Große Trauer in Bensheim: „Eine in vielen Bereichen wichtige Stimme schweigt“
Georg Stolle, Ehrenbürgermeister und Architekt des modernen Bensheims, ist im Alter von 81 Jahren überraschend verstorbenBENSHEIM. - Eine sehr traurige Nachricht erschüttert aktuell Bensheim. Ehrenbürgermeister und Träger des Bundesverdienstkreuzes am Bande Georg Stolle hat die größte Stadt im Landkreis Bergstraße für immer verlassen.
Er verstarb völlig unerwartet am späten Sonntagabend, 19. Januar, im Bensheimer Heilig-Geist-Hospital, das er erst am frühen Abend auf ärztliches Anraten aufgesucht hatte.
Noch am Vortag hatte der 81-Jährige eine Verpflichtung wahrgenommen und nahm an einer Sitzung des deutsch-europäischen Bildungswerks Hessen e.V., dessen Vorsitzender er war, teil.
Selbst für den folgenden Montag war er noch für ein gesellschaftliches Ereignis verabredet. Umso überrascchender kam am frühen Montagvormittag die schockierende Nachricht über seinen plötzlichen Tod.
Seine Stimme hatte noch immer besonderes Gewicht
Auch wenn der seit vielen Jahren an Parkinson erkrankte Stolle starke körperliche Einschränkungen zu verkraften hatte, war sein Geist hellwach.
Bis zuletzt hatte sich Georg Stolle aktiv an aktuellen weltpolitisch relevanten und insbesondere an Themen, die seine Heimatstadt Bensheim betrafen, beteiligt, und im Bedarfsfalle auch eingemischt. Seine Stimme hatte in vielen Bereichen noch immer besonderes Gewicht.
Großer Architekt und Gestalter Bensheims in der Nachkriegszeit
Georg Stolle gilt als der große Architekt und Gestalter Bensheims in der Nachkriegszeit. 30 Jahre lang, von 1972 bis 2002, war er hier Bürgermeister. Sein Name wird untrennbar mit der größten Stadt des Landkreises Bergstraße verbunden bleiben.
Der 1938 in Neustadt (Oberschlesien) geborene Georg Stolle musste schon als Kind den Tod seines Vaters, des Landwirtschaftslehrers Dr. Franz Stolle, betrauern, der in den letzten Kriegswirren 1945 ums Leben gekommen war. Mit 11 Jahren kam er nach der Vertreibung aus seiner Heimat mit Mutter Maria und seinem zwei Jahre älteren Bruder über das Ruhrgebiet nach Bensheim.
In bescheidenen Verhältnissen lebte die Familie ein Jahrzehnt lang im ehemaligen Bischöflichen Konvikt. Sein Abitur legte er 1958 am traditionsreichen Alten Kurfürstlichen Gymnasium (AKG) ab, ehe er zunächst in Aachen ein Ingenieursstudium in Eisenhüttenkunde begann.
Vom Ingenieurs- zum Jurastudium gewechselt
Angesichts der sich abzeichnenden Kohle- und Stahlkrise wechselte Georg Stolle das Studienfach und studierte Jura. Sein Referendariat absolvierte er in Fulda.
Dort heiratete er im Juni 1966 die Bensheimer Lehrerin Waltraud Emig zunächst standesamtlich. Die kirchliche Hochzeit wurde ein halbes Jahr später nachgeholt. Der Ehe entstammen zwei Kinder.
Nach dem 2. Staatsexamen übernahm er die Kommunalberatung beim Hessischen Städte- und Gemeindebund. Parallel dazu arbeitete Stolle ab Ende der 60-er Jahre in der Bensheimer CDU-Stadtverordnetenversammlung mit, ehe er zu Beginn der 70-er Jahre Fraktionschef wurde.
Nach dem plötzlichen Tod des langjährigen Bensheimer Bürgermeisters Wilhelm Kilian (SPD, 1954 bis 1971) überzeugte der Christdemokrat Philipp Zimmermann Stolle für seine Partei als Bürgermeisterkandidat anzutreten.
Erst im dritten Anlauf zum Bürgermeister gekürt
Zwei Wahlgänge der Bensheimer Stadtverordnetenversammlung führten jedoch infolge der damaligen Mehrheitsverhältnisse im Stadtparlament jeweils zu einem Patt. Stolles damaliger Gegenkandidat war der spätere Hessische Innenminister Karl Schneider (SPD).
Weil beide Fraktionen jedoch keinen, wie in der Hessischen Gemeindeordnung vorgesehenen, „unwürdigen“ Losentscheid wollten, wurde die Bürgermeister-Entscheidung bis zur folgenden Kommunalwahl 1972 vertagt.
Bei dieser Wahl wurde die CDU stärkste Fraktion im Bensheimer Stadtparlament und der Wahl von Georg Stolle zum Bürgermeister stand nichts mehr im Wege.
„Treibender Kopf einer atemberaubenden Entwicklung Bensheims“
In den folgenden Jahren gestaltete Georg Stolle die Geschicke der bei seinem Amtsantritt keineswegs auf soliden wirtschaftlichen Füßen stehenden Stadt. Mit feinem politischem Gespür und zeitgemäßen Visionen entwickelte der Rathauschef über drei Jahrzehnte Bensheim zu einer blühenden Kommune an der Bergstraße.
„Er war der treibende Kopf einer in den ersten zehn Jahren seiner Amtszeit atemberaubenden Entwicklung Bensheims“, sagt ein damaliger Weggefährte Stolles.
Schon in seinem ersten Amtsjahr verhinderte Stolle die damals geplante Trabantenstadt mit rund 3.000 Bewohnern in Richtung Schwanheim und veranlasste den Rückkauf des an den betreffenden Investor bereits verkauften städtischen Geländes im Bereich des heutigen Segelflugplatzes.
