GRÃœNE: Retten, was noch zu retten ist
BERGSTRASSE. - Der grüne Bundestagskandidat für die Bergstraße, Moritz Müller (Bensheim), fordert in der aktuellen humanitären Katastrophe in Afghanistan. „Die Rettung von Menschenleben ist die vordringliche Aufgabe, auf die sich die Bundesregierung jetzt konzentrieren muss. Es braucht dafür so viele Flugzeuge, wie wir auftreiben können, und alle Anstrengung, um zu retten, was noch zu retten ist.“
Oberste Priorität müsse laut Müller die Evakuierung deutscher Staatsbürger:innen sowie der Ortskräfte und ihrer Angehörigen über den Flughafen Kabul haben.
„Es darf dabei kein Unterschied gemacht werden, ob die Personen für staatliche oder nichtstaatliche deutsche Stellen gearbeitet haben und seit wann. Das gilt auch für die Menschen, die uns im Auftrag der EU unterstützt haben“, so Müller weiter.
„Auch afghanische Mitarbeiter:innen von Subunternehmen müssen ausgeflogen werden, ebenso Mitarbeiter:innen von Hilfsorganisationen, von Frauenrechtsorganisationen, Menschenrechtsaktivist:innen, Kulturschaffende, Journalist:innen, die für deutsche Medien gearbeitet haben, und andere Verteidiger:innen einer offenen Gesellschaft in Afghanistan, die jetzt um ihr Leben fürchten müssen.“
Die deutsche Evakuierungsaktion zwischen Kabul und Taschkent mit sehr wenigen Flugzeugen reiche angesichts der Zahl von rund 15.000 deutschen Ortskräften mit Angehörigen nicht aus.
Diese Anstrengungen müssten intensiviert werden, um das noch bestehende, kurze Zeitfenster für Evakuierungen zu nutzen. Die Flüge müssten dafür am Boden so vorbereitet werden, dass sie nicht mit sieben Personen an Bord abfliegen, sondern so viele Menschen wie logistisch möglich mitnehmen.
„Dafür müssen auch endlich bürokratische Hürden bei der Aufnahme von Ortskräften abgebaut werden. Familien müssen zusammengehalten werden, auch wenn nur einige Mitglieder einen deutschen Pass haben“, meint Müller „Es ist eine moralische Bankrotterklärung, wenn Väter von GIZ-Mitarbeitenden vor die Wahl gestellt werden, ihre Söhne zurückzulassen, oder zu bleiben.“
Hinweise wurden ignoriert
Die Bundesregierung habe mehrfach frühzeitige Warnungen ignoriert und bei der Evakuierung von deutschen Staatsangehörigen und Ortskräften versagt.
Mehrere Berichte sagten aus, dass die Einnahme Kabuls durch die Taliban von Nachrichtendiensten und Botschaftspersonal früher vorhergesagt und konkrete Vorbereitungen zur Evakuierung dringend angemahnt worden seien.
Jüngste Aussagen des BND würden belegen, dass solche Informationen der Regierung bereits vor Monaten vorgelegen hätten. All die Stimmen aus den Ministerien, der Botschaft und den Diensten seien sträflich ignoriert und damit kostbare Zeit zur Rettung von Menschenleben verspielt worden.
Die grüne Bundestagsfraktion hat angesichts der Dramatik und Dringlichkeit einen entsprechenden Antrag zur Unterstützung der Ortskräfte in der letzten Sitzungswoche im Juni 2021 zur Abstimmung gebracht: https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2021/kw25-de-afghanische-ortskraefte-846934
Dieser Antrag wurde im Bundestag von der Koalition abgelehnt, die Chance auf eine rechtzeitige Rettung sei damit verspielt worden.
Andere Staaten hätten in den vergangenen Wochen gezeigt, dass schnelle, umfassende und sichere Unterstützung möglich sei. Deutschland habe viel zu spät reagiert, das Zeitfenster bis zum Abzug der Bundeswehr nicht genutzt, den Personenkreis mit Absicht und willkürlich möglichst klein gehalten und an mehreren Stellen für die Betroffenen nahezu unmögliche und höchst gefährliche Auflagen erlassen.
„Damit hat sie die notwendige Hilfeleistung für viele Menschen unmöglich gemacht und Tausende im Stich gelassen“, so Müller. „Jetzt zu behaupten, die Rettung laufe auf Hochtouren, ist Augenwischerei. Für die Meisten kommt die Hilfe zu spät, weil der Flughafen nur noch mit Zustimmung der Taliban erreichbar ist.“
Die Antworten auf die Fragen, wieso die Lage so falsch eingeschätzt werden konnte und warum trotz zahlreicher Hinweise den Ortskräften nicht früher und unbürokratischer geholfen worden sei, dränge sich förmlich auf.
Das eklatante Staatsversagen, insbesondere des Bundesaußenministers Heiko Maas, allerdings auch seiner Kollegen und Kolleginnen im Kabinett, müsse zeitnah aufgearbeitet werden.
Angesichts der traumatischen Bilder aus Kabul und vieler anderer Teile des Landes sei es unerträglich, die rechtfertigenden Äußerungen des Staatsministers für Europa im Auswärtigen Amt, Michael Roth, zu lesen.
Der enge Mitarbeiter des Außenministers sei mitverantwortlich für die verspätete Evakuierung und die damit in Zusammenhang stehenden Toten in Afghanistan. Inzwischen lägen Berichte über Hinrichtungen, auch Angehöriger Deutscher Ortskräfte, vor.
„Die Lage vor Ort ist weiterhin nicht unter Kontrolle, Tausende Menschen verstecken sich in schrecklicher Angst vor den Taliban. Deren Versprechen sind, wie erste Augenzeugenberichte beweisen, nicht haltbar und Verhandlungen mit der islamistischen Terrorgruppe daher nur unter Vorbehalt zu führen“, meint Matthias Schimpf, Kreisvorstandssprecher der Grünen.
Afghanistan kein sicheres Herkunftsland
Die Bundesregierung müsse mit den Taliban dennoch über die Offenhaltung des Flughafens Kabul sprechen. Selbstverständlich sollte sein, dass ein andauernder Abschiebestopp nach Afghanistan verhängt wird und die Menschen in Deutschland eine sichere Bleibeperspektive erhielten.
Der Zusammenhang zwischen Verhandlungen mit den Taliban und drohenden zukünftigen Abschiebungen führe zu weiterer Verunsicherung in der Region.
Die Bundesregierung und die EU müssten sich dringend logistisch und innenpolitisch auf wachsende Fluchtbewegungen Richtung Europa einstellen und den UNHCR finanziell und politisch weit mehr unterstützen.
Die Aussage einer Reihe von Politikern der Koalition, man wollte eine Situation wie 2015 vermeiden, sei ein billiges Ablenkungsmanöver vom Versagen der Bundesregierung.
Den Aussagen der Politiker, nun vorwiegend die Flüchtlingshilfe in den afghanischen Nachbarländern zu unterstützen, müssten nun endlich Taten folgen. „Deutschland und andere bereitwillige EU-Staaten, die USA und Kanada müssen dafür direkte Kontingente aufnehmen“, so Müller.
„Deutschland muss die UN bei ihrer Forderung unterstützen, dass die Nachbarstaaten Afghanistans ihre Grenzen offen halten müssen, damit überhaupt sichere Fluchtwege existieren.“
Staaten, die sich kooperativ zeigen, wie z.B. Irak, brauchten daher auch konkrete Unterstützung von der EU. „Dazu müssen Gespräche mit konkreten Zahlen über Aufnahme sofort beginnen“, fordern die Grünen abschließend.