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MEGB-Eigenkapital als Rettung vor überhöhter Grundsteuer B empfohlen

Auf Einladung von Bürgermeisterin Christine Klein informierte die Hessische Kommunalberatung im Bürgerhaus des Auerbacher Kroneparks ...

... Bensheimer Bürger über den Istzustand der städtischen Finanzmisere und gab Handlungsempfehlungen zur Haushaltskonsolidierung. Fotos: er

Die Hessische Kommunalberatung gab zahlreiche Handlungsempfehlungen zur Haushaltskonsolidierung der Stadt Bensheim, wie jetzt bei einer Bürgerversammlung vorgestellt + + + Dazu zählt auch eine Überprüfung der 100-Prozent-Stadttochter Marketing- und Entwicklungs-Gesellschaft Bensheim (MEGB) + + + Eine steuerfreie Eigenkapital-Rückerstattung der MEGB an die Stadt in der Größenordnung um 13 Millionen Euro sei eine praktikable Lösung, wie Steuerberater Ralf Vesper vom Bürgernetzwerk offenbarte

BENSHEIM. - Seit Bekanntwerden des exorbitanten Gewerbesteuereinbruchs in der Stadt Bensheim Mitte vergangenen Jahres ist dieses Thema nahezu täglich Stadtgespräch. Ein Defizit von knapp 40 Millionen Euro türmte sich 2024 im städtischen Haushalt auf.

Nachdem die hessische Kommunalberatung bereits Mitte Januar Magistrat und Stadtverordnete mit einer ausführlichen Analyse des Ist-Zustands informiert und auch entsprechende Empfehlungen zur Haushaltskonsolidierung ausgesprochen hatte, wurden jetzt die Bürger von der Kommunalberatung in Kenntnis gesetzt.

Dazu waren vom hessischen Innenministerium Volker Mosler, vom Finanzministerium Dr. Kerstin Kümpel und Vera Chaudhuri und vom Landesbeauftragten für Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung im Landesrechnungshof Thomas Ihrig und Christian Petersohn ins Bürgerhaus im Kronepark des Stadtteils Auerbach gekommen.

„Die Leistungsfähigkeit Bensheims ist bedroht“

Eine der wichtigsten Botschaften der Landesexperten, die keinerlei Handlungsanweisungen erteilten, vielmehr Handlungsempfehlungen gaben, zielte angesichts der „bedrohten Leistungsfähigkeit Bensheims“, wie Christian Petersohn betonte, auf die Überprüfung der Leistungen im freiwilligen Bereich wie Kultur, Kinder- und Jugend-, sowie Natur- und Landschaftspflege, wie Thomas Ihrig ergänzte.

Auch gelte es die hohen Kosten im Bereich der inneren Verwaltung ebenso auf den Prüfstand zu stellen, wie die städtische GmbH- und Eigenbetriebsstruktur einer Organisations- und Wirtschaftlichkeitsuntersuchung zu unterziehen.

Mehr interkommunale Zusammenarbeit ist gefragt

Daneben sei der Fokus auch auf mehr interkommunale Zusammenarbeit zu lenken. Hier seien vorrangig die Arbeitsfelder Kasse, Steuerung und Finanzen in den

Die Ausgangslage ist hinreichend bekannt: schon im Haushaltsplan 2024 war ein Defizit von rund 12,5 Millionen Euro ausgewiesen. Dieses konnte jedoch durch Rücklagen kompensiert werden, sodass der Haushalt das aufsichtsbehördliche Testat „genehmigt“ erhalten hatte.

Gewerbesteuer-Rückzahlungen zum Ende des ersten Halbjahres 2024 in Höhe von mehr als 30 Millionen Euro und die bittere Aussicht auf weiterhin deutlich weniger Einnahmen in diesem Bereich als noch zu Jahresbeginn geplant, komplettierten die horrende Finanzmisere der Stadt.

Aufschrei in der Stadtgesellschaft wegen geplanter fast Verdreifachung der Grundsteuer

Die Jeremiade war demzufolge groß und es wurde intensiv nach Lösungsansätzen gesucht. Diese fanden sich in der Stadtverwaltung zunächst lediglich mit der Erhöhung der Grundsteuer B von seither 620 Prozentpunkten auf 1.740 Punkte.

