Wahrnehmungsverschiebung
SERIE, Teil 6: Monika Wagner beobachtete das Berufungsverfahren vom 07. November 2023 bis 20. Februar 2024 vor dem Landgericht Mannheim gegen eine Weinheimer Ărztin und deren Praxisangestellte wegen des Verdachts auf Ausstellung unrichtiger GesundheitszeugnisseHeute berichten wir in unserer Serie vom Tag 6 der Berufungsverhandlung, 18. Dezember 2023
Teil 1 ist nachzulesen unter: www.de-fakt.de/deutschland/details/?tx_ttnews
Als ich im Gericht ankomme, erschallt ein GeburtstagsstĂ€ndchen im Foyer. Frau Dr. Jiang ist von einer Gruppe Prozessbeobachter umringt und nimmt die zahlreichen GlĂŒckwĂŒnsche, einen BlumenstrauĂ und kleine Geschenke entgegen.
Die Sicherheitsvorkehrungen sind die selben wie an den letzten Verhandlungstagen. Das Foyer und alle GerichtssĂ€le mit Ausnahme von Saal 1 sind fĂŒr jedermann frei zugĂ€nglich.
Aber fĂŒr mich, wie auch die anderen Beobachter des âMasken-Prozessesâ gilt: SchlieĂfach, Erfassung des Ausweises, elektronische Durchleuchtung, Metalldetektor, Abtasten.
Problem: Wohin mit den Geschenken?
FĂŒr Dr. Jiang, die heute ihren 60. Geburtstag feiert, stellt sich das Problem: Wohin mit den Geschenken? Der BlumenstrauĂ muss drauĂen bleiben, er befindet sich in einer Glasvase.
Diesen deponiert sie, nach Absprache mit dem Sicherheitspersonal, unter deren Equipment-Tisch fĂŒr Gummihandschuhe und Desinfektionsmittel. Die ĂŒbrigen Geschenke nimmt sie mit in den Saal und legt sie auf ihren Tisch.
Die Kammer betritt den Saal. Weder die StaatsanwĂ€ltin Dr. König, noch die Schöffinnen oder der Richter gratulieren. (Okay, die Kammer ist zur NeutralitĂ€t verpflichtet. In dieser Situation wenigstens zu gratulieren, wenn man schon nicht bereit war den Termin zu verschieben, ist fĂŒr mich eine Frage des Anstands.
Ich hĂ€tte mir das als Schöffin nicht verbieten lassen, wobei Frau Dr. Jiang auf diese GlĂŒckwĂŒnsche wohl auch keinen Wert legt, denn wo die Strafkammer steht wurde inzwischen deutlich.)
Richter zeigt sich irritiert und bestÀtigt dann, er sei der gesetzliche Richter
Die Wahlverteidiger Rechtsanwalt Lausen und Rechtsanwalt KĂŒnnemann sind fĂŒr die heutige Verhandlung nicht aus Hamburg angereist. Die reservierten Reihen der Presse sind ebenfalls leer. Dr. Jiang ĂŒberrascht den Richter mit einer Frage, zu Beginn der Verhandlung: âHerr Dr. Hirsch sind Sie mein gesetzlicher Richter?â
Der Vorsitzende Richter zeigt sich zunÀchst etwas irritiert und bestÀtigt dann er sei der Vorsitzende Richter der 12. Kleinen Strafkammer am Landgericht Mannheim. Er habe dieses Verfahren zugewiesen bekommen und ist insofern der gesetzliche Richter.
Rechtsanwalt Willanzheimer ist heute der alleinige Vertreter der Verteidigung. Er spricht nochmals die Möglichkeit an das Verfahren einzustellen. Die StaatsanwÀltin lehnt dies ab!
Da von Amts wegen keine weiteren Beweise mehr erbracht werden sollen - seitens des Gerichts ist die Beweisaufnahme abgeschlossen - ĂŒbergibt der Verteidiger schriftlich drei neue BeweisantrĂ€ge, sowohl dem Vorsitzenden Richter Dr. Hirsch als auch der StaatsanwĂ€ltin König.
