Bensheim: âDas Rad lĂ€sst sich nicht mit noch mehr Beton zurĂŒckdrehenâ
Festspielleiter Klaus P. Becker macht Schluss mit antiquierten Gestaltungs-Ansichten und hat der Stadtspitze bereits im FrĂŒhjahr 2020 umfangreiche Ăberlegungen zur Neugestaltung des Bensheimer Marktplatzes vorgelegt: Kultur, Gastronomie, GrĂŒn, AufenthaltsqualitĂ€t, kommunikativer Treff, MultifunktionsflĂ€che lauten die Stichworte + + + Sein Fazit: âDen Bensheimer Marktplatz auch heute unbedingt ohne neues GebĂ€ude kulturell nutzenâBENSHEIM. - âTausend Jahre wie ein Tagâ von Leonie Meurin inszenierte August-Heinrich Becker 1954 vor der imposanten Kulisse der Bensheimer Stadtkirche St. Georg.
August-Heinrich Becker (1919 bis 2001) war seit den 1960er Jahren auch Leiter des Kulturamtes der Stadt und fĂŒr das Parktheater zustĂ€ndig.
Er war auch vielfach ehrenamtlich in Sachen Kunst und Kultur engagiert, so auch als Leiter einer sehr renommierten Laienspielschar der katholischen Jugend, mit der er neben Inszenierungen im Kolpinghaus auch groĂe FreilichtauffĂŒhrungen auf der Freitreppe vor der Kirche St. Georg inszeniert hatte.
Auf dem VermĂ€chtnis von âKultur-Augustâ, wie er in Bensheim liebevoll genannt wurde, und vor dem Hintergrund der aktuellen kommunalpolitischen Diskussion um Gestaltung, Belebung und Nutzung des Bensheimer Marktplatzes, die jetzt mit dem bevorstehenden stĂ€dtebaulichen Ideenwettbewerb wieder Fahrt aufnimmt, ist fĂŒr August-Heinrich Beckers Sohn, Festspielleiter Klaus P. Becker, zwingend geboten, auch Ăberlegungen fĂŒr mögliche kulturelle Nutzungen einzubeziehen.
âEinzigartige Aura die geradezu nach Kultur schreitâ
FĂŒr Becker junior âatmetâ der Marktplatz endlich wieder mit dem unverbauten Blick auf St. Georg und hat vor dieser imposanten Kulisse eine einzigartige Aura âdie geradezu nach Kultur schreit.â
Ein atmosphĂ€risches Alleinstellungsmerkmal, das imagebildend und gewinnbringend auch mit AuĂenwirkung fĂŒr Bensheim eingebracht werden könne, wenn das hier schlummernde Potential professionell ausgeschöpft werde: inhaltlich und kommunikativ.
Gastronomischer Frequenzbringer kein alleiniger Heilsbringer
Voraussetzung fĂŒr eine nachhaltige Entscheidungsfindung in Sachen Marktplatz sei zunĂ€chst die Unvoreingenommenheit gegenĂŒber der von einigen Kreisen in der Vergangenheit geradezu ideologisch verbrĂ€mt vorgetragenen Festlegung, wonach nur ein gastronomischer Frequenzbringer als alleiniger Heilsbringer in einem neuen âHaus am Marktâ offenbar alle Probleme der Innenstadt lösen solle.
Bei realistischer EinschĂ€tzung sei schwer vorstellbar, dass ein wie auch immer geartetes und genutztes neues Haus am Markt in Bensheim auch nur einen einzigen Leerstand beheben wĂŒrde.
