Heftige Kritik an Grundsteuer-Erhöhung ohne weitere Lösungsansätze
Bei einer Bürgerversammlung in Bensheim informierte der Magistrat umfassend über die aktuelle Finanzmisere der Stadt mit einem Jahresdefizit von rund 38,5 Millionen Euro + + + Die Jeremiade über die aktuelle Lage war groß, allerdings fehlten neben der vorgeschlagenen Erhöhung der Grundsteuer B um 280,65 Prozent konkrete Lösungsvorschläge zur weiteren Situationsverbesserung, wie zahlreiche Bürger kritisiertenBENSHEIM. - Nach zuletzt ständig wechselnden Zahlen zur Finanzkrise im Bensheimer Rathaus mit historischem Ausmaß und deren Bewältigung hatte Stadtverordnetenvorsteherin Christine Deppert zu einer Bürgersversammlung eingeladen, um über den Sachstand zu informieren.
Vor knapp 500 Bürgern erläuterten Bürgermeisterin Christine Klein, zugleich auch Finanzdezernentin der Stadt, und der Leiter der städtischen Finanzabteilung Stephan Schneider das umfangreiche tiefrote Zahlenwerk.
„Genauigkeit geht vor Schnelligkeit“
Nach Lösungsansätzen, die über die vom Magistrat vorgeschlagene nahezu Verdreifachung der Grundsteuer B zur Haushaltskonsolidierung hinausgehen, werde man sich intensiv bemühen, allerdings brauche das Zeit, sagte Klein. „Genauigkeit geht hier vor Schnelligkeit“, warb sie um Geduld der Bürger, „denn wir stehen vor einer ganz besonderen Situation“.
Die vom Magistrat vorgeschlagene Erhöhung der Grundsteuer B von seither 620 Prozentpunkten auf künftig 1.740 Punkte „passt uns allen nicht“, wiederholte die Bürgermeisterin ihr Statement, wie schon im Haupt- und Finanzausschuss geäußert (siehe dazu FACT-Bericht unter: www.de-fakt.de/bundesland/hessen/kreis-bergstrasse/details/?tx_ttnews).
Ursprüngliches Jahresdefizit von 12,5 Millionen auf jetzt 38,5 Millionen Euro „gewachsen“
Der zu Jahresbeginn 2024 mit einem Defizit von 12,5 Millionen Euro vom Parlament verabschiedete und von der Aufsichtsbehörde genehmigte Haushalt sei aufgrund eines „besonderen Einbruchs der Gewerbesteuer“ zur Jahresmitte gehörig ins Wanken geraten.
Zu diesem Zeitpunkt seien Steuerrückerstattungen für den Zeitraum 2022 und 2023 in Höhe von 30,7 Millionen Euro angefallen. Aktuell ergebe sich die Situation, dass in der Jahresbilanz 2024 deshalb ein Finanzloch von rund 38,5 Millionen Euro klaffe, das nicht mehr über vorhandene Rücklagen auszugleichen sei, erläuterte Klein.
„Alles dafür tun, um die Erhöhung der Grundsteuer B moderat zu gestalten“
Man wolle alles dafür tun, um die Erhöhung der Grundsteuer B moderat zu gestalten. Allein die Aufsichtsbehörde habe den von der Verwaltung vorgeschlagenen 10-Jahres-Zeitraum zur Haushaltskonsolidierung auf fünf Jahre verkürzt.
Dass die Gewerbesteuereinnahmen nach aktuellen Schätzungen auch künftig um etwa 20 Millionen jährlich geringer ausfallen würden als das Niveau vergangener Jahre, verheiße ebenfalls nichts Gutes. Der Einbruch der Gewerbesteuer in seinem realen Ausmaß sei nicht vorhersehbar gewesen.
Angesichts „enormer Pflichtaufgaben“ bleibe „kein Spielraum mehr“, um die gesetzlich verbriefte kommunale Selbstverwaltung mit Leben zu füllen. In diesem Zusammenhang kritisierte die Bürgermeisterin einmal mehr die von Bund und Land den Kommunen aufoktroyierten Pflichtaufgaben ohne entsprechenden finanziellen Ausgleich.
„Kein exklusives Bensheimer Problem“
Hinzu kämen Tariferhöhungen für die Mitarbeitenden, deutlich gestiegene Energiepreise, wie auch insgesamt die Preiserhöhungen „die die Haushalte aller Städte und Gemeinden enorm belasten, und unsere eignenen Entscheidungen komplett einschränken“.
Vielen Kommunen gehe angesichts der riesigen Belastung „die Luft aus“, das sei „kein exklusives Bensheimer Problem“, sagte Klein und nannte von den Pflichtaufgaben in Höhe von 111 Millionen Euro die wesentlichen Zahlen mit 54 Millionen an Umlagen und 19 Millionen Euro für die Kinderbetreuung.
