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Wahrnehmungsverschiebung

Polizeipräsenz im Übermaß vor dem Landgericht Mannheim beim Berufungsprozess gegen eine Weinheimer Ärztin, die angeblich falsche Gesundheitszeugnisse ausgestellt haben soll: mit fünf Mannschaftswagen waren die Ordnungshüter auf Anordnung des Vorsitzenden Richters der 12. Kleinen Strafkammer des Landgerichts angerückt. Foto: er

SERIE, Teil 8: Monika Wagner beobachtete das Berufungsverfahren vom 07. November 2023 bis 20. Februar 2024 vor dem Landgericht Mannheim gegen eine Weinheimer Ärztin und deren Praxisangestellte wegen des Verdachts auf Ausstellung unrichtiger Gesundheitszeugnisse

Heute berichten wir in unserer Serie vom Tag 8 der Berufungsverhandlung, 19. Januar, 2024.

Teil 1 ist nachzulesen unter: www.de-fakt.de/deutschland/details/?tx_ttnews

Neues Jahr, neues Glück. Heute steht der erste von vier Verhandlungstagen an, die in diesem Berufungsprozess für das Jahr 2024 festgesetzt wurden.

Die Sicherheitsvorkehrungen sind die selben wie im letzten Jahr: Schließfach, Erfassung der Ausweise, elektronische Durchleuchtung, Metalldetektor, Abtasten. Auch in den anderen Sälen herrscht Betrieb, aber die Sicherheitsvorkehrungen sind heute wieder exklusiv zur Eindämmerung der Zuschauer im Maskenprozess.

Wie gesagt, im Durchschnitt Generation eher 60 plus, denn 50 plus. Der ältere Herr mit Rollator ist auch wieder da. (Apropos „Rollator“: Man könnte fast meinen, das sei eine neue „Untergruppierung der Mafia“, so wie früher russische Mafia, albanische, türkische, italienische, Cosa Nostra, Nhdrangetta... alles Schnee von gestern, heute ist die „Rollator-Gruppe“ angesagt…zumindest sehen sich Frankfurt, Stuttgart und München genötigt jeweils einer dieser „Terror-Gruppen“ den Prozess zu machen - aber ich schweife ab, das ist ein anderes Thema.)

Heute sind gleich drei Sitzreihen für die Presse abgesperrt. Der Pressevertreter der Lokalzeitung hat in der ersten Reihe Platz genommen, sein älterer Kollege in der zweiten, die dritte bleibt unbesetzt. Die Kameras sind sichtlich abgeschaltet und zur Decke ausgerichtet.

Herr Stork vertritt die Staatsanwaltschaft. Die Rechtsanwälte Willanzheimer, Künnemann und Lausen stehen Dr. Jiang zur Seite, die 12. Kleine Strafkammer ist unverändert mit Dr. Christian Hirsch als Vorsitzendem Richter begleitet von den Schöffinnen Boaz und Jachin besetzt. Offensichtlich blieben bis dato sämtliche Befangenheitsanträge erfolglos.

Rechtsanwalt Künnemann erklärt, der im Selbstladeverfahren einbestellte Professor aus Wien ist nach England geflogen, um dort einen wichtigen Termin wahrzunehmen.

Rechtsanwalt Lausen stellt seine Routinefrage: „Gab es Störungen während der letzten Verhandlung?“ Dr. Hirsch verneint. (Hurra, alle Zuschauer waren brav wie die Lämmchen).

Rechtsanwalt Lausen beantragt zum x-ten Mal die Aufhebung der sicherheitspolizeilichen Anordnung. Staatsanwalt Stork ist dagegen. Verfügung des Gerichts: Die sicherheitspolizeiliche Anordnung bleibt bestehen.

...same procedure as last year..., Rechtsanwalt Lausen rügt dies als unzulässig und beantragt eine gerichtliche Entscheidung. Die Sitzung wird unterbrochen, die Kammer zieht sich zur Beratung zurück.

Es ergeht folgender Beschluss: Die sitzungspolizeiliche Anordnung vom 13. Oktober 2023 bleibt bestehen. Die Kammer gibt zu, bis dato gab es keine Störung im Sitzungsablauf.

