KOMMENTAR: Ein Bürgerdialog als Feigenblatt für dümmliche Vertragsgestaltung
Nun ist es also offiziell. Es läuft auf „ein Pissoir mit Bierausschank“ am Marktplatz hinaus, wie es ein honoriger Bürger der Stadt unlängst formulierte.
Sowohl die Stadt Bensheim über ihre 100%-Tochter Marketing- und Entwicklungsgesellschaft Bensheim (MEGB) wie auch die Geschäftsleitung des Café Extrablatt halten an ihrem zu Beginn des vergangenen Jahres geschlossenen Zehn-Jahres-Mietvertrag fest.
Was bereits zur jüngsten Stadtverordnetenversammlung den Parlamentariern in nicht öffentlicher Botschaft verkündet wurde, bestätigten jetzt MEGB-Geschäftsführer Helmut Richter und Carsten Dreyer, Geschäftsführer der Café Extrablatt Immobilien GmbH, in einem gemeinsamen Statement.
Eindeutig auf Café Extrablatt mit Freisitz zugeschnitten
Es ist damit auch klar: das von der Stadtverordnetenversammlung am 13. Februar beschlossene Vorhaben ist ein Realisierungswettbewerb und zwar eindeutig auf Café Extrablatt mit Freisitz zugeschnitten - also keineswegs ein „ergebnisoffener städtebaulicher Wettbewerb“, wie von der Verwaltung und insbesondere von Bürgermeister Rolf Richter stets behauptet.
Was Insider schon seit Monaten wussten, ohne eine eindeutige Bestätigung dafür zu haben, liegt jetzt klar auf der Hand: Das Café Extrablatt pocht auf Vertragserfüllung durch die MEGB und diese, wie auch die Stadt selbst, stehen unter dem Druck des Vertragswerks.
Dabei können sich die Verantwortlichen des westfälischen Systemgastronomiebetriebs genüsslich zurücklehnen, haben sie doch einen Vertrag in der Tasche, der sie in der absoluten Pool-Position sieht.
BI-Gründung unerlässlich
Die jetzt erfolgte „Offenbarung“ belegt auch die absolute Notwendigkeit der BI-Gründung „Bensheimer Marktplatz besser beleben“. Diese war und ist vor dem Hintergrund der politischen und privaten Unzulänglichkeiten unerlässlich.
Bleibt die Empfehlung: Jurist und Bürgermeister Rolf Richter sollte das Heer seiner Anwälte und Rechtsberater besser die Vertragswerke der von seinem Bruder Helmut geführten MEGB prüfen lassen, als sie gegen die Bürger Bensheims und deren demokratischen Initiativen einzusetzen.
Rückblende: Bürgermeister Rolf Richter gab am 31. Januar 2019 bei einer Pressekonferenz im Rathaus bekannt, das Café Extrablatt habe als Hauptmieter einen Zehnjahres-Mietvertrag für das geplante >Haus am Markt 2.0< unterzeichnet.
Am gleichen Tag sollte nach Richters Darstellung der Abrissantrag für das seitherige >Haus am Markt< beim Kreisbauamt eingereicht werden.
Zehnjahres-Mietvertrag ohne Rücktrittsklausel
Daraus folgt: es gab zum Zeitpunkt des Mietvertragsabschlusses zwischen der MEGB mbH und der Café-Extrablatt Immobilien GmbH weder eine Abrissgenehmigung für das bestehende Haus am Markt, geschweige denn eine Baugenehmigung für das geplante, aber bereits vermietete neue Gebäude.
Solche Verträge sind durchaus üblich. Allerdings mit entsprechenden Vorkehrungen. So wird jeder ordentliche Kaufmann darin eine Ausstiegsklausel einbauen für den Fall des möglichen Nichtzustandekommens des geplanten Gebäudes – gleich aus welcher Unwägbarkeit.
Eine Ausstiegsklausel aus dem bestehenden Zehnjahres-Mietvertrag gibt es jedoch für die Bensheimer Protagonisten ebensowenig, wie andererseits eine übliche Besicherung des städtischen Invests in Millionenhöe durch Café-Extrablatt. Das hat die Stadtverwaltung inzwischen nach parlamentarischer Anfrage bestätigt.
Kaufmännische Grundsätze dieser Art sind offenbar dem MEGB-Geschäftsführer Helmut Richter ebenso fremd, wie seinem Bruder Rolf, der als Volljurist und Bürgermeister (zwar widerrechtlich, wegen des in der Hessischen Gemeindeordnung klar geregelten Widerstreits der Interessen) im Aufsichtsrat der MEGB sitzt, und dort einen solchen Mietvertrag ohne Ausstiegsmöglichkeit niemals hätte passieren lassen dürfen.
Ein solches, aus städtischer Sicht dilettantisches Vertragswerk, sieht die Café Extrablatt Immobilien GmbH fraglos in komfortabler Verhandlungsposition gegenüber der MEGB.
