vergangenen Wochen gegen die Entscheidung aus dem Rathaus, die Notbetreuung in den städtischen Kindergärten während des Lockdowns zeitlich zu beschränken und auch die Entscheidung das Weiherhausstadion nach mehreren Vandalismusschäden temporär zu schließen, fand keineswegs allenthalben Zustimmung.
Den Kritikern entgegnet Christine Klein im Gespräch mit FACT, sie „habe Verständnis für die Kritik“, allerdings sei die vorübergehende Schließung des Weiherhausstadions „ja nicht in Stein gemeißelt“, und ebenso wenig sei die zeitliche Limitierung der Notbetreuung in den Kitas ihre alleinige Entscheidung gewesen.
„Das haben die städtischen Dezernenten gemeinsam entschieden“, sagt die Verwaltungschefin. Und positioniert sich auch zum jüngsten Kritikpunkt der CDU, der >die Stadt in der Pflicht< sieht bezüglich der Ereignisse rund um die jüngst häufig zu registrierenden Fahrzeugbrände.
„Polizei ihre Arbeit machen lassen, um Erkenntnisse über Täterkreise zu gewinnen“
„Hier müssen wir in erster Linie die Polizei ihre Arbeit machen lassen, um Erkenntnisse über die Täterkreise zu gewinnen“, diese Arbeit sei Landesaufgabe und „Prävention erst möglich, wenn man weiß, woher die Tätergruppe kommt“, sagt Klein und lobt die Zusammenarbeit mit den Ermittlern, „mit denen wir in größeren Gruppen im ständigen Austausch stehen“.
Schwierig beurteilt die Bürgermeisterin die „in nicht ausreichendem Maße vorhandene Digitalisierung im Rathaus“, die gerade in der aktuellen Pandemie manches Problem aufwerfe. So könnten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beispielsweise im Homeoffice – wenn überhaupt – nur unter erschwerten Bedingungen arbeiten.
„Auf schwierigem Weg zur digitalen Modellkommune“
Bensheim sei zwar gemeinsam mit der Stadt Viernheim und dem Kreis Bergstraße als digitale Modellkommune in der Region auserkoren, aber diesbezüglich noch bei den ersten Schritten.
„Wir sind auf einem guten Weg, der sich allerdings langwierig gestaltet“, jedoch sind für Christine Klein und ihr Rathausteam auch hier noch einige Steine zu beseitigen. Die hier gesammelten Erfahrungen sollen später anderen hessischen Kommunen als Blaupause dienen.
Vor diesem Hintergrund sei es auch nötig, wie jüngst auf den Weg gebracht, zunächst noch zwölf Arbeitsplätze der MitarbeiterInnen aus Platzgründen aus dem Rathaus auszugliedern.
Heftige Kritik an Stadtkämmerer, Bau- und Verkehrsdezernenten
Schon vor dem Amtsantritt Kleins hagelte in jüngster Vergangenheit massive Kritik auf die Bensheimer Rathausspitze nieder.
Diese manifestierte sich vorwiegend an den städtischen Dezernaten Finanzen, Bau und Verkehr, somit weder in der Vergangenheit noch aktuell mit dem Bürgermeistersessel direkt verknüpft, wohl aber der Richtlinienkompetenz der Behördenleitung unterstellt.
So kamen aus politischen Kreisen wie aus der Stadtgesellschaft gleichermaßen Vorwürfe bezüglich mangelndem Verwaltungshandeln im Zusammenhang mit der Verantwortung der hauptamtlichen Magistratsmitglieder.
Parlamentsbeschlüsse zeitnah umsetzen
Die Kritik der FDP-Fraktion, die nach nunmehr einem Jahr noch immer auf die komplette Umsetzung eines Parlamentsbeschlusses und damit auf die Vorlage der Übersicht über private und MEGB-Flächen innerhalb eines Gewerbeflächenkatasters wartet, ist für Christine Klein ebenso als „Altlast“ ohne Eigenverantwortung zu sehen, bedarf aber dennoch der zeitnahen Aufarbeitung wie die ebenso lange fehlende Bearbeitung eines Innenstadt-Parkplatzkatasters.
Auch die vom Magistrat bis zur November-/Dezembersitzungsrunde 2020, und damit vor der Amtszeit Kleins, zugesagten, aber bis einschließlich März dieses Jahres überfälligen Verkehrsgutachten und -konzept für den Bereich des ehemaligen Euler-Areals inklusive Heidelberger Straße trugen der Verwaltungsspitze von den Liberalen den Vorwurf des „bewussten Beschluss-Aussitzens“ ein.