Rechtsanwalt Lausen stellt einen Befangenheitsantrag gegen die komplette Kammer, mit der Bitte um Fristsetzung für die schriftliche Begründung bis Montag, 22. Januar 2024, 18 Uhr.

Dr. Jiang wirkt heute ungewohnt angespannt. Richter Hirsch fragt nach dem Stand der Dinge bzgl. der im Selbstladeverfahren geladenen Zeugen und Gutachter. Der Gutachter aus Österreich konnte wie bereits erwähnt heute nicht kommen.

Er befindet sich in England und soll zum 31. Januar 2024 neu geladen werden. Dr. Kisielinski, der auch schon am Nürnberger Gericht in einem ähnlich gelagerten Fall als Sachverständiger tätig war, soll zum 24. Januar 2024 als solcher gehört werden.

Der Vorsitzende Richter verlangt, dass ihm die Nachweise für die Ladung von Staatsanwältin R. und dem Leitenden Oberstaatsanwalt Gremmelmaier vorgelegt werden. Eine Forderung auf die die Verteidiger zunächst etwas irritiert reagieren, dieser aber Folge leisten und die Nachweise vorlegen.

Oberstaatsanwalt Gremmelmaier hat die Ladung erhalten, er weigerte sich jedoch die Aussagegenehmigung selbst zu beantragen. (Mir stellt sich die Frage: Wer ist sein Vorgesetzter, der diese Genehmigung erteilt? Der Justizminister von Baden-Württemberg Guido Wolf - oder Innenminister Thomas Strobl?

Im Internet gab es ein Foto auf welchem Guido Wolf Herrn Gremmelmaier die Ernennungsurkunde zum Leitenden Oberstaatsanwalt überreicht. Leider habe ich nicht schnell genug reagiert der Artikel ist noch da aber das Foto wurde geändert…)

Dr. Hirsch erklärt, die Staatsanwältin Frau R. könnte heute Vormittag auf Abruf zur Aussage kommen, aber nur bis max. 13 Uhr. Denn dann muss sie ihr Kind aus der KITA abholen.

Die KITA ist - aus welchen Gründen auch immer - unterbesetzt, so dass wohl nur Notfälle bis 13 Uhr betreut werden können. Die Verteidiger sind sichtlich Hin und Her gerissen zwischen menschlichem Verständnis für die Notfallsituation KITA und Unverständnis in der Sachlage.

Die Rechtsanwälte haben für die Zeugen eine Aussagegenehmigung beantragt. Es ist nun die Frage zu klären, ob bereits das Bereitstehen zur Aussage das Gericht als Erscheinen zur Aussage wertet. (Dies ist wieder eine dieser juristischen Spitzfindigkeiten bei denen ich aussteige - entweder ist jemand da und kann vernommen werden oder er ist nicht da.)

Rechtsanwalt Lausen stellt fest, dies sei eine Routineabweichung, welche der Staatsanwaltschaft in die Hände spielt. Er betont, dass er keinesfalls zustimme, das Bereitstehen als Erscheinen zu werten. Dr. Hirsch ergreift das Wort und gibt folgende Beschlüsse der Kammer bekannt:

1) Der Antrag auf ein linguistisches Sachverständigengutachten wird abgelehnt. Hiermit
sollte auf Wunsch der Verteidigung der Standardsatz:

„Hiermit bestätige ich, dass bei oben genannter Person das Tragen eines Mundschutzes aus medizinischen Gründen kontraindiziert ist. Damit ist das Tragen einer Mundnasenbedeckung unzumutbar“, analysiert werden.

2) Der Antrag auf Heranziehung eines Sachverständigen im Bereich Informationstechnik wird abgelehnt. Rechtsanwalt Willanzheimer wollte hier die Frage nach dem dokumentensicheren PDF in Papierform und die Möglichkeit der Servermanipulation geklärt haben.

3) Ein Hilfsantrag (die Details hierzu sind mir entgangen) wird auf Nachfrage des Richters zurückgenommen.