Der folgende Aufschrei in der Stadtgesellschaft war groß wie es auch in einer eigens einberufenen Bürgerversammlung deutlich wurde (siehe dazu FACT-Bericht unter: www.de-fakt.de/bundesland/hessen/kreis-bergstrasse/details/?tx_ttnews)

Und auch das Stadtparlament wollte sich mit der nahezu Verdreifaachung der Grundsteuer B keineswegs anfreunden, zumal durch die Grundsteuerreform Bürger vorwiegend in der Kernstadt zum Jahresbeginn 2025 ohnedies teilweise schon deutlich höher belastet werden, andere dagegen allerdings auch entlastet.

Landesempfehlung lag nach der Grundsteuerreform bei 617 Punkten

Schon in der Sitzung des Haupt- und Finanzausschusses am Dezember hatten sich die Parlamentarier fraktionsübergreifend dafür ausgesprochen den Grundsteuer-B-Hebesatz im erforderlichen Nachtragshaushalt 2024 an der Landesempfehlung für aufkommensneutrale Hebesätze gemäß der erfolgten Grundsteuerreform mit 617 Punkten zu belassen und diesen erst bei Vorlage des Haushaltsplans 2025 entsprechend der dann vorliegenden Gegebenheiten anzupassen (siehe dazu auch FACT-Bericht unter: www.de-fakt.de/bundesland/hessen/kreis-bergstrasse/details/?tx_ttnews).

In der letzten Sitzung der Stadtverordneten Ende Dezember 2024 kam es dann zu wortgewaltigen Duellen der Mandatsträger mit nicht unerheblichen Angriffen auf Bürgermeisterin und Finanzdezernetin Christine Klein und der Forderung nach einem vernünftigeren Lösungsweg als der im Magistratsvorschlag nahezu ausschließlich herangezogenen Erhöhung der Grundsteuer B (siehe auch FACT-Bericht unter: www.de-fakt.de/bundesland/hessen/kreis-bergstrasse/details/?tx_ttnews).

Nur Handlungsempfehlungen, keine Handlungsanweisungen

Aktuell hatten die Rechnungshof-Beamten eine klare Analyse des Ist-Zustands erstellt und diese mit zahllosen optischen Darstellungen untermauert. Dazu gaben Petersohn und Ihrig deutliche Erläuterungen, verwiesen dabei aber explizit auf die durch das Stadtparlament zu treffenden Entscheidungen im Rahmen der kommunalen Selbstverwaltung, weshalb sie auch lediglich nur Handlungsempfehlungen, keine Handlungsanweisungen gaben. 

Letztlich müsse man sich allerdings fragen: „Was wollen wir uns als Stadt noch leisten und was ist mit nur halb soviel Personal angesichts des demografischen Wandels und des auch im Rathaus schrumpfenden Personals noch aufrecht zu erhalten?“

Jedenfalls müsse man das in den vergangenen Jahren durch gute Steuererträge aufgebaute „hohe Niveau in den Bereichen Sport, Kultur und Bürgerhäuser etc.“ anschauen und mit der Frage verbinden: „macht das noch Sinn?“, empfahl Ihrig.

„Was vor 40 Jahren sinnvoll war, droht intransparent zu werden“

Was, wie beispielsweise die Stadttochter MEGB, „vor 40 Jahren sinnvoll war“, drohe intransparent zu werden und berge die Gefahr, dass sich eine solche Gesellschaft verselbständige. Auch das gelte es sehr genau anzuschauen.

Das Zahlenwerk des Nachtragsetats 2024 beleuchtete Christian Petersohn anhand des kommunalen Auswertungssystems Hessen (kash). Dieses Programm dient der Darstellung der finanziellen Leistungsfähigkeit von Kommunen und liefert damit Basiswerte zur Haushaltsgenehmigung. Es versteht sich damit von selbst, dass zu Beginn eines Haushaltsjahres lediglich Plandaten zugrunde liegen können.