Viele positive Entscheidungen zum Wohle Bensheims
Die damit für die Segelflieger gesicherten Planungsrechte für deren Geländebedarf waren mithin ebenso Stolles Werk wie Wirtschafts- und Sportförderung, die ihm besonders wichtig waren. Auch der Ankauf des Stubenwaldgeländes zählt zu den zahlreichen positiven Entscheidungen, die von ihm angestoßen wurden.
Auf dem dortigen Gelände wollte die Darmstädter Firma Merck ursprünglich Tiere für Medikamenten-Versuche halten. Nach umfangreichen und zähen Verhandlungen ist es Stolle gelungen, mit Merck Einigung zu erzielen und das Gelände für die Stadt Bensheim zu erwerben.
Fördermittel bis zu 80 Prozent der Kosten generiert
Überall dort, wo es Fördermittel zu generieren galt, war Georg Stolle an vorderster Front zu finden. So flossen Gelder teilweise in Höhe von 70 bis 80 Prozent der jeweiligen Projektkosten u.a. für das Bürgerhaus, den Wambolderhof, das Rathaus oder die Platanenallee nach Bensheim.
Auch wurden mit den Landesmitteln zum Hessentag 1976 Infrastrukturmaßnahmen wie die Querverbindungen B3 zum Berliner Ring oder Kirchberg- zur Saarstraße realisiert.
Der Ausbau der unteren Fußgängerzone, Sanierungen von Mittelbrücke und Bau des Hospitals, dessen Einweihung 1975 mit einem Fest als Ursprung des heutigen Bürgerfestes gefeiert wurde, sind ebenso nachhaltige Aktivitäten von Georg Stolle, wie zahllose Firmenansiedlungen in Bensheim.
Europa-Verschwisterung ein Herzensanliegen
Die Europa-Verschwisterung war dem agilen Bürgermeister ein besonderes Herzensanliegen. Geprägt von eigenen Kriegserlebnissen rief er neben der bereits mit Beaune (Frankreich) bestehenden Verschwisterung Partnerschaften ins Leben, die meist aus privaten Urlaubsbesuchen in den jeweiligen Städten entstanden.
So kamen die Partnerschaften Bensheims mit Hostinee (Tschechien), Mohács (Ungarn), Riva del Garda (Italien), Klotzko (Polen) und Amersham (Großbritannien) zustande, die unter dem um Völkerverständigung bemühten Georg Stolle erblühten. In Mohács, Riva del Garda, Klotzko und Amersham war Stolle später zum Ehrenbürger ernannt worden.
Kultur und Bildung waren ihm wichtig
Auch Kultur und Bildung waren ihm wichtig. Das Parktheater, die Stadtbibliothek sowie die Verleihung des Gertrud-Eysoldt-Rings als kultureller Höhepunkt von überregionalem Wert sind nur einige der unter seiner Ägide angestoßenen Projekte.
Nach fünf Amtszeiten verabschiedete sich Georg Stolle im Jahr 2002 als damals dienstältester Bürgermeister Hessens unter großem Dank der Bürgerinnen und Bürger in den Ruhestand.
„Riesengroßer Verlust für die Stadt Bensheim und die gesamte Stadtgesellschaft“
„Der Tod von Georg Stolle ist ein riesengroßer Verlust für die Stadt Bensheim und für die gesamte Stadtgesellschaft, die sich ihm bis heute eng verbunden fühlt.
Keine andere Persönlichkeit hat Bensheim in den vergangenen Jahrzehnten so stark und so positiv geprägt wie unser Ehrenbürgermeister.
Wir sind ihm zu großem Dank verpflichtet und werden ihm ein ehrendes Andenken bewahren. Unser tiefes Mitgefühl gilt in diesen Tagen seiner Familie“, sagt Bürgermeister Rolf Richter.
Mutiges und weitsichtiges Engagement
Neben seiner ebenso mutigen wie weitsichtigen Bürgermeistertätigkeit engagierte sich Stolle auch im Bergsträßer Kreistag, dem er von 1977 bis 1985 als Vorsitzender vorstand und auch dort die Geschicke maßgeblich beeinflusste. Danach war er bis 1993 als Präsident beziehungsweise Vizepräsident des Hessischen Städte- und Gemeindebundes tätig.
„Georg Stolle hat Bensheim zukunftsorientiert gestaltet. Mit ihm konnte ich offen und kontrovers diskutieren. Über die Parteigrenzen hinweg war er eine geschätzte Persönlichkeit, bodenständig und bürgernah. Er wird fehlen. Ich behalte Georg Stolle in sehr guter Erinnerung“, sagt eine langjährige, nicht den Christdemokraten angehörende, politische Weggefährtin.
Trauerfeier am Samstag, 1. Februar
Die Trauerfeier für Georg Stolle beginnt am kommenden Samstag, 1. Februar, um 13 Uhr in der Bensheimer Stadtkirche St. Georg, Marktplatz 10.
Die Kirche ist bereits ab 11.30 Uhr geöffnet. Die Trauerfeier wird akustisch auch auf den Kirchenvorplatz sowie in das während des Gottesdienstes geöffnete benachbarte Pfarrzentrum übertragen.
Die Beisetzung findet anschließend im engsten Familien- und Freundeskreis auf dem Friedhof in Bensheim-Mitte statt. Kondolenzlisten liegen bereits jetzt im Rathaus-Foyer, Kirchbergstraße 18, und im Bürgerbüro in der Hauptstraße 39 aus.
Die Familie bittet anstelle zugedachter Blumen- und Kranzspenden um eine Spende für das Sonderkonto der Stadt Bensheim >Bürger in Not< bei der Sparkasse Bensheim unter: IBAN DE20 5095 0068 0001 0857 94.