Weiterhin gibt er bekannt, dass der Leitende Oberstaatsanwalt Jürgen Gremmelmaier um 10 Uhr zur Vernehmung kommt. Es ist etwa 09:45 Uhr, Dr. Hirsch ruft den Zeugen Gremmelmaier in Saal 1: Nichts passiert. Daraufhin wird die Sitzung bis 10 Uhr unterbrochen.

Kaum ist die Kammer aus dem Saal betritt ein stattlicher, älterer, weißhaariger Herr den Gerichtsaal und setzt sich in die Zuschauerreihen. Die Tür öffnet sich erneut, eine Justizbeamtin geht auf ihn zu und bittet ihn den Saal wieder zu verlassen.

10 Uhr: Herr Gremmelmaier ist anwesend. (Ja, es handelt sich hier um den gleichen Herrn, den die Justizbeamtin zuvor wieder hinaus geleitet hatte. Eigentlich könnte man erwarten, dass er als Justizvertreter genau weiß, wann ein Zeuge in den Saal darf und wann nicht. Vielleicht handelte es sich ja aber um ein Missverständnis).

Die Verteidiger beanstanden, dass der Oberstaatsanwalt nicht wie alle anderen, einschließlich Pressevertreter, durch die polizeiliche Absperrung und Sicherheitschecks musste. (Es lebe der Gleichheitsgrundsatz!).

Nachdem die 12. Kleine Strafkammer die Anwesenheit des Zeugen feststellte, wird die Sitzung auch schon wieder für 10 Minuten unterbrochen. Der Vorsitzende Richter erklärt, die Kammer ziehe sich nun zur Beratung zurück.

Der Beratungsbedarf der Kammer ergibt sich aus der Frage, ob dem Beweisantrag: Einvernehmung des Leitenden Karlsruher Oberstaatsanwalt Jürgen Gremmelmaier, in seiner Funktion als Kammeranwalt der Bezirksärztekammer Nordbaden, nachzugehen ist oder nicht.

Sowohl die Kammer als auch die Verteidiger verlassen den Saal, die Prozessbeobachter dürfen unter Aufsicht der Justizbeamten bleiben. Herr Gremmelmaier hat eine zwischen rosa Pappe gebundene Akte mitgebracht, die von der Dicke etwa 500 Seiten Kopierpapier entspricht.

Diese liegt vor ihm auf dem Tisch. Nachdem seine Anwesenheit offiziell festgestellt wurde, fläzt sich der Oberstaatsanwalt regelrecht auf seinem Zeugenstuhl. Ebenfalls im Raum blieb der Vertreter der Staatsanwaltschaft Stork, welcher nun unterwürfig wie ein Hündchen auf seinen Vorgesetzten zugeht um ihn zu begrüßen.

(Eine Szene die man gesehen haben muss, um sie zu glauben!) Nach dem Austausch von Höflichkeitsfloskeln zeigt ihm der Oberstaatsanwalt ein Dokument, nur wenige Seiten, über welches sie sich wohl unterhalten.

Kurz darauf kommt empört Rechtsanwalt Willanzheimer in den Saal und beanstandet die Unterredung zwischen dem Anklagevertreter Staatsanwalt Stork mit dem Zeugen Oberstaatsanwalt Gremmelmaier.

Pikanterweise ist Rechtsanwalt Willanzheimer selbst ehemaliger Leitender Staatsanwalt und scheint (nach meinem persönlichen Eindruck) den Zeugen ebenfalls zu kennen.

Um 10 Uhr hat außer dem Zeugen Gremmelmaier auch noch ein weiterer Pressevertreter den Weg in den Gerichtsaal gefunden. Die Pressevertreter sind nun zu dritt in den ersten drei extra für ihre Zunft reservierten Reihen.

Nach der 10-minütigen Beratungsunterbrechung verkündet der Vorsitzende Richter Dr. Christian Hirsch folgende Beschlüsse:

1) Der Antrag von RA Lausen auf Vernehmung des Leitenden Oberstaatsanwalt Jürgen Gremmelmaier wird abgelehnt. Das Publikum ist entsetzt.