Erfahrungswerte lĂ€gen doch schon vor: âGastronomie gab es an dieser Stelle schon lange Jahre und auch andere Frequenzbringer, wie die Stadtbibliothek, Tourist-Info oder VHS mit SeminarrĂ€umen.â
âInnenstĂ€dte brauchen AnlĂ€sse zur Begegnung und emotional aufgeladene ErlebnisqualitĂ€tâ
Von Innenstadtsterben seien viele Kommunen betroffen, das sei kein spezielles Problem nur in Bensheim. âDer Handel als einst dominierende Funktion verliert schon lĂ€nger an Bedeutung. Das Rad lĂ€sst sich nicht einfallslos mit noch mehr Beton zurĂŒckdrehen.â
Die Zukunft der InnenstĂ€dte dĂŒrfe sich nicht an vergangenen Konzepten ausrichten. âInnenstĂ€dte brauchen heute AnlĂ€sse zur Begegnung und emotional aufgeladene ErlebnisqualitĂ€t ĂŒber das Einkaufen hinaus.â
Weitere potentielle Bensheimer SpielstÀtte mit atmosphÀrischen Alleinstellungsmerkmalen
Der erfahrene Festspielleiter sieht neben Schloss Auerbach und FĂŒrstenlager am Marktplatz eine weitere potentielle Bensheimer SpielstĂ€tte mit atmosphĂ€rischen Alleinstellungsmerkmalen, die das kulturelle Profil der Stadt hervorragend ergĂ€nzen und ĂŒber die Kultur hinaus das Image von Bensheim und die gewĂŒnschte Belebung als Einkaufs- und Ausgehstadt nachhaltig befördern könne.
âWarum nicht ab dem kommenden FrĂŒhjahr das eine oder andere Event, wie beispielsweise das bestehende BergstrĂ€Ăer Jazzfestival, auf den Marktplatz verlagern?â, fragt sich Becker.
Seine Ăberlegungen zur Neugestaltung des Marktplatzes sind jedoch viel umfangreicher. Klaus P. Becker hat diese bereits im FrĂŒhjahr 2021 der Bensheimer Stadtspitze vorgelegt, und Mitte Mai dieses Jahres noch mit einem Update versehen.
Damit wieder Leben in InnenstĂ€dte einkehrt: Kultur erleben und Gemeinschaft spĂŒren
Bezug nimmt Becker dabei u.a. auch auf JĂŒrgen Block, GeschĂ€ftsfĂŒhrer Bundesvereinigung City- und Stadtmarketing (BCSD). Dieser hatte sich anlĂ€sslich einer Tagung am 20. April 2021deutlich geĂ€uĂert:
âEs geht nicht darum, die Innenstadt aus dem Jahr 2010 wieder herzustellen, es geht auch nicht darum, die City von 2020 zu retten, es geht vielmehr darum, die Stadt von 2025/30 zu gestalten."
Der Tenor dieses Zitats sei unter Fachleuten inzwischen Allgemeingut und es lieĂen sich viele weitere gleichlautende Aussagen von Experten und Vertretern der IHK zitieren, konstatiert Becker.
âEin belebter Marktplatz allein ist kein Mehrwert an sichâ
Wenn einige Akteure auf der kommunalen BĂŒhne immer nur von einer dringend gebotenen âBelebungâ des Marktplatzes reden, enge das den Blick und die Herangehensweise sehr ein, denn gemeint sei doch eher immer vor allem das Ziel, dem Innenstadtsterben entgegenzuwirken und den
Einzelhandel zu stÀrken.
Eine nachhaltige âBelebungâ sei allerdings keine Frage der QuantitĂ€t, etwa derart, dass da unablĂ€ssig den ganzen Tag ĂŒber bis in den Abend einige hundert Personen ĂŒber den Marktplatz hinauf in einen neuen Gastronomiebetrieb strömen.
Ein derart allein quantitativ âbelebterâ Marktplatz ist kein Mehrwert an sich. Eine nachhaltige, substanzielle âBelebungâ mĂŒsse vielmehr eine Frage der QualitĂ€t sein.
âGestaltung oberer Marktplatz und Innenstadtbelebung / StĂ€rkung Einzelhandel trennenâ
Vielleicht könne es helfen, zunĂ€chst einmal beide Problemlösungen - Gestaltung oberer Marktplatz und Innenstadtbelebung / StĂ€rkung Einzelhandel - strikt zu trennen, bevor man die Ergebnisse sich wechselseitig befruchtend wieder zusammenfĂŒhre.
âWenn man die hinderliche Zwangsvorstellung von der quantitativen âBelebungâ auĂen vorlĂ€sst und sich unvoreingenommen nur der ursĂ€chlichen Aufgabe zuwendet, dann geht es zunĂ€chst um eine stĂ€dtebaulich, architektonisch und atmosphĂ€risch ansprechende Lösung fĂŒr die Gestaltung des oberen Marktplatzesâ, sagt Klaus P. Becker.