Am letzten Verhandlungstag hatte Rechtsanwalt Lausen ebenfalls sowohl dem Richter als auch der StaatsanwÀltin kommentarlos Kopien eines Artikels aus der Richterzeitung auf den Tisch gelegt.
BeweisanatrĂ€ge mĂŒndlich erlĂ€utert
Der Vorsitzende Richter teilt mit, dass diese Kopien nicht in die Akte aufgenommen werden. Rechtsanwalt Willanzheimer erklĂ€rt mĂŒndlich um was es in den neuen BeweisantrĂ€gen geht:
1) Der Vorsitzende Richter besitzt keine medizinische Fachausbildung. Der Leiter des Landgerichts Mannheim soll hierzu geladen werden, gemÀà § 244 Abs. 1 StPO wird die Qualifikation des Richters fĂŒr das anliegende Verfahren angezweifelt.
2) Dem Vorsitzenden Richter Dr. Hirsch wird mangelnde Sachkunde unterstellt, d.h. er kann die medizinischen Gutachten nicht beurteilen, hierzu soll der Vorsitzende Richter des 12. Zivilsenat beim Oberlandesgericht Stuttgart gehört werden.
3) BezĂŒglich der BegrĂŒndung der Masken-Atteste soll eine FachĂ€rztin fĂŒr Psychiatrie in Konstanz, welche auch Mitglied der BezirksĂ€rztekammer in Freiburg ist, als Gutachterin geladen werden, zur KlĂ€rung der Frage ob die Formulierung der Masken-Atteste eine Diagnose im medizinischen Sinn darstellt. Aus Sicht der Verteidigung stellt die verwendete Formulierung keine Diagnose dar und damit auch kein Gesundheitszeugnis.
4. Wird ein Hilfsantrag gestellt, mittels dessen der Abteilungsleiter fĂŒr Germanistik am Institut fĂŒr Linguistik der UniversitĂ€t Stuttgart, Fachmann fĂŒr Syntax und Semantik, Ereignis- und Informationsstruktur, die verschiedenen Auslegungsmöglichkeiten der verwendeten Formulierung ââŠdas Tragen von Masken ist kontraindiziert" darlegen soll.
Zur BestĂ€tigung, dass es sich bei dieser Formulierung um keine Diagnose aus medizinischer Sicht handelt. Hierzu wird ein linguistisches SachverstĂ€ndigengutachten gewĂŒnscht.
Richter Hirsch betont noch einmal, dass nach seiner Meinung diese BeweisantrĂ€ge nicht erforderlich sind. Die Beweisaufnahme seitens des Gerichts ist abgeschlossen. Er ĂŒbergibt das Wort an die StaatsanwĂ€ltin.
Frau König erklĂ€rt aus ihrer Sicht sind die AntrĂ€ge unzulĂ€ssig. AuĂerdem echauffiert sie sich gegenĂŒber der Angeklagten. Zitat: âEs ist nicht gestattet [im Gericht] einen Altar aufzubauen.â
âAltarâ aus Geschenken fĂŒr die Angeklagte ...
Nur zur Erinnerung: Es handelt sich bei dem âAltarâ um die Geschenke der Angeklagten, welche diese anlĂ€Ălich ihres 60. Geburtstag im Foyer ĂŒberreicht bekam. Rechtsanwalt Willanzheimer rĂŒgt den Kommentar der StaatsanwĂ€ltin.
Ferner fĂŒhrt er aus, dass das Selbstladeverfahren zwecks Anhörung der Zeugen StaatsanwĂ€ltin R. und Oberstaatsanwalt Gremmelmaier seitens der Verteidiger eingeleitet wurde. FĂŒr die StaatsanwĂ€ltin R. muss noch eine Aussagegenehmigung abgeklĂ€rt werden, dem stimmt Dr. Hirsch zu.
... auch heute grĂŒĂt das Murmeltier. Es folgt der Einspruch gegen die öffentlichen SicherheitsmaĂnahmen, sowie der Hinweis, dass die Zahl der Prozessbeobachter schon alleine durch die Anzahl der SchlieĂfĂ€cher (nur 24) de facto eingeschrĂ€nkt wird, obwohl bei weitem mehr SitzplĂ€tze zur VerfĂŒgung stehen (ungeachtet der zwei leeren Bankreihen fĂŒr die Pressevertreter).