2) Ebenso wird die Vernehmung von Helmut Kohn von der Ärztekammer Nordbaden abgelehnt (Siehe hierzu Anhang: Antwort von Herrn Kohn an die Behindertenbeauftragte der Stadt Heidelberg Frau Reis, auf ihren Offenen Brief.)

Die Kammer trägt die Begründung ihrer Beschlüsse mündlich vor. Daraufhin bitten die Verteidiger um eine Unterbrechung der Sitzung um weitere Beweisanträge zu stellen.

Dr. Hirsch fragt nach dem zeitlichen Horizont, wie lange der Zeuge denn noch bleiben soll. Es werden weitere 10 Minuten Unterbrechung für die neuen Beweisanträge vereinbart. Während dieser zweiten Pause findet keine weitere Kommunikation zwischen dem Oberstaatsanwalt und Staatsanwalt Stork statt.

Rechtsanwalt Willanzheimer stellt einen Antrag auf Beschlagnahmung der Unterlagen, die Herr Gremmelmaier Herrn Stork gezeigt hatte.

Dieser übergibt die Unterlagen freiwillig dem Gericht. Dr. Hirsch sieht sich die paar Seiten an und zuckt die Schultern, benennt das Aktenzeichen 43DS24JS/243-21 vom 27.04.2023 aus Bad Cannstadt.

Rechtsanwalt Willanzheimer stellt nun einen Antrag auf Beschlagnahmung sämtlicher Unterlagen die der Zeuge Gremmelmaier bei sich hat als potentielle Beweismittel.

Beschluss der Kammer: Der Antrag von Rechtsanwalt Willanzheimer zur Beschlagnahme der Unterlagen wird abgelehnt. Es ist keine klare Beziehung der Unterlagen zu diesem Fall erkennbar.

Rechtsanwalt Willanzheimer konkretisiert daraufhin seinen Antrag: Es geht um die Akte die vor dem Zeugen auf dem Tisch liegt. Staatsanwalt Stork tritt diesem Antrag entgegen. Es seien keine Beweise ersichtlich. Dr. Hirsch unterbricht die Sitzung, die Kammer zieht sich zur Beratung zurück.

Rechtsanwalt Willanzheimer kritisiert, dass der Richter die Präzisierung der Unterlagen nicht gleich nachfragte, das hätte diese Unterbrechung vermieden.

Während der Pause schaut der Zeuge Gremmelmaier in Richtung der Verteidiger und versucht immer wieder Blickkontakt mit Rechtsanwalt Willanzheimer aufzunehmen, was dieser wiederum tunlichst vermeidet. (Für den unbeteiligten Beobachter schon fast ein amüsantes Schauspiel.)

Es ergeht folgender Beschluss: Der Antrag von Rechtsanwalt Willanzheimer auf Beschlagnahme der auf dem Tisch liegenden Akte wird abgelehnt. Eine Verfahrensrelevanz sei nicht ersichtlich, daher sei die Beschlagnahme unverhältnismäßig.

Rechtsanwalt Willanzheimer nimmt dies zur Kenntnis, betont jedoch, dass die Unverhältnismäßigkeit wiederum für ihn nicht ersichtlich sei, da es sich vermutlich um die Akte der Bezirksärztekammer Nordbaden in dieser Angelegenheit handelt und beantragt Akteneinsicht.

Dr. Hirsch fragt den Staatsanwalt Herrn Stork: „Soll noch etwas erklärt werden?“ Antwort des Staatsanwalts: „Es ist alles gesagt!“

Es ergeht folgender Beschluss: Die Gegenvorstellung von Rechtsanwalt Willanzheimer ergibt keinen Grund diesen abzulehnen, (Antrag auf Akteneinsicht) KA57/21 (Kammerakte der Bezirksärztekammer).

Der Zeuge/Leitende Oberstaatsanwalt/Kammeranwalt der Bezirksärztekammer Nordbaden Gremmelmaier verlangt diesen Beweisantrag auf Akteneinsicht schriftlich von Rechtsanwalt Willanzheimer. Dr. Hirsch möchte nun den Zeugen Gremmelmaier entlassen.

…und ewig grüßt das Murmeltier..., Rechtsanwalt Lausen ist dagegen und stellt einen Befangenheitsantrag gegen die gesamte Kammer, mit der Bitte um Fristsetzung zur schriftlichen Begründung bis Dienstag, 23. Januar 2024, 18 Uhr.

Er widerspricht der Entlassung des Zeugen und stellt die Erwägung eines neuen Beweisantrags in den Raum mittels dessen der Oberstaatsanwalt erneut im Selbstladeverfahren geladen werden soll.

Staatsanwalt Stork sieht keinen Grund den Zeugen nicht zu entlassen. Die Sitzung wird unterbrochen, die Kammer zieht sich zur Beratung zurück.

Der erste Pressevertreter verlässt die Verhandlung. Dr. Hirsch verkündet folgenden Beschluss: Die Entlassung des Zeugen Gremmelmaier wird bestätigt.

Herr Gremmelmaier betrachtet mit hämischem Grinsen die Verteidiger insbesondere RA Willanzheimer und bemerkt: Er werde seine Kosten abrechnen. Dann nimmt er seine Akte und geht.

Dr. Hirsch erklärt einen weiteren Beschluss der Kammer: Der Antrag von Rechtsanwalt Künnemann auf Einholen eines Sachverständigengutachtens durch Herrn Prof. S. aus Wien bzgl. der Wirksamkeit einer Mund-Nasen-Abdeckung wird abgelehnt.

(Ich vermute auch der Richter und die Schöffinnen, insbesondere die im Pharmabereich tätige Frau Boaz wissen was auf der Verpackung steht).

Dr. Hirsch stellt die Frage: „Und was wird mit Frau R.?“ Die Verteidiger erklären erneut die Zeugin sei auf 14 Uhr geladen. Dr. Hirsch wiederum erläutert nochmals dies sei aufgrund des KITA-Notfall-Betriebs unzumutbar. Woraufhin die Verteidigung ein Ordnungsgeld gegen die Staatsanwältin R. beantragt.

Hierzu hat sogar Staatsanwalt Stork – man glaubt es kaum - eine Meinung. Die Notdienstbetreuung der KITA könne man der jungen Mutter nicht anlasten. Er spricht sich gegen das Ordnungsgeld aus.

Dr. Hirsch schlägt vor die Zeugin vorzuziehen, aber der Ladevorgang ist strittig. Dr. Hirsch fasst nun den Entschluss, die Zeugin jetzt selbst auf 11:30 Uhr zu laden und die Sitzung bis dahin zu unterbrechen. Inzwischen ist es 10:50 Uhr, alle müssen den Saal verlassen.

Ein allgemeiner Run auf die Toilette setzt ein. Ansonsten bilden sich Grüppchen im Foyer und vor allem vor dem Gerichtsgebäude. Mir ist es zu kalt um nach Draußen zu gehen.

Stattdessen sehe ich mir das Schwarze Brett etwas genauer an. Parallel zu dem Maskenprozess findet eine Verhandlung mit dem Tatvorwurf Mord gegen einen Italiener statt, der Mann ist inhaftiert. Der Prozess findet unter Zuhilfenahme eines Dolmetschers statt.

In einem weiteren Saal gibt es eine Verhandlung wegen Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, auch hier befindet sich der Angeklagte in Haft.

Und die Dauerverhandlung wegen Verdacht auf Steuerhinterziehung ist auch wieder am Start - was alle gemeinsam haben? - derart harmlose Prozessbeobachter, dass es keinerlei sitzungspolizeiliche Sicherheitsmaßnahmen braucht.

Ob der Richter im Hintergrund mit sich alleine berät, weiß ich nicht, zumindest nicht mit den Schöffinnen, denn die stehen während der Pause ebenfalls rauchend vor dem Gerichtsgebäude.

Auf ein Neues. Ausweis. Durchleuchtung. Metalldetektor. Abtasten. Alle Zuschauer für Saal 1 müssen wieder durch den Sicherheitscheck.

Inzwischen wurde zwischen den Absperrbändern ein großes Plakat aufgehängt, welches verkündet, dass das Mitführen von Mobiltelefonen und das Erstellen von Tonaufnahmen im Gerichtsaal nicht gestattet ist. Vermutlich eine Reaktion auf die Pressevertreter, die ab und an versuchen mit ihrem Equipment den Saal zu betreten.

11:30 Uhr Dr. Hirsch betont erneut die KITA-Notbetreuungwar für die Zeugin nicht vorhersehbar. Die Verteidiger bleiben bei ihrem Antrag auf ein Ordnungsgeld gegen die Staatsanwältin. Dr. Hirsch erklärt, die Zeugin würde am 24. Januar 2024, 10 Uhr zur Vernehmung kommen aber nicht heute.

Letztendlich ist die Verteidigung mit dem neuen Termin einverstanden. Ferner setzt der Vorsitzende Richter die Frist zur schriftlichen Begründung der neuen Befangenheitsanträge auf heute, 15 Uhr fest. Die Verteidiger sind empört und widersprechen sofort dieser Fristsetzung. Auch sie wollen eine Mittagspause!

Es entbrennt eine Diskussion zwischen Richter undVerteidigung wegen den jeweils gesetzten Fristen zur schriftlichen Begründung ihrer Anträge im Allgemeinen.

Die Rechtsanwälte wollen mehr Zeit dafür, da die Inhalte immer komplexer werden. Dr. Hirsch fragt den Vertreter der Staatsanwaltschaft Herrn Stork ob er hierzu eine Erklärung abgeben möchte - will er nicht.

Die Sitzung wird unterbrochen, die Kammer zieht sich zur Beratung zurück. Es ergeht folgender Beschluss: Die Befangenheitsanträge müssen bis heute, 15 Uhr, schriftlich begründet werden.

...same procedure..., die Verteidigung stellt einen weiteren Befangenheitsantrag gegen die gesamte Kammer. Rechtsanwalt Künnemann möchte für die schriftliche Begründung dieses Befangenheitsantrags eine Frist bis kommenden Montag, 18 Uhr.

Der inzwischen leicht genervt wirkende Richter Dr. Hirsch unterbricht die Sitzung von 11:45 bis 15 Uhr. Für mich bedeutet das Einkaufen, Mittagessen und wieder zurück zum Gericht.

Schließfach. Ausweiskontrolle. Durchleuchtung. Metalldetektor. Abtasten. Um 15 Uhr sind auch wieder zwei Pressevertreter anwesend. Mehr als 50% der Zuschauer kamen nicht mehr zurück. Die Gerichtsschreiberin hat ebenfalls erneut gewechselt.

Rechtsanwalt Lausen möchte nochmals die Möglichkeit zur fristgerechten, schriftlichen Begründung ausloten. Er gibt an, dass es den Verteidigern nicht möglich war die gesetzte Frist bis 15 Uhr einzuhalten und beantragt eine Verlängerung der Frist bis zum kommenden Montag, 22. Januar 2024, 18 Uhr.

Dr. Hirsch nimmt dies stirnrunzelnd zur Kenntnis und fragt den Staatsanwalt ob er hierzu eine Erklärung abgeben möchte - will er nicht. Der Antrag auf Fristverlängerung wird abgewiesen. Rechtsanwalt Willanzheimer stellt einen Antrag gemäß § 238 Abs.2 StPO. Die Sitzung wird unterbrochen, die Kammer zieht sich zur Beratung zurück.

Dr. Hirsch verkündet folgenden Beschluss: Der Antrag auf Fristverlängerung zur schriftlichen Begründung des Befangenheitsantrags wird abgelehnt.

Ich vermute, dass damit auch der Befangenheitsantrag vom Vormittag abgelehnt bzw. hinfällig ist, da die gesetzte Frist nicht eingehalten wurde. Hier habe ich den Faden verloren.

Ich kann nicht mehr zuordnen geht es hier um die schriftliche Begründung des Befangenheitsantrags wegen Nichtaufhebung der sitzungspolizeilichen Anordnung oder wegen Nichtanhörung des vorhandenen Zeugen Oberstaatsanwalt Gremmelmaier oder um die Nichtbeschlagnahme der mitgebrachten Akte?

Die Verteidiger führen aus, dass die immer komplexer werdenden Sachverhalte, neue Beweisanträge und Strategien nach sich ziehen, die einfach mehr Zeit brauchen.

Die Frist bis 15 Uhr sei zu knapp bemessen. Dr. Hirsch habe dies die ganze Zeit über anders gehandhabt, so habe er bei einem Freitagstermin die Fristen mindestens bis zum nächsten Arbeitstag gesetzt. Dr. Hirsch fragt den Staatsanwalt ob er eine Erklärung abgeben möchte - will er nicht.

Die Sitzung wird erneut unterbrochen, die Kammer zieht sich zur Beratung zurück. Dr. Hirsch verkündet den Beschluss der Kammer: „Auch die Gegenvorstellung durch RA Lausen ist abzulehnen!“ Rechtsanwalt Willanzheimer verlässt um 15:30 Uhr die Verhandlung.

Rechtsanwalt Künnemann erklärt, dass die Gerichte in Hamburg inzwischen in ähnlich gelagerten Fällen, im Streit um Maskenatteste, die Angeklagten freisprechen. Ferner verweist er auf eine BGH-Entscheidung in der es um die Handhabung ärztlicher Atteste in einer Apotheke geht (sofern ich das richtig verstanden habe).

Rechtsanwalt Künnemann legt dem Staatsanwalt das Urteil in Kopie vor. Weiterhin führt er an, dass selbst die Staatsanwaltschaft Hamburg in diesen Fällen inzwischen die Verfahren einstellt.

Dr. Hirsch hört sich das alles sehr interessiert an und fragt nach Urteilen und Aktenzeichen. Diese werden soweit bekannt an ihn weitergegeben, z.B. Amtsgericht Hamburg Mitte AZ: 242CS/242/23.

Es wird ein Staatsanwalt H. aus Hamburg benannt, welcher bei nahezu identischer Sachlage während des Verfahrens dieses ausgesetzt habe, um die weitere Entwicklung der Rechtsprechung abzuwarten – auch für diesen Fall wird das Aktenzeichen an Dr. Hirsch weitergegeben.

Das Landgericht Hamburg habe ein weiteres Berufungsverfahren zeitlich nach hinten verschoben da der Behördenbegriff nicht anerkannt wurde.

Dr. Hirsch nimmt dies alles zur Kenntnis. Inwieweit dies für die Staatsanwaltschaft zutrifft, bin ich mir nicht so sicher, Herr Stork wirkt eher desinteressiert.

Der Vorsitzende Richter verkündet folgenden Beschluss: Die schriftliche Begründung für den letzten Befangenheitsantrag hat bis zum 22. Januar 2024, 14 Uhr zu erfolgen.

Rechtsanwalt Lausen bemängelt die fehlende formelle Unterbrechung der Sitzungen, sowohl heute als auch schon an vorherigen Verhandlungstagen. Der Richter gelobt Besserung.

Rechtsanwalt Künnemann kritisiert die langen Mittagspausen im Hinblick auf die Prozessbeobachter. So sind von den 24 Zuschauern am Morgen (dies entspricht der Anzahl der Schließfächer) um 15 Uhr nur noch 8 Zuschauer zurück gekommen. Er sieht darin eine Verletzung des Öffentlichkeitsgrundsatzes.

Rechtsanwalt Lausen spricht wieder die zu kurzen Fristen für die schriftliche Begründung der Befangenheitsanträge an und bittet sich „der Norm entsprechend“ zu verhalten und nicht nach Gutdünken.

Dr. Hirsch verfügt: Die Frist zur schriftlichen Stellungnahme der Beweisanträge ist abgelaufen. Die Sitzung wird für heute beendet und am Mittwoch, 24. Januar 2024, 09 Uhr fortgesetzt. Um 10 Uhr ist Staatsanwältin R. als Zeugin geladen.

Dies war meine Wahrnehmung des achten Prozesstages. Aufzeichnungen der weiteren Prozesstage folgen jeweils freitags und montags. Hier geht's zu Teil 9: www.de-fakt.de/bundesland/hessen/details/?tx_ttnews