„Im vergangenen Jahr ist die Ampel auf rot gesprungen“

Während im Rückblick Bensheim in den vergangenen zehn Jahren im Ergebnishaushalt (vergleichbar mit einer Gewinn- und Verlustrechnung) stets ein besseres Ergebnis als geplant durch höhere Gewerbesteuereinnahmen erzielte, sei im vergangenen Jahr „die Ampel auf rot gesprungen“,

Selbst die im Finanzhaushalt durch regelmäßige Überschüsse gebildeten Rücklagen von gut 20 Millionen Euro reichen nicht aus um das Defizit zu kompensieren. Und auch für die kommenden Jahre sieht Petersohn keinen Lichtschimmer am Bensheimer Finanzhorizont.

Mindestens bis 2027 werde das Defizit jährlich im zweistelligen Millionenbereich weiter anwachsen, sodass die Mindereinnahmen dann auf 85 Millionen anwachsen, prognostizierte der Experte.

Erforderliche Liquiditätskredite müssen zusätzlich erwirtschaftet werden

Klar sei auch, dass es für diesen Zeitraum der Liquiditätskredite bedürfe. Bei einem Zinssatz von 3% für diese Kredite wären das beispielsweise alleine rund 60 Hebesatzpunkte mehr bei der Grundsteuer B.

Alleine deshalb sei es wichtig, den Konsolidierungszeitraum zu begrenzen, um die Zinsen für Liquiditätskredite so gering wie möglich zu halten. Und auch die Tilgung dieser Kredite müsse dann ja noch irgendwie erwirtschaftet werden.

„Pro-Kopf-Verschuldung ergibt in Bensheim mit 5.935 Euro ein dramatisches Bild“

Alleine die derzeitige Pro-Kopf-Verschuldung liegt in Bensheim mit 5.935 Euro in der landesweiten Spitzengruppe, ergebe „ein dramatisches Bild“ und wird lediglich in Neu-Isenburg mit knapp 6.100 Euro noch übertroffen.

Wie jede Medaille hat auch die aktuelle Bensheimer Finanzmisere eine zweite Seite: war die Stadt ob ihrer seitherigen guten Gewerbesteuererträge lange Jahre zahlendes „Mitglied“ der kommunalen hessischen Familie, so stehen der Stadt jetzt eben aus diesem Topf 10 Millionen Euro zu.

Knapp die Hälfte des städtischen Personals geht in den nächsten Jahren in Ruhestand

Demgegenüber werde aufgrund der demografischen Entwicklung mit einer deutlich höheren Alterstruktu der Steueranstieg geringer. Auch gehe knapp die Hälfte der städtischen Mitarbeiter in den nächsten Jahren in Ruhestand.

Das werfe unwillkürlich die Frage auf, welche Leistungen man mit welchem Personal noch aufrecht erhalten kann. Auch sei zu klären, welches Personal man vor Ort halten könne, denn aufgrund des Arbeitskräfte-Rückgangs werde zwangsläufig jede Personalstelle teuerer.

Personal nicht gegenseitig streitig machen

Um sich auf kommunaler Ebene nicht gegenseitig Personal streitig zu machen und voneinander abzuwerben sollte wie erwähnt die interkommunale Arbeit intensiviert werden. Und auch die Gebührensatzungen sollten regelmäßig auf Kostendeckung überprüft und ggf. entsprechend fortgeschrieben werden.

Daneben könne auch die Spielapparatesteuer von derzeit 20 Prozent um rechtlich mögliche weitere fünf Prozentpunkte angehoben werden, wie auch die Einführung einer Zweitwohnsitzsteuer ein probates Mittel zur Einkommenssteigerung sei.

Auch Gewerbesteuer kann schadlos um 10 Punkte angehoben werden

Selbst die Gewerbesteuer könne schadlos um weitere 10 Punkte auf dann 400 Hebesatzpunkte angehoben werden, weil die Punkte bis 400 Prozent die entsprechende Einkommensteuer in voller Höhe mindert, wie Christian Petersohn deutlich machte.

