Haus am Markt: „Das Filetstück ist so abgehangen, dass es stinkt“
Bensheimer Regierungskoalition fällt Beschlüsse teilweise gegen die eigene Überzeugung zur Erfüllung des Koalitionsvertrags: Neue Pläne zum >Haus am Markt< mit einfacher Mehrheit „begrüßt“, Neubaugebiet in der Südstadt abgelehntBENSHEIM. - Koalitionsvertrag, nicht sachorientierte Entscheidung – so lautete die wichtigste Orientierungshilfe des regierenden Dreierbündnisses in der jüngsten Sitzung der Bensheimer Stadtverordneten zu den beiden wichtigsten Tagesordnungspunkten.
CDU-Sprecherin Petra Jackstein machte es mehr als deutlich: „Der Antrag der SPD geht in die richtige Richtung. Wir würden gerne eine Antragsänderung prüfen, halten uns aber an den Koalitionsvertrag und lehnen diesen Antrag zum jetzigen Zeitpunkt ab.“
SPD-Antrag für Baugebiet in der Südstadt abglehnt
Zu befinden hatte das Parlament dabei über das Ansinnen der Sozialdemokraten, ein Wohnbaugebiet in der Südstadt zu planen. Dieser äußerst kontrovers diskutierte Antrag wurde schlussendlich bei 8