Unzufriedenheit kund tun, um Missstände rasch zu beseitigen
Hier sieht die Bürgermeisterin in ihrer 100-Tage-Amtsbilanz in der Tat noch Handlungsbedarf. Klein fordert die gerade neu gewählten Mandatsträger auf, Unzufriedenheit ihrem Büro kund zu tun und versprach „offen und transparent damit umzugehen“ um Missstände rasch zu beseitigen.
Erste Schritte in die richtige Richtung sieht die Bürgermeisterin dergestalt eingeleitet, dass sie mit allen Fraktionsvorsitzenden in Kontakt stehe, diese bereits zweimal zum Austausch eingeladen habe, und die Gesprächsrunden harmonisch und konstruktiv verlaufen seien.
„Unfähigkeit oder Unwillen einen Haushaltsplanentwurf für das Jahr 2021 vorzulegen“
Die inzwischen sogar als skandalös bezeichnete „Unfähigkeit oder den Unwillen der Rathausspitze einen Haushaltsplanentwurf der Stadt Bensheim für das Jahr 2021 vorzulegen“, wie dies im November oder Dezember des jeweiligen Vorjahres hätte erfolgen müssen und üblich sei, steht ebenfalls nicht im direkten Verantwortungsbereich der Bürgermeisterin.
Für den hierfür verantwortlichen Stadtkämmerer, hauptamtlicher Stadtrat Adil Oyan, hegt Christine Klein insoweit Verständnis, dass er „bisher nur einen Haushalt hätte vorlegen können, der nicht genehmigungsfähig ist“.
Sie sei „total unglücklich“ hier aufgrund der Auswirkungen der Pandemie improvisieren zu müssen, bis man sich an realen Zahlenwerken orientieren könne.
„Planerisch verantwortungsvolle Arbeit weiter vorantreiben“
Dem Faktum, bis zum Zeitpunkt des Vorliegens eines genehmigten Haushalts nur Pflichtaufgaben erfüllen zu dürfen, misst Klein dennoch keine gewichtigen Hinderungsgründe bei, weil man „planerisch verantwortungsvolle Arbeit weiter vorantreiben“ könne.
„Ich beschäftige mich mit einer möglichen Neuausrichtung der städtischen Tochter Marketing- und Entwicklungsgesellschaft Bensheim (MEGB)“, sagt Christine Klein zu dieser Thematik ihres Wahlkampfes.
Dazu müssten sich allerdings Wirtschafts- und Steuerprüfer der Sache annehmen, und das sei eine kostspielige Angelegenheit, die es wiederum im Vorfeld zu prüfen gelte.
Als „Schnee von gestern“ und damit „erledigt“ betrachtet die Bürgermeisterin den geplanten Neubau des Sparkassengebäudes am Bahnhof. Hier habe sie keine internen Kenntnisse „weil bisher nicht dem Verwaltungsrat angehörig“, sagt Klein.
„Zu einer für möglichst alle Beteiligten tragbaren Lösung finden“
Auch bei der neuen Bürgermeisterin nimmt das Thema Marktplatz- und ganzheitliche Innenstadt-Gestaltung breiten Raum ein. „Wir sind intern am Arbeiten und wollen mit guter Bürgerbeteiligung im offenen und transparenten Diskurs zu einer für möglichst alle Beteiligten tragbaren Lösung finden“, blickt Christine Klein hier hoffnungsvoll voraus.
Dazu zählten am Marktplatz nicht nur die Planungen rund um das Haus am Markt, sondern auch die Häuser Marktplatz 2 und 3, sowie das im MEGB-Besitz befindliche frühere Kaufhaus Krämer. Mit dem Eigentümer der Marktplatzhäuser 2 und 3 stehe sie in Kommunikation, sagt Klein.
Neue, dezernatsübergreifende Stelle schaffen
Um die gesamte Innenstadtplanung zeitnah einer vernünftigen Lösung zuzuführen wolle sie eine dezernatsübergreifende eigene Stelle schaffen, von der aus eigenverantwortlich im Zusammenwirken mit Bürgern und Dezernenten Lösungen erarbeitet werden.
„Hier sollen sich alle Initiativen wiederfinden, wir geben von städtischer Seite nichts vor, wollen aber im Rathaus die Fäden in der Hand behalten“, unterstreicht die Bürgermeisterin ihre Position.
Insgesamt gehe bei ihr „Gründlichkeit vor Schnelligkeit“ sagt Christine Klein und gibt sich zuversichtlich für ihre weitere Tätigkeit als Rathauschefin zum Wohl der Bensheimer Bürgerinnen und Bürger.
So lässt denn der angekündigte politische Klimawechsel in der Verwaltung der größten Stadt im Landkreis Bergstraße angesichts der Altlasten-Aufarbeitung in schwierigem Corona-Umfeld wohl noch etwas auf sich warten.