Am Ende helfe jeder dieser Konsolidierungsvorschläge den Grundsteuerhebesatz zu drücken. Dabei sei es hilfreich bei der Abwägung über den Hebesatz Preisschilder einzusetzen, um so jede einzelne Leistung entsprechend ihrer Verursachung von Hebesatzpunkten zu bewerten.

Aktuelle freiwillige Leistungen entsprechen zusammen 838 Grundsteuer-B-Hebesatz-Punkten

So lasse sich jede einzelne freiwillige Leistung – diese entsprechen derzeit in ihrer Gesamtheit rund 838 Punkte beim Grundsteuer-B-Hebesatz – im Sinne der Allgemeinheit auf deren Erfordernis überprüfen und ggf. zu streichen, um eine geringere Grundsteuer zu erzielen.

Eingangs der Informationsveranstaltung hatte Volker Mosler berichtet, dass die aufgezeigten Handlungsempfehlungen lediglich Impulse und Orientierungshilfen seien, an denen sich Politik und Verwaltung orientieren können. „Wir sind keine Aufsicht“, betonte er.

Auch seien die aktuellen Finanzprobleme der Stadt keineswegs alleine Benzheim-spezifisch, vielmehr befänden sich derzeit zahlreiche Kommunen in ähnlicher Lage, wenngleich Bensheim da schon ein „extremer Sonderfall“ sei.

Ob zweifelhaftem „Glück“ ist Bensheim terminlich bevorzugt worden

Ob dieses zweifelhaften „Glücks“ sei Bensheim trotz eines bis August vollgepackten Terminkalenders der Hessischen Kommunalberatung quasi „vorgezogen“ worden.

Bürgermeisterin Christine Klein dankte für zahlreiche Anregungen und Vorschläge aus der Stadtbevölkerung und insbesondere dem Bürgernetzwerk, das sich vorbildlich in den erforderlichen Konsolidierungsprozess einbringe. Teilweise würden diese Vorschläge bereits vertiefend beraten, sagte die Rathauschefin.

Bensheim kann sich aus der MEGB-Gesellschaftereinlage teilweise sanieren

Besondere Beachtung fand in der anschließenden Fragerunde ein Vorschlag von Ralf Vesper. Der dem Bürgernetzwerk angehörende Bensheimer Steuerberater machte den Vorschlag, die von der Stadt im Jahr 2005 bei ihrer Tochter um 12,5 Millionen Euro erhöhte Gesellschaftereinlage zurückzufordern. Dieser Aspekt habe ihm unter den Vorschlägen gefehlt.

„Die MEGB trägt ein Schatz in sich“, sagte Vesper und erläuterte, die Stadttochter habe liquide Mittel von knapp 15 Millionen Euro erwirtschaftet, wovon locker 13,5 Millionen steuerfrei an die Stadt als Muttergesellschaft ausschüttbar wären.

„Jede weitere Million in der Stadtkasse mindert Grundsteuer B um 60 Punkte“

Jede Million, die der Stadt zufließe, würde etwa 60 Hebesatzpunkte der Grundsteuer B mindern, sagte Vesper. Dem entgegnete der Leiter der städtischen Finanzabteilung Stephan Schneider: „So einfach ist das nicht“, das Geld sei „gebunden“.

Das wollte Vesper freilich so nicht stehen lassen und wiederholte seine Forderung nach intensiver Überprüfung, denn es falle hierbei keine Kapitalertragssteuer an, wie er noch einmal besonders deutlich machte.

Etwa 1.000 Hebesatzpunkte sollen es bei der Grundsteuer B werden

Bürgermeisterin Christine Klein, sieht ungeachtet dieses „ungehobenen Schatzes“ die Grundsteuer B bei den bevorstehenden Haushaltsberatungen des Stadtparlaments auf 1.000 Hebesatzpunkte zusteuern.

Im Haushaltsentwurf 2025 seien 250.000 Euro für eine ausführliche externe Analyse der Arbeitsprozesse im Rathaus eingestellt. Nur so könne man die Effizienz der geleisteten Arbeit bewerten und ggf. personell nach unten wie auch nach oben gegensteuern, sagte die Rathauschefin.