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Ungereimtheiten: Verstößt die Stadt Bensheim gegen eigene Richtlinien?

Die aktuelle Bauplanung zum >Haus am Markt< mit verringerten Abstandsflächen zu den Nachbargebäuden (gelbe Markierungen) am Bensheimer Marktplatz.

Beschluss zu Abriss und Neubau des >Haus am Markt< wirft weitere Fragen auf + + + Noch kein Bauantrag eingereicht + + + Rechtmäßigkeit des städtischen Vorgehens höchst fragwürdig

BENSHEIM. - „Bensheim hat die Chance, das historische Stadt- und Straßenbild eines zusammenhängenden Stadtgefüges als Lebensraum für die Zukunft zu bewahren. Dieses Vorhaben kann allerdings nur gelingen, wenn Gebäude in den historischen Straßen nur dann abgebrochen und wieder aufgebaut werden, wenn dies unumgänglich ist.

Die einprägsamen Einzelheiten, die Altersmerkmale und die Kennzeichen der historischen Vergangenheit gehören unlösbar zum Bestand der alten Bauten und würden mit ihnen unwiederbringlich verloren gehen.

Die Instandsetzung und Verbesserung des Altbaubestandes muss deshalb bei der Erneuerung der Altstadt die Regel sein, und nicht der Abbruch.“

So steht es in der Präambel der Bausatzung der Stadt Bensheim über die Gestaltung baulicher Anlagen in der Bensheimer Innenstadt geschrieben.

Baudezernent beruft sich auf § 15 der städtischen Bausatzung

Diese städtische Bausatzung erfährt absolute Relevanz im Zusammenhang mit dem geplanten Abriss und Neubau des >Hauses am Markt<, wie zuletzt am 14. Februar durch die Stadtverordneten nach heftigen Diskussionen mit einfacher Mehrheit beschlossen.

Insbesondere beruft sich der Bensheimer Baudezernent Helmut Sachwitz bezüglich der Abstandsflächen zu Nachbargebäuden auf Paragraf 15 eben dieser städtischen Bausatzung.

Auf FACT-Anfrage ob die gesetzlich vorgeschriebenen Abstandsflächen bei der Planung des Neubaus >Haus am Markt< eingehalten worden seien, teilt Pressesprecher Matthias Schaider mit: „Das Vorhaben liegt im Geltungsbereich der Bausatzung der Stadt Bensheim über die Gestaltung baulicher Anlagen in der Bensheimer Innenstadt, die gemäß Paragraf 15 >Traufgassenbreite und Gebäudeabstände< eine Verringerung der Abstandsflächen gemäß Paragrafen 6 und 7 der HBO ermöglicht.

Im Interesse guter nachbarschaftlicher Beziehungen steht man selbstverständlich im Gespräch mit den Nachbarn, auch wenn dies nicht zwingend Voraussetzung für eine Genehmigung ist.“

Widerspruch zu aktuellen Gegebenheiten

Diese Aussage steht jedoch im Widerspruch zu den aktuellen Gegebenheiten. FACT-Recherchen zufolge hat die Stadt Bensheim bis dato zwar einen Abrissantrag für das >Haus am Markt< beim Kreisbauamt in Heppenheim gestellt, keineswegs jedoch einen Bauantrag für den geplanten Neubau eingereicht.

So beantwortet Kreispressesprecher Dr. Johannes Bunsch eine aktuelle FACT-Anfrage: „Еin Abbruchantrag liegt der Bauaufsichtsbehörde vor, dieser ist bislang noch nicht beschieden. Der Bauaufsichtsbehörde liegt noch kein Bauantrag zum Neubau vor.“

Über den Abrissantrag könne bei einem Gebäude innerhalb eines denkmalgeschützten Ensembles allerdings auch erst dann entschieden werden, wenn entsprechende genehmigungsfähige Neubaupläne vorliegen, erklärt ein namhafter Baurechts-Experte dazu.

Kommunale Eigensatzung kann HBO weder ersetzen noch aushebeln

Auch ersetze der vom Ersten Stadtrat angeführte Paragraf 15 der städtischen Bausatzung keineswegs die Hessische Bauordnung (HBO). Alleine innerhalb derer gebe es aufgrund kommunaler Eigensatzung gestalterischen Ermessensspielraum. Eine kommunale Eigensatzung könne in keinem Fall die HBO ersetzen oder gar aushebeln.

