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Es ist kein Sprint, sondern ein Marathon!

IM GESPRÄCH: Mitglieder des DGB Bensheim mit dersozialdemokratischen Landtagsabgeordneten und hessischen Generalsekretärin der SPD Dr. Josefine Koebe (2.von rechts) in deren Bensheimer Büro. Foto: Pressedienst DGB Bensheim

BENSHEIM. - Konstruktiv, kritisch und den Blick nach vorne gerichtet, so lässt sich die Atmosphäre des Meinungsaustauschs beschreiben, den Mitglieder des Ortsverbands Bensheim im Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) mit der Landtagsabgeordneten und Generalsekretärin der SPD Hessen Dr. Josefine Koebe (SPD) führten.

Die Gewerkschaften sind traditionell eng mit der Sozialdemokratie verbunden. Demzufolge ist auch die Erwartungshaltung hoch, nachdem die SPD als kleinerer Koalitionspartner seit einem Jahr Teil der hessischen Landesregierung ist.

Gemeinsam mit Koebe wollten die DGB-Mitglieder in Bensheim eine erste Bilanz der Regierungsaktivitäten ziehen und Wünsche, Vorschläge und Forderungen im Interesse der Arbeitnehmer für die weitere Regierungsarbeit der SPD vorbringen und zur Diskussion stellen.

Zum Gespräch mit Josefine Koebe hatten die Gewerkschafter einen Fragenkatalog vorbereitet, der in die Themen Arbeit, sozialökologische Transformation und Verteilungsgerechtigkeit, Bildung und Frauenpolitik gegliedert war.

Günther Schmidl (IG Metall), Vorsitzender des DGB-Ortsverbandes sowie ehemaliger stellvertretender. Betriebsratsvorsitzender bei Sirona, erinnerte die Abgeordnete an das Selbstverständnis der SPD, eine Partei der arbeitenden Menschen zu sein.

Die Forderung der SPD, den Mindestlohn – seit 1. Januar 12,82 Euro pro Stunde – auf 15 Euro zu erhöhen, sei mehr als gerechtfertigt, sagte Schmidl.

Horst Raupp, Regionssekretär des DGB-Südhessen, forderte eine Ausweitung der Tarifbindung und ein Tariftreuegesetz auf Landes- und Bundesebene. Tarifflucht der Unternehmer führe zu Wettbewerbsverzerrung.

Raupp und Schmidl kritisierten, dass Hessen unter dem früheren CDU-Ministerpräsidenten Roland Koch aus der Tarifgemeinschaft der Bundesländer für den Öffentlichen Dienst ausgetreten ist: „Hessen ist damit der größte Tarifflüchtling in der Republik.

Vanessa Lange (ver.di), stellvertretende Vorsitzende des DGB-Bensheim, zeigte sich als Vertreterin der Beamten über den massiven Vertrauensbruch der Landesregierung bei der Beamtenbesoldung enttäuscht, nachdem die CDU die Beamten bereits seit 11 Jahren in Bezug auf eine verfassungskonforme Besoldung hinhalte. Sie vermisse die Wertschätzung der Staatsbediensteten sowohl in der Bevölkerung als auch in den Parteien.

„Die Landesregierung muss sich vor ihre Beamten stellen und die Probleme im öffentlichen Dienst deutlich ernster nehmen“, betonte Lange. Stattdessen würden Vorurteilen nicht genügend entgegengetreten und der Staatsdienst immer unattraktiver.

Josefine Koebe, stellvertretende Vorsitzende des Haushaltsausschusses, rechtfertigte die Verschiebung der Besoldungserhöhung, durch die es zu deutlichen Differenzen zwischen den Gewerkschaften und der Landesregierung gekommen ist, mit der angespannten Finanzlage.

Sie versicherte, dass es in ihrer Fraktion ein Bewusstsein dafür gebe, was Beamte leisten und welchem Druck sie ausgesetzt sind. Dies zeige sich auch an der Präsenz von Kollegen bei der geplanten Demo des DGB an Wochenenden.

Man ducke sich nicht weg, aber hätte nur vor „Pest“ oder „Cholera“-Entscheidungen gestanden. Wichtig war es Koebe zu betonen, dass das Mitreden der Sozialdemokratie in der Regierung dazu geführt habe, dass man nicht mit dem Rasenmäher durch das Sozialsystem fahren musste.

Aber sie gab Vanessa Lange vollkommen Recht, dass es oftmals auch um die Kommunikation geht, wie solche Maßnahmen transportiert werden. Da sehen beide Frauen noch Optimierungspotenziale.

Arbeitnehmer, die in der Landwirtschaft, im Straßen- oder Hochbau beschäftigt sind, spüren während der sommerlichen Hitzewellen den Klimawandel am eigenen Leib. Darauf wies Vorstandsmitglied Birgit Rinke (ver.di) hin, als sie die Forderungen der Gewerkschaften zum Thema sozialökologische Transformation vortrug.

Josefine Koebe regte an, über Arbeitszeitmodelle nachzudenken, die ähnlich wie in den Mittelmeerländern längere Pausen während der Mittagshitze vorsehen.

Raupp sagte, auch die Gewerkschaften betrachteten die sozialökologische Transformation als „gewaltige Herausforderung“. Doch er wies auch auf die Chancen hin. „Die Transformation kann ein Jobmotor gerade auch für den ländlichen Raum sein“, sagte er.

Wenn der Wandel intelligent gestaltet werde, würden nicht weniger, sondern mehr, qualifizierte und gut bezahlte Arbeitsplätze entstehen. „Die Transformation darf nicht dem Markt überlassen werden. Sie muss politisch gesteuert werden. Nur so können wir den Menschen die Angst vor Veränderungen nehmen“, sagte der Gewerkschaftssekretär.

Vanessa Lange wandte sich gegen die weit verbreitete Ansicht, in Deutschland würden Reichtum und Wohlstand „von oben nach unten“ verteilt.

Das Gegenteil sei der Fall: Harte Arbeit, Fleiß, Innovation und Risikobereitschaft müssten wieder mehr honoriert werden als leistungslose Kapitaleinkünfte und Erbschaften von teils mehreren hundert Millionen Euro. „Das Leistungsversprechen ist in Deutschland schon seit Jahrzehnten gebrochen“, sagte Lange dazu.

Als Beispiel dafür, wie Managementfehler auf Kosten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer behoben werden sollen, nannte Raupp den Volkswagenkonzern.

VW habe es versäumt, ein für breite Schichten der Bevölkerung bezahlbares Elektroauto auf den Markt zu bringen: „VW krankt daran, dass überbezahlte Vorstände und Manager ihren Job nicht machen.“ Während mit Werksstilllegungen und Lohnkürzungen gedroht wird, schütte der Konzern Milliarden an die Großaktionäre aus.

Als Sprecherin der Landtagsfraktion für frühkindliche Bildung beschrieb Koebe, warum die SPD großen Wert darauf lege, mehr in Kindergärten, Schulen und Hochschulen zu investieren.

Weil auch die Sozialdemokraten die Familie als primären Bildungsort ansehen, müsse die Hilfe dort ansetzen, um Chancengerechtigkeit herzustellen. Fehlende Betreuungsangebote verhinderten, dass Frauen in dem Maß berufstätig sind, wie sie es wünschen.

Das sei eine von mehreren Ursachen für den allgemein beklagten Fachkräftemangel. Josefine Koebe sagte, bei der Ausgestaltung des Bildungssystems lägen die Vorstellungen der beiden Koalitionspartner grundsätzlich weit auseinander.

Man habe sich im Koalitionsvertrag auf Kompromisse einigen können, an die sich beide Seiten halten würden, aber langfristig habe die SPD höhere Ambitionen.

Ziel der SPD sei es, auch hier einen langfristigen Blick auf Bildung zu werfen, dass sich jeder in die frühe Kindheit investierte Euro letztlich doppelt und dreifach auszahle. Investitionen in ein ganzheitliches Bildungssystem sichere letztlich auch den Wirtschaftsstandort Deutschland.

Die Landtagsabgeordnete und der DGB-Ortsverband wollen im Gespräch bleiben. Josefine Koebe versprach, Erkenntnisse und Anregungen mit nach Wiesbaden zu transportieren und als Generalsekretärin der hessischen SPD daran mitzuwirken, dass die Solidarität zwischen Gewerkschaften und Sozialdemokratie stark bleibt.