Bürgernetzwerk sollte es richten
Es folgte Ende August vergangenen Jahres bekanntermaßen die Reißleinen-Aktion von Rolf Richter, der zunächst ohne jegliche Gremienbeteiligung plötzlich angeblich auf des Volkes Stimme hörte, und das geplante dreigeschossige Gebäude am östlichen Marktplatz kippte, nachdem der Bürgerprotest immer lauter geworden war.
Insider munkelten jedoch schon damals, die wahren Gründe für den „Fallrückzieher“ des Bürgermeisters seien andere. So stand einmal eine Baugenehmigung für das geplante Haus auf tönernen Füßen, weil nachbarschaftliche Zustimmung für geringere bauliche Abstandsgrenzen erforderlich gewesen wären, diese aber nicht erteilt worden war.
Andererseits wäre angeblich auch aufgrund angespannter Haushaltssituation und wegbrechender Steuereinnahmen in Bensheim das mit 6,8 Millionen Euro veranschlagte Bauprojekt wohl nicht zu finanzieren gewesen.
Jetzt sollte es nach den Vorstellungen des Bürgermeisters das Bürgernetzwerk richten und in einem 150 Tage währenden Bürgerdialog völlig ergebnisoffen Eckpunkte für ein Gestaltungs- wie Nutzungskonzept für den >Marktplatz der Zukunft< erarbeiten.
Netzwerk und 300 engagierte Bürger brachten sich ein
Ein durchaus sinnvoll erscheinender demokratischer Prozess, der unterschiedliche Vorstellungen interessierter Bürger*innen bündeln und kompetenten Stadtplanern als Vorlagen liefern sollte. Für dieses Vorhaben wurden dem Bürgernetzwerk via seines Trägervereins Transforum e.V. gar 20.000 Euro städtischer Mittel für Organisations- und Moderationsleistung zur Verfügung gestellt.
Und was von insgesamt rund 300 Bürger*innen in mehreren Arbeitskreissitzungen und wechselnder Beteiligung unter der Moderation von Karl-Heinz Schlitt erarbeitet wurde, kann sich durchaus sehen lassen. Dies auch vor dem Hintergrund, dass abschließend ausweislich des Schlussberichts vom 02. Dezember 2019 keineswegs einvernehmliche Handlungsoptionen zu Buche standen.
Eckpunkte auf Erfordernisse des mit Cafe Extrablatt zugeschnitten
Doch dann zeigten die politisch Handelnden im Bensheimer Rathaus eine hässliche antidemokratische Fratze und deuteten die vom Netzwerk und der darin aktiven Architektengruppe aufgezeigten Handlungsoptionen auf ihre, sprich Extrablatt-Bedürfnisse um.
Als Eckpunkte wurden nicht etwa die für einen Wettbewerb vorgeschlagenen Möglichkeiten zwischen keiner Bebauung, über ein eingeschossiges bis hin zu einem zweigeschossigen Gebäude mit regionaler Gastronomienutzung fixiert.
Vielmehr wurden Eckpunkte für eigene Zwecke, sprich den Erfordernissen des mit Cafe Extrablatt bestehenden Mietvertrags, festgelegt, um dieses dubiose Vertragswerk noch schadlos für die beiden Richter-Brüder realisieren zu können.
Bürgerdialog mutierte zur Farce
Spätestens jetzt war klar: der ebenso aufwändige wie kostspielige Bürgerdialog mutierte zur reinen Farce, um einerseits die fehlende Ausstiegsklausel im Mietvertragswerk schadlos heilen zu können und andererseits den Bürger*innen das Gefühl zu vermitteln, sie hätten ein Mitbestimmungsrecht.
Das Bürgernetzwerk wurde folglich als Marionette missbraucht, um eine dümmliche Vertragsgestaltung der 100-prozentigen Stadttochter MEGB samt ihres städtischen Aufsichtsrats mit dem Systemgastronomen Café Extrablatt zu kaschieren.
Kaufmännische wie juristische Unzulänglichkeiten
Während die Systemgastronomen Café Extrablatt auf ihrer Homepage aktuell noch immer mit einem Eröffnungstermin 2021 am Marktplatz 1 in Bensheim werben, fürchten Helmut und Rolf Richter samt der sie stützenden Lokalpolitiker um drohende Schadenersatzzahlungen, falls der bestehende Mietvertrag nicht realisiert würde.
Ein solcher Schaden für die Stadt – gleich in welcher Höhe – käme insbesondere im Vorfeld einer Bürgermeisterwahl im November, wie auch naher Kommunalwahlen im Frühjahr kommenden Jahres, natürlich völlig ungelegen.
Bleibt zu konstatieren: der Bürgerdialog, bei dem sich die Organisatoren ebenso wie zahlreiche Bürger ernsthaft um eine vernünftige Lösung für ihren >Marktplatz der Zukunft< engagierten, war nichts weiter als ein Feigenblatt für kaufmännische wie juristische Fehlleistungen der beiden Richter-Brüder Helmut und Rolf.