Vor diesem Hintergrund erschließt sich auch die Antwort aus dem Bensheimer Rathaus nicht. Darin heißt es zur Frage, ob die rechtlichen Voraussetzungen für die Fällung zweier Bäume vor und hinter dem >Haus am Markt< gegeben seien: „Der Abrissantrag ist gestellt. Da der Abrissgenehmigung nichts grundsätzliches entgegensteht, handelte es sich hierbei um vorbereitende Maßnahmen.“

„Hier werden ohne Rechtsgrundlage Fakten geschaffen“

Verwaltungsjuristen sehen dieses städtische Vorgehen als klaren Rechtsverstoß: „Hier werden ohne jegliche Rechtsgrundlage Fakten geschaffen. Der Bauantrag ist noch nicht gestellt, geschweige denn genehmigt, und die Stadt trifft >vorbereitende Maßnahmen<. Wofür?“ Und ein Bauexperte ergänzt: „Auf welcher Grundlage für einen Ersatzbau soll dann der Abbruch genehmigt werden?“

Darüber hinaus ist die Stadtverwaltung Bensheim und die Geschäftsführung der städtischen Tochter Marketing- und Entwicklungsgesellschaft Bensheim (MEGB) aktuell bemüht, betroffene Nachbarn eben zu den angeblich nicht zwingend notwendigen Unterschriften für einen verringerten Grenzabstand zu bewegen.

„Fehlende Unterschriften der Nachbarn erklären bisher nicht eingereichten Bauantrag“

„Fehlende Unterschriften zum Einverständnis der Nachbarn erklären auch den bisher nicht eingereichten Bauantrag bei der Bauaufsichtsbehörde“, sagt ein Betroffener, der dem städtischen Zustimmungs-Ersuchen zum verringerten Grenzabstand zu seinem Gebäude eine klare Absage erteilt.

Allerdings hebeln auch Nachbarunterschriften Verstöße gegen die HBO nicht aus, was dem Baudezernenten Sachwitz und insbesondere der Bauaufsicht bewusst sein muss.

Nach der vorliegenden Planung „freut“ sich eine weitere Familie vor ihrem Anwesen nicht nur über „eine 3-geschossige Flachdachkiste“ Vor allem das Visavis der gesamten Gebäudelänge als einladendes Pendant mit verringertem Grenzabstand, einer „großzügigen öffentlichen Toilettenanlage“, die nach Süden mehrere ebenfalls >großzügige< Lüftungsöffnungen ohne Fenster enthält „entzückt“ die Nachbarn.

„Toiletten-Nachbarschaft wird zu Festen Höhepunkte einladender Appetitlichkeit erreichen“

„Diese >Toiletten-Nachbarschaft< der Betroffenen wird jeweils zu Bürger- und Winzerfest sicher die Jahreshöhepunkte ihrer einladenden Appetitlichkeit erreichen“, sehen Bürger das städtische Bauvorhaben recht kritisch.

Vor mehr als drei Wochen von Nachbarn dazu angeforderte Baupläne mit prüffähigen Abstandsflächen wurden diesen von der Stadtverwaltung bisher nicht vorgelegt.

Schlussendlich hat auch das Landesamt für Denkmalpflege Hessen ein gewichtiges Wort im Genehmigungsverfahren mitzusprechen.

„Grundsätzlich ist der Neubau eines Gebäudes in einer Gesamtanlage auch in veränderter Form und gegebenenfalls mit größerer Kubatur möglich, soweit der Neubau sich in die Gesamtanlage einfügt und diese nicht beeinträchtigt“, teilt die Pressesprecherin der Behörde Dr. Katrin Bek auf Anfrage mit.

Wirtschaftliche Interessen einer Kommunaltochter begründen kein öffentliches Interesse

„Eine Maßnahme in einer Gesamtanlage ist zu genehmigen, wenn sie diese in Substanz oder Wirkung nur unerheblich oder nur vorübergehend beeinträchtigt. Wenn das öffentliche Interesse an der beabsichtigten Maßnahme entgegenstehenden Gründen des Denkmalschutzes überwiegt, ist die Maßnahme zu genehmigen.“

Eben dieses öffentliche Interesse aber bezweifeln die Verwaltungs-Fachjuristen: „Wirtschaftliche Interessen einer Kommune oder deren Töchter begründen keinerlei öffentliches Interesse.“

Baufachleute werfen den Blick auf einen weiteren Aspekt: „Das Hessische Denkmalschutzgesetz beinhaltet ab 2016 als Neuerung, dass bei Gesamtanlagen, und der Bereich zwischen Marktplatz und Kirche ist mit den Treppenanlagen, Wegen und Bastionen aus Naturstein eine solche, diese als Gesamtheit ebenfalls zu betrachten ist.

Bei dem neuen Entwurf gibt es erhebliche Änderungen am Vorplatz der Kirche. Ein Planungskonzept für die Freiraumgestaltung liegt noch nicht vor. Da reicht es nicht nur einen Baum zu fällen“, sagt ein Fachkundiger.