Erträge von rund 128 Millionen auf 88,6 Millionen Euro zurückgegangen
Umfangreiche Folien hatte Stephan Schneider, der Leiter der städtischen Finanzabteilung, zur Erläuterung seines Zahlenwerks mitgebracht. Ausgehend vom zu Jahresbeginn 2024 genehmigten Haushalt mit Erträgen von rund 128 Millionen und Aufwendungen von rund 140 Millionen Euro bei einem Defizit von 12,5 Millionen Euro habe man im Nachtragsetat Anpassungen wie folgt vorgenommen: 88,6 Millionen an Erträgen und 131,8 Millionen für Aufwendungen, was einem Jahresdezizit von 43,3 Millionen Euro entsprach.
Der jüngsten Schätzung des Finanzamts zufolge ergäben die Erträge nunmehr rund 94 Millionen und die Aufwendungen nach angepasster Kreis- und Schulumlage rund 133 Millionen mit dem defizitären Ergebnis von rund 38,5 Millionen Euro.
Alle von Schneider vorgestellten Folien sind über die städtische Homepage einsehbar unter: https://www.bensheim.de/wp-content/uploads/2024/12/Buergerversammlung-20241212-Praesentation.pdf
„Wir müssen bis 2028 konsolidieren“
Angesichts der sich abzeichnenden „Finanzmisere mit historischer Dimension“ (O-Ton Bürgermeisterin Klein) habe man Mitte Oktober in einem informellen Gespräch mit der Aufsichtsbehörde um einen Konsolidierungszeitraum bis 2034 ersucht, weil man mehr Zeit brauche, sei aber mit diesem Anliegen gescheitert.
„Wir müssen bis 2028 konsolidieren“ auch weil ansonsten der dringend benötigte Liquiditätskredit in Höhe von 20 Millionen Euro nicht genehmigt werde, dieser Kredit aber unabdingbar sei, weil ansonsten die Zahlungsunfähigkeit drohe, sagte Schneider.
„Unser Konsolidierungsvorschlag wurde von der Aufsichtsbehörde gar nicht angesehen“
„Unser Zehnjahres-Konsolidierungsvorschlag wurde von der Aufsichtsbehörde gar nicht erst angesehen“, ergänzte die Bürgermeisterin und hofft auf die jetzt angerufene Kommunalberatung. Dieser Termin wurde wegen der regen Inanspruchnahme der Beratung durch zahlreiche Kommunen nach zähem Ringen nun auf den 21. Januar 2025 fixiert.
„Dabei werden wir alles tun, um Verständnis zu erlangen für unsere vorgeschlagene Haushaltskonsolidierung auf 10 Jahre.“ Denn alles, was man an freiwilligen Leistungen heute streiche, „wird uns morgen fehlen“, sagte Christine Klein.
„Selbst bei Streichung aller freiwilligen Leistungen der Stadt (Schneider nannte u.a. das Parktheater, Spiel- und Sportplätze, das Basinus-Bad etc.) kämen nicht mehr als 17 Millionen Euro zusammen“, sieht Schneider hier keinen Lösungsansatz.
„Nicht alles zerstören, was wir uns in den vergangenen Jahren aufgebaut haben“
Und Christine Klein ergänzte: „Wir müssen genau hinsehen, und nicht mit der Rasenmäher-Methode, sondern mit Vernunft und Augenmaß drangehen, damit wir nicht alles zerstören, was wir uns in den vergangenen Jahren aufgebaut haben. Wir müssen uns unsere Qualität erhalten.“
Jede Kürzung von freiwilligen Leistungen habe einen unmittelbaren Effekt auf die Lebensqualität in Bensheim. Man wisse, „welche Tragweite eine solche Erhöhung mit sich bringt“ und habe sich diese Entscheidung nicht leicht gemacht. Aber letztlich sei das natürlich immer auch eine politische Entscheidung des Stadtparlaments.
„Prüfen wo wir besser werden und wo Synergien genutzt werden können“
Sie habe eine „sehr leistungsfähige und gute Verwaltung mit sehr motivierten Mitarbeitern übernommen“, sagte die Bürgermeisterin zur angesprochenen Effizienz der Verwaltung. Dennoch müsse man auch hier prüfen „wo können wir besser werden und wo können Synergien genutzt werden“.
Man wolle und müsse umstrukturieren und werde sich dazu „Unterstützung von außen holen“. Dabei „müssen alle mitgenommen werden in einem Prozess den wir angestoßen haben, der aber Zeit braucht“. Insgesamt seien die Personalkosten in der Bensheimer Stadtverwaltung mit 16% in einer Vergleichsgruppe ähnlicher Kommunen sehr niedrig und man sei keineswegs überbesetzt.
„Freude über konstruktive Vorschläge der WVB“
Kleins Dank galt der Wirtschaftsvereinigung Bensheim (WVB), die Hilfe angeboten habe. Leider sei ihre „Freude über konstruktive Vorschläge der WVB“ getrübt worden, weil das Sponsoring-Angebot nicht rechtskonform sei und deshalb nicht angenommen werden konnte.
