„In Bensheim Vieles besser machen“ wollen die HerausfordererIn des Bürgermeisters
Die Erhöhung des städtischen Schuldenstands um rund 50 Prozent während der Amtszeit von Bürgermeister Rolf Richter, zahllose offene Baustellen – im wörtlichen wie übertragenen Sinn - und die Spaltung der Stadtgemeinschaft unter dem Amtsinhaber waren heiße Themen beim Livetalk von vier der fünf BewerberIn auf das Bürgermeisteramt in BensheimBENSHEIM. - Die Kritik an Bensheims Bürgermeister Rolf Richter (CDU) kam von seiner Mitbewerberin und seinen beiden Mitbewerbern zur Wahl am 01. November dieses Jahres gleichermaßen.
Beim Talk im Bensheimer Varieté-Theater Pegasus, der via Livestream mitverfolgt werden konnte, wollen die Herausforderer*in gleichermaßen „in Bensheim Vieles besser machen“, wie Stefan Stehle (FDP) es formulierte. Manfred Kern (GRÜNE) wurde am deutlichsten: „Bensheim hat was Besseres verdient!“, sagte er in Richtung Amtsinhaber Richter.
Insgesamt verfolgten mehr als 10.000 Zuschauer den Polit-Talk entweder live oder in der Aufzeichnung mit brennenden Themen wie insbesondere Schulden, Innenstadtentwicklung, Wohnungsbau, Mobilität und Klimaschutz, die nach Meinung der Mitbewerber*in des aktuellen Bürgermeisters bisher im Bensheimer Rathaus vernachlässigt wurden.
Auch der derzeitige politische Stil im Rathaus sei stark verbesserungswürdig war die fast einhellige Meinung der drei am Talk beteiligten Herausforderer*in.
„Das politische Klima in der Stadt deutlich verbessern“
Auch Christine Klein sparte nicht mit Kritik an Rolf Richter. So will die parteilose Kandidatin „das politische Klima in der Stadt deutlich verbessern“ und Stehle „erst nachdenken und dann handeln“, während Richter vorwiegend auf die Erfüllung seiner Pflichtaufgaben, der Schaffung von Kita-Betreuungsplätzen, verwies.
In der knapp dreistündigen Diskussionsrunde kamen die Fragen meist von dem geladenen, unter Corona-Bedingungen auf knapp 50 Talkgäste beschränkten Publikum, oder den via Internet zugeschalteten BürgerInnen, musste Moderatorin Natalie Reisenbüchler selten eingreifen.
Mehrere kritische Zuschauerfragen flossen nicht in die Diskussion ein
Leider konnten zahllose weitere, insbesondere kritische Zuschauerfragen an den aktuellen Bürgermeister nicht in die Diskussion einfließen. Diese sollten den Fragenden durch die Kandidaten nachträglich beantwortet werden.
Gleich zum Auftakt der Diskussionsrunde verblüffte der Amtsinhaber ebenso ungefragt wie ungewöhnlich mit einer Frage an sich selbst, verhedderte sich jedoch mit der Antwort, die in Richtung seines Herausforderers Manfred Kern zielte.
„Erschrocken, in welchem Zustand sich die einst hoch attraktive Stadt präsentiert“
Unterstellen wollte Richter damit seinem Mitbewerber aus Schwetzingen, er hätte auch in jeder anderen Stadt nahe seines Wohnortes (z.B. Heppenheim) kandidiert, sofern es zeitlich gepasst hätte, und weil diese Stadt näher an seinem Wohnort Schwetzingen liegt als Bensheim.
Manfred Kern konterte den Angriff des Amtsinhabers mit der Feststellung er sei bei seinem ersten Stadtrundgang „erschrocken, in welchem Zustand sich die einst hoch attraktive Stadt Bensheim derzeit präsentiert“.
Er sehe in Bensheim eine berufliche Perspektive nach seiner Zeit im Baden-Württembergischen Landtag. Dort werde er nicht mehr kandidieren, sagte er auf eine entsprechende Frage.
Alleine die Schulden der Stadt - ohne Beteiligungsbetriebe - um rund 50 Prozent erhöht
Schuldig blieb Richter indes die Antwort auf die Erhöhung der städtischen Schulden während seiner aktuellen Amtszeit. Diese sind seit 2014 um rund 50 Prozent auf über 60 Millionen Euro gewachsen und keineswegs ausschließlich der Kita-betreuung geschuldet, wie Richter Glauben machen wollte.
