„Im Zweifel das Jugendamt einschalten“
Kinderschutz während der Corona-PandemieBERGSTRASSE / BENSHEIM / LAMPERTHEIM / FÜRTH. - Geschlossene Schulen und Kitas, Kontaktverbote, gestresste Familien: Von den drastischen Einschränkungen im Zuge der Corona-Pandemie sind auch viele Kinder und Jugendliche im Kreis Bergstraße betroffen.
Das Kreisjugendamt appelliert daher an Eltern, Angehörige und Nachbarn, beim Thema Kindeswohl genau hinzuschauen.
„Durch Home-Office und Home-Schooling verbringen Eltern und Kinder mehr Zeit miteinander.
Auch wenn der Spagat zwischen Kinderbetreuung und gleichzeitigem Arbeiten vielerorts nicht immer ganz einfach ist, bietet die aktuelle Situation viele neue Möglichkeiten und schweißt viele Familien zusammen“, weiß Landrat Christian Engelhardt.
„Es kann aber auch passieren, dass gerade jetzt Konflikte schneller eskalieren. Durch die Doppelbelastung von Arbeit und Kinderbetreuung oder durch den finanziellen Druck, der aufgrund der aktuellen Lage entstehen kann.
Auch dies sind alles Aspekte, die dazu führen können, dass Kinder unter Umständen Gewalt oder Verwahrlosung erleben“, so die Jugend- und Gesundheitsdezernentin des Kreises Bergstraße, Diana Stolz.
Ein besonderes Risiko gebe es dabei in Familien, in denen psychische Erkrankungen oder Suchtprobleme eine Rolle spielen. „Es ist mir daher sehr wichtig, dass alle wissen: Das Jugendamt ist auch jetzt voll erreichbar“, betont Stolz.
„Wir gehen jedem Hinweis einer möglichen Kindeswohlgefährdung nach“, bekräftigt auch Kai Kuhnert, Leiter des hiesigen Jugendamtes.
Eltern, die von der aktuellen Situation überfordert sind oder Hilfe brauchen, können und sollten sich auch jetzt beim Jugendamt melden.
Auch Kinder und Jugendliche, die Zuhause Schwierigkeiten haben, können sich beim Jugendamt melden – zum Beispiel bei den kreiseigenen Beratungsstellen für Eltern, Kinder und Jugendliche, den sogenannten „Erziehungsberatungsstellen“.
Diese befinden sich in Bensheim und Lampertheim, bieten aufgrund der Corona-Pandemie aktuell jedoch nur telefonische Beratung an. An diese Beratungsstellen können sich Eltern sowie Kinder und Jugendliche aus dem gesamten Kreisgebiet wenden – nicht nur diejenigen, die in Lampertheim oder Bensheim wohnen.
Die Mitarbeitenden der kreiseigenen Beratungsstellen unterliegen der Schweigepflicht. Zudem ist die Beratung kostenlos. Alternativ können sich Kinder, Jugendliche und Eltern auch an die „Nummer gegen Kummer“ oder an die Erziehungsberatungsstelle der Caritas in Fürth wenden.
Diese sind wie folgt zu erreichen:
Erziehungsberatungsstelle des Kreises Bergstraße (Bensheim): Mo-Do: 9-13 Uhr und 14-17 Uhr Fr: 9-12 Uhr Telefon: 06251-846 060 | Erziehungsberatungsstelle des Kreises Bergstraße (Lampertheim): Mo-Do: 9-12 Uhr und 14-16 Uhr Fr: 9-12 Uhr Telefon: 06206-910 411 |
Nummer gegen Kummer (Kinder und Jugendliche): Mo-Sa: 14-20 Uhr Mo, Mi, Do: 10-12 Uhr Telefon: 116 111 | Nummer gegen Kummer (Eltern):
Mo-Fr: 9-17 Uhr Di, Do: 10-12 Uhr Telefon: 0800-111 0 550 |
Caritas Beratungsstelle für Eltern, Kinder und Jugendliche (Fürth): Mo-Do: 8-12 Uhr und 13:30-15:30 Uhr Fr: 8-12 Uhr Telefon: 06253-806 1540 E-Mail: eb(at)caritas-bergstrasse.de |
|
Doch nicht nur für Kinder, Jugendliche und Eltern ist das Jugendamt der erste Ansprechpartner. Auch wer den Verdacht hat, dass Kinder leiden oder Angst vor ihren Eltern haben, kann und sollte sich beim Jugendamt melden.
„Kreischende Kinder oder Geschwister, Getrampel auf dem Boden oder laute Musik in der Nachbarswohnung sind jedoch noch lange kein Hinweis auf eine Kindeswohlgefährdung.
Wenn die Kinder selbst um Hilfe rufen oder die Eltern ‚Ich pack‘s nicht mehr‘ sagen, dann sollte man das Jugendamt einschalten – oder außerhalb der Öffnungszeiten des Jugendamtes die Polizei“, macht Kuhnert deutlich.
Es gebe Tag und Nacht einen Bereitschaftsdienst im Jugendamt, der im Notfall von der Polizei kontaktiert würde, versichert Kuhnert.
Zudem gibt es seit dem 1. April eine neue wichtige Ansprechpartnerin in Sachen Kinderschutz im Jugendamt: Anna Lingenberg übernahm von Thorsten Sgodzai die Koordinationsstelle Kinderschutz.
In der aktuellen Situation gelte es aufgrund der besonderen Anforderungen an das Leben in den Familien, die durch große Unsicherheiten sowohl bei Erwachsenen wie auch bei Kindern geprägt sind, als stabile Ansprechpartnerin zur Verfügung zu stehen.
Für Lingenberg sind es herausfordernde Zeiten, in denen es noch mehr gilt, genau hinzuschauen. Notlagen müssten früh erkannt und ernst genommen werden. Es gehe darum, sich Hilfe zu holen, wenn es nötig ist, oder das Jugendamt zu informieren, wenn Kinder in Gefahr sind.
„Ich bitte daher alle Bergsträßerinnen und Bergsträßer besonders jetzt Hinweise auf Gefährdungssituationen für Kinder ernst zu nehmen und die Kontaktaufnahme zum Jugendamt nicht zu scheuen. Nur so können wir die Situation in den Familien beruhigen und gemeinsame Lösungen finden“, betont Lingenberg.
Die neue Kinderschutzkoordinatorin will bei ihrer Arbeit auch Kontakte nach außen knüpfen, da sie auch für die Weiterentwicklung der bestehenden Konzeption und Qualitätsstandards zum Thema Kinderschutz in der Kreisverwaltung, deren strukturelle Vernetzung sowie interdisziplinäre Kooperationen zuständig ist.
Die Corona-Pandemie stellt neben Familien auch das Jugendamt selbst vor neue Herausforderungen. „Entscheidend ist, dass der Kontakt zu Familien, die bereits vom Jugendamt betreut werden, nicht abreißt.
Wo das Kindeswohl einmal in Gefahr war, gehen wir auch jetzt regelmäßig in die Familien, um sicherzustellen, dass es den Kindern gut geht“, so Kuhnert.
Um bei den Hausbesuchen die Infektionsgefahr möglichst gering zu halten, gehe das Jugendamt gemeinsam mit den freien Trägern der Jugendhilfe, auch neue Wege.
So kämen verstärkt Telefon und Video-Chats zum Einsatz, Gespräche würden teils an der Fensterscheibe oder in der freien Natur geführt.
Dennoch führt am Face-to-Face-Kontakt zum Kind kein Weg vorbei. Denn: „Das Wohl der Kinder hat für uns auch unter widrigen Umständen allerhöchste Priorität“, betont Stolz.
Bislang sei allerdings noch unklar, ob die Corona-Krise zu deutlich mehr Notrufen beim Jugendamt führen. Üblicherweise sind es oft die Pädagoginnen und Pädagogen in Schulen und Kitas, die sich mit Verdachtsfällen im Jugendamt melden.
Aber die sehen die Kinder und Jugendlichen aktuell ja noch nicht. Daher kommt auch den Nachbarn, den Verwandten und Bekannten sowie den Eltern eine noch wichtigere Rolle zu.
„Wir alle sind gefragt und sollten hinschauen, aufmerksam sein und bei Bedarf tätig werden. Kinderschutz geht jeden etwas an.“ appelliert Stolz an jeden einzelnen.
„In der aktuellen Krise wird besonders deutlich, wie wichtig die Arbeit der Jugendämter ist“, sagt Diana Stolz. „Der Kinderschutz ist eine unverzichtbare Aufgabe in der Gesellschaft.
So wie etwa auch die Krankhäuser, die Polizei und die Feuerwehr, ist auch auf das Jugendamt und die Jugendhilfe im Kreis Bergstraße in der aktuellen Situation weiter einsatzfähig. Bitte suchen Sie bei Bedarf die Hilfe unserer Experten im Jugendamt.“