„Wir sind aber nach wie vor im guten Austausch und führen gute Gespräche mit der WVB wie auch mit dem Bürgernetzwerk.“ Dafür bedankte sich die Bürgermeisterin ausdrücklich.
Die Überraschung in der Stadtverwaltung durch den Gewerbesteuereinbruch wollte in der anschließenden Fragerunde praktisch niemand glauben.
„Ihre Ahnungslosigkeit nehme ich Ihnen nicht ab, da haben Sie versagt“
Vielmehr gab es wiederholt Unmutsbekundungen bei der Argumentation sowohl von Klein als auch Schneider, man habe das gesamte Ausmaß der Finanzmisere erst nach Vorliegen der Steuermessbescheide vom Finanzamt erkennen können.
Viel Beifall aus den Reihen der Zuhörer erhielt das Argument eines Bürgers, wenn man dunkle Wolken am Horizont sehe, könne man absehen, dass es demnächst regnen werde. „Ihre Ahnungslosigkeit nehme ich Ihnen nicht ab, da haben Sie versagt“, attestierte er den Verantwortlichen im Bensheimer Rathaus.
Frühzeitige Gespräche mit den CEOs der wichtigsten Arbeitgeber in der Stadt hätten sicher rechtzeitiger „das jetzt angeblich überraschende Ergebnis“ aufgezeigt, war der überwiegende Tenor im aufmerksamen Auditorium.
„Eigentlich sind alle anderen Schuld an der Misere, aber das stimmt so nicht“
Die aufgehobene Haushaltssperre in Höhe von 70.000 Euro für die Strom- und Wasserversorgung eines Brunnens und die Anschaffung von >Terrorsperren< kritisierte eine Bürgerin als „zwei überflüssige Maßnahmen“, wie auch weitere Vorgänge nicht nachvollziehbar seien.
Auch würden Beschlüsse (Konkret der Verkauf >Hoffart-Gelände< und Prüfauftrag zum Weiterbetrieb oder Verkauf der >Alten Gerberei<) nicht umgesetzt. Wie man jetzt höre seien „eigentlich alle anderen Schuld an der Misere, aber das stimmt so nicht“, lautete ihr Vorwurf an die Stadtspitze.
Dem entgegnete die Bürgermeisterin, „die Verwaltung handelt nach den Beschlüssen der Stadtverordnetenversammlung“. Das sei ein demokratischer Vorgang und „es läuft genau so ab, wie in der Hessischen Gemeindeordnung (HGO) vorgesehen“.
„Verwundert über die geringe Fachkenntnis in der Bensheimer Bauabteilung“
Ein sachkundiges Bensheimer Urgestein zeigte sich gar „verwundert über die geringe Fachkenntnis in der Bensheimer Bauabteilung“. Nach seiner Darstellung könne man „in wenigen Monaten locker gut ein Viertel des jetzt aufgezeigten Jahresdefizits problemlos generieren“ und müsse diesen erklecklichen Betrag in zweistelliger Millionenhöhe nicht durch Steuererhöhung kompensieren.
Aber offensichtlich kenne man diese Möglichkeit in der städtischen Bauabteilung nicht einmal, oder vernachlässige diese in fahrlässiger Weise, sagte der Bensheimer abschließend.
„Wir stehen nicht nur vor einer Herausforderung, sondern auch vor einer Chance“
Die erste Bürgerin der Stadt, Parlamentsvorsteherin Christine Deppert, sieht die Stadt angesichts des Jahressdefizits von aktuell mehr als 38 Millionen Euro „vor einer großen Herausforderung, die uns alle betrifft“. Solche Herausforderungen seien da, „dass wir sie gemeinsam angehen“.
Bensheim habe in seiner Geschichte schon viele schwierige Situationen gemeistert, „und ich bin fest davon überzeugt, dass wir auch diese Aufgabe gemeinsam lösen werden wenn wir solidarisch zusammenstehen“, sagte Deppert zu Beginn der Bürgerversammlung.
„Wir stehen heute nicht nur vor einer Herausforderung, sondern auch vor einer Chance. Eine Chance, die Weichen für eine nachhaltige und stabile Entwicklung für unsere Stadt zu stellen.“
„Wir sind Bensheim und zusammen werden wir auch diese Herausforderung meistern“
Die Stadtverordnetenvorsteherin dankte allen für ihre Bereitschaft aktiv mitzugestalten, „denn wir sind Bensheim und zusammen werden wir auch diese Herausforderung meistern“.
Christine Deppert kündigte, mit dieser Bürgerversammlung zum Auftakt, weitere Informations- und Beteiligungsveranstaltungen für die nahe Zukunft an, insbesondere auch nach der Information der Verwaltung durch die Kommunalberatung Mitte Januar kommenden Jahres.
Als Moderatorin der Bürgerversammlung hatte die Stadt wie schon zu diversen früheren Veranstaltungen einmal mehr die Pfälzerin Lucia Brauburger engagiert.