Alte Argumente ĂŒberzeugen nicht
Das in der Ăffentlichkeit bereits diskutierte Argument, dass der Marktplatz einen baulichen Abschluss haben mĂŒsse, ĂŒberzeuge nicht. âAbschluss ist die imposante Fassade von St. Georg. Ohne diesen >Schorschblick< wĂŒrde der Marktplatz an AtmosphĂ€re und Flair verlieren.â
Die jetzigen âbaulichen Proportionen stimmen.â Es bestehe keine Not fĂŒr ein neues GebĂ€ude. Auch in anderen Orten gebe es historisch gewachsene MarktplĂ€tze, bei denen die Kirche den Abschluss bildet.
âAktuell eine völlig andere Ausgangslageâ
âAuch das weitere Argument, dass da historisch schon immer ein GebĂ€ude gestanden hat (das alte Rathaus), ĂŒberzeugt nicht. Aktuell gibt es eine völlig andere Ausgangslage: Die alte Kirche der Vorkriegszeit mit dem einen schlanken Spitzturm hatte einen völlig anderen, unauffĂ€lligeren baulichen Charakter, von dem heute keiner als >Schorschblick< reden wĂŒrde.â
Erst die Nachkriegskirche mit den beiden TĂŒrmen und der monumentalen Fassade habe dem Marktplatz diese besondere Aura verliehen, die heute ein GebĂ€ude davor entbehrlich mache.
Das rein quantitative Argument, dass da ein âbrummenderâ Gastronomiebetrieb als ausgesprochener Frequenzbringer stehen mĂŒsse, der auch abends Leben in die Stadt bringt, lasse auĂer acht, dass abends die GeschĂ€ftswelt in der Innenstadt nichts davon habe.
Zudem könnten sich andere Problemfelder auftun, die man im Moment noch gar nicht habe, wie LĂ€rmbelĂ€stigung fĂŒr Anwohner, auch an anderen Stellen der Stadt.
âKleinteilige Gastronomieszene bringt mehr Dynamikâ
GegenĂŒber einem gastronomischen GroĂprojekt, das in der Innenstadt auch einen schĂ€dlichen VerdrĂ€ngungswettbewerb auslösen könnte, bringe âeine eher kleinteilig ĂŒber die Innenstadt verteilte Gastronomieszene, die es in Bensheim bereits gibt, und die behutsam â auch mit ausgesprochenen SpezialitĂ€ten- und Nischenanbietern â weiterentwickelt werden kann, eine viel gröĂere Dynamik in die Stadt, als die Konzentration an einer Stelleâ.
Bensheim habe jetzt schon eine vielfĂ€ltige Innenstadt-Gastronomie auch mit AuĂenbewirtschaftung im Sommer - vom Walderdorffer Hof bis zur unteren FuĂgĂ€ngerzone, vom Griechen bis zum Italiener und Inder.
âDazu gibt es innenstadtnah im Innenhof zwischen BĂŒrgerhaus und Dalberger Hof in neuer Ausgestaltung wieder BiergartenatmosphĂ€re. Zudem ergĂ€nzen die vielen Eiscafes und BĂ€cker mit Freiluft-Sitzangeboten oder das Sommerfeeling im Klostergarten des Franziskushaus in der Klostergasse das vorhandene Gesamtangebotâ, sieht Becker ein solch gastronomisches GroĂprojekt in der Bensheimer Innenstadt entbehrlich.
ResĂŒmee: Der Bensheimer Marktplatz der Zukunft habe das Potenzial, AktivitĂ€t und Entschleunigung mit Kunst und Kultur auf eine einmalige Art zu verbinden.
Er könne zu einem freundlichen Ort, sogar zu einem Magnet werden, der einfach Lust auf Begegnung, auf GesprĂ€ch und Gemeinschaft macht und belebe schon mit diesem Alleinstellungsmerkmal die Innenstadt. DafĂŒr seien die Karten neu zu mischen.
FACT veröffentlicht das vollstÀndige Exposé von Klaus P. Becker zum >Bensheimer Marktplatz der Zukunft< in drei Teilen.
Teil 1 ist zu lesen unter: www.de-fakt.de/bundesland/hessen/kreis-bergstrasse/details/?tx_ttnews
Teil 2 ist zu finden unter: www.de-fakt.de/bundesland/hessen/kreis-bergstrasse/details/?tx_ttnews
3. und letzter Teil unter: www.de-fakt.de/bundesland/hessen/kreis-bergstrasse/details/?tx_ttnews