Inklusive der Beteiligungsbetriebe belaufen sie sich im Haushalt 2020, also noch vor der Corona-Pandemie, gar auf rund 180 Millionen Euro, wie mehrere Besucher kritisch bemerkten.
DEHOGA sieht „Ausbluten der Betriebe in der Innenstadt“
Die Frage eines Diskussionsteilnehmers aus der Friedhofstraße, ob Bürgermeister Richter künftig in der Nachbarschaft einziehen würde, beantwortete der aktuelle Rathauschef mit Ja. „Der Sohn meiner Lebensgefährtin hat uns dort eine Wohnung gekauft“ in die Beide demnächst einziehen würden.
Ulli Kagermeier, Vorsitzender des DEHOGA-Kreisverbands Bergstraße, und Christine Friedrich, DEHOGA-Geschäftsführerin Südhessen, als Kooperationspartner des Veranstalters, sprachen Sorgen und Nöte der Gastronomiebetreiber an und sahen insbesondere in Bensheim ein „Ausbluten der Betriebe in der Innenstadt“.
Ihre Fragen nach Lösungen beantworteten die Kandidaten*in unterschiedlich mit dem Konsens, es gelte diesen wichtigen Wirtschaftsfaktor zu stärken und es müssten im Einklang mit den Nachbarn der Betriebe tragfähige Konzepte entwickelt werden, mit dem Ziel möglicherweise eine temporäre Veränderung der Sperrstunde herbeizuführen.
„Nur ein Tropfen auf dem heißen Stein“
Kagermeier sieht die Aussetzung von Sondernutzungsgebühren als „hilfreich, aber mittel- und langfristig nur als ein Tropfen auf dem heißen Stein“. Mit einer dauerhaften Beschränkung der Außenbewirtschaftung auf maximal 23 Uhr sei Bensheim im Wettbewerb mit anderen Städten stark benachteiligt und insgesamt chancenlos.
Verändertes Freizeitverhalten und verlängerte Öffnungszeiten an anderen Betriebsstätten wie Super- oder Baumärkten, stellten die Wirte ins Abseits. Eine Anpassung sei zur Planungssicherheit dringend geboten. „Wir brauchen klare Ansagen aus dem Rathaus“, rief Kagermeier den Bürgermeisterkandidaten das seither Vermisste zu.
„Viele eingefahrene Strukturen sind neu zu überdenken“
Er sehe sich derzeit in Bensheim „nicht gut repräsentiert“, sagte Stefan Stehle (FDP) in Richtung des Amtsinhabers. „Viele eingefahrene Strukturen sind neu zu überdenken“, und müssten insbesondere für die jüngeren Generationen attraktiver gestaltet werden.
Bensheim habe keineswegs ein Einnahmen-, aber sehr wohl ein Ausgabenproblem, wie das Beispiel Bürgerhaus drastisch vor Augen führe. Insgesamt sei Bensheim „finanziell nicht gut geführt“.
Besonders die Innenstadt sei wieder lebendiger und facettenreicher zu gestalten, ohne den Finanzrahmen aus dem Blick zu verlieren. Dabei seien bezüglich des Marktplatzes „seriöse Gespräche“ vonnöten.
Eine weitere Flächenversiegelung werde es mit ihm als Bürgermeister nicht geben, kündigte Stehle an. Vielmehr sieht er Investitionsbedarf „in weitere Sportstätten“, und will den Grüngürtel rund um die Stadt erhalten.
Dringend geboten ist für ihn auch die Verbesserung der Parksituation, um die Situation der Einzelhändler und Gastronomen in der Innenstadt zu verbessern.
„Es fehlt an Transparenz in Bensheim“
Es sei nicht schwer, in Bensheim vieles besser zu machen, „obwohl ich es mir schwer machen möchte“, sagte Manfred Kern (GRÜNE), der Landtagsabgeordnete aus Schwetzingen im benachbarten Bundesland Baden-Württemberg.
Mit dem „Blick von außen“, quasi der Vogelperspektive, sieht er sich im Vorteil, weil unvoreingenommen. Für ihn fehle es an Transparenz in Bensheim, was er vor allem an der familiären Verflechtung des Amtsinhabers mit dem Geschäftsführer der städtischen Tochter MEGB fest machte, ohne diese namentlich zu benennen.
MEGB-Aufgaben gegebenenfalls wieder im Rathaus ansiedeln
Diese wolle er als Bürgermeister „kritisch prüfen“ und deren Aufgaben gegebenenfalls wieder im Rathaus ansiedeln. Auch könne nach seinen Vorstellungen ein neues Amt mit Zuständigkeit für Gastronomie, Tourismus, Kultur und Wirtschaftsförderung die Attraktivität Bensheims deutlich stärken.
Leerstände sollen nach Kerns Vorstellung zwischenzeitlich mit Kunst und Kultur belebt werden. Dem Marktplatz will er, entgegen der seitherigen Gepflogenheit durch die Stadtspitze, ein ergebnisoffenes Verfahren angedeihen lassen.
Hier habe man bisher eine echte Bürgerbeteiligung verhindert und „den Prozess verengt“. Mit ihm als Bürgermeister werde er „verantwortungsvoll offene Wunden heilen, weil die Stadt sonst vor die Hunde geht“.
Radfahrer und Fußgänger sollen gleichberechtigt mit motorisierten Fahrzeugen das Stadtbild prägen, das er „von zu viel Blech befreien“ will.
„Ganzheitliches Mobilitätskonzept, um bisherigem Stückwerk ein Ende zu setzen“
„Wir dürfen nicht am Menschen sparen“, warb Christine Klein für geordnete Finanzen insgesamt und im Besonderen in Corona-Zeiten bei sinkenden Gewerbesteuereinnahmen. „Größere Bauprojekte kann man durchaus verschieben“, sieht Klein einen möglichen Lösungsansatz.
Ihre Kandidatur sieht sie im Bestreben „die Vielfalt der Stadt erhalten und ausbauen“ zu wollen. Besonders im Fokus der agilen Radfahrerin steht ein ganzheitliches Mobilitätskonzept, das dem „bisherigen Stückwerk“ ein Ende setzt und für weitere Tempo-30-Zonen sorgen soll.
„Es ist Zeit für Veränderungen“
„Es ist Zeit für Veränderungen“, sagte die Diplom-Verwaltungswirtin, die „gefühlt schon immer in Bensheim“ lebt. Der Marktplatz als Herzstück der Stadt könne „mit Kunst und Kultur“ an das städtische Museum angebunden und mit einem „Kulturcafé als Alleinstellungsmerkmal in der Region“ für die gewünschte Innenstadtbelebung sorgen.
Leerstände könnten durch Wohnraumschaffung kurzfristig belebt werden. Mit zeitnahen individuellen Zukunftskonzepten könne auch die Gastronomie gestärkt werden. „Stadtentwicklung muss Chefsache sein, und gehört in die Hände von Profis“, sagte Christine Klein. Klar sprach sie sich für einen Stopp des Flächenverbrauchs und gegen eine Südstadt aus.
Das Land auch weiterhin gefordert
Rolf Richter nimmt für sich in Anspruch, in den vergangenen knapp sechs Jahren viel erreicht zu haben. Dazu erwähnte er insbesondere die Pflichtaufgabe Kinderbetreuung. Auch Ausbau der Gewerbegebiete, Wohnungsbau und Klimaschutz habe er sich auf die Fahnen geschrieben.
Es gebe allerdings noch einiges zu tun, „und ich würde das gerne zu Ende bringen“, warb er um Zustimmung für eine zweite Amtszeit. Bensheim habe in der Innenstadt „derzeit ein Strukturproblem, wie andere Städte auch“, räumte er ein.
Die Grenzen des gewerblichen Wachstums sieht Richter mit der Belegung des Gewerbegebiets Stubenwald II erreicht und den Flächenverbrauch im Außenbereich erschöpft. Auch er sprach sich deutlich gegen eine Südstadt aus, die es mit ihm nicht geben werde.
Der amtierende Bürgermeister will „eine Sonderregelung“, um die finanziellen Belastungen auszugleichen, die den durch die Corona-Pandemie geschuldeten sinkenden Steuereinnahmen entgegen wirken. Hier sei auch weiterhin das Land gefordert.