Rechtsanwalt Willanzheimer stellt erneut einen Antrag auf Aufhebung der sitzungspolizeilichen Anordnung vom 13. Oktober 2023. Die Sitzung wird unterbrochen, die Kammer zieht sich zur Beratung zurĂŒck.
GeburtstagsstĂ€ndchen fĂŒr die Angeklagte
WĂ€hrend der Verhandlungspause erheben sich die Zuschauer von ihren Sitzen und singen ein GeburtstagsstĂ€ndchen fĂŒr die Angeklagte. Da nicht alle anwesend waren, wird das ganze im Beisein der StaatsanwĂ€ltin König noch einmal wiederholt, was selbige so richtig in Rage bringt.
Wer erwartet hatte, dass die StaatsanwĂ€ltin dies als einen âreminderâ betrachtet und die Chance nutzt, Dr. Jiang doch noch zu ihrem 60. Geburtstag zu gratulieren oder sich bei ihr fĂŒr die verbale Entgleisung, die Angeklagte wĂŒrde einen Altar aufbauen zu entschuldigen, sah sich eines besseren belehrt.
(Mir tut die StaatsanwĂ€ltin schon fast leid. Ich habe den Eindruck sie hat sich verrannt. Und sie weiĂ, dass sie sich verrannt hat. Aber sie weiĂ nicht, wie sie aus dieser Nummer wieder herauskommen soll. Den Ausweg den ihr Rechtsanwalt Willanzheimer nahelegte - Einstellung des Verfahrens â will sie partout nicht gehen. Zeitweise wirkt sie auf mich wie ein Kind in der Trotzphase.)
Der Vorsitzende Richter verkĂŒndet nach der Beratungspause folgende BeschlĂŒsse:
1) Die sicherheitspolizeiliche Anordnung bleibt bestehen.
2) Die Frist zur schriftlichen Stellungnahme der BeweisantrÀge wird auf den 29. Dezember 2023 (nÀchster Verhandlungstag) festgesetzt.
3) Die BeweisantrÀge vom 11. Dezember 2023 werden abgelehnt.
4) Alle neuen BeweisantrĂ€ge sollen zeitnah gestellt werden. Nach Fristablauf werden die etwaigen neuen Erkenntnisse erst in der Urteilsfindung berĂŒcksichtigt.
Rechtsanwalt Willanzheimer stellt erneut einen Befangenheitsantrag gegen den Vorsitzenden Richter Dr. Hirsch sowie die Schöffin Frau Boaz, wegen persönlicher Voreingenommenheit gegen Dr. Jiang.
Schikane gegen die Angeklagte abgeleitet
Man wusste, dass Dr. Jiang heute ihren 60. Geburtstag feiert, trotzdem bestand man auf diesen Termin. Die Verhandlung begann mit etwa 10 Minuten VerspÀtung (also etwa 09:10 Uhr) und wurde, nachdem es keine weiteren AntrÀge gab, nach 27 Minuten beendet.
Hieraus leitet nicht nur der Verteidiger eine persönliche Schikane gegen die Angeklagte ab, ebenso das Publikum. Der Vorsitzende Richter schweigt zu diesem Vorwurf. Er fragt die StaatsanwÀltin König, ob sie hierzu eine ErklÀrung abgeben möchte - will sie nicht.
Es folgen keine weiteren rechtlichen Hinweise, auch keine abschlieĂende Beratung der Kammer. Dr. Hirsch beendet die Sitzung fĂŒr den heutigen Tag. Die Verhandlung wird am 29. Dezember 2023 fortgesetzt. Es ist jetzt 10:07 Uhr.
Dies war meine Wahrnehmung des sechsten Berufungsprozesstages. Aufzeichnungen der weiteren Prozesstage folgen jeweils freitags und montags. Hier geht's zu Teil 7: www.de-fakt.de/bundesland/hessen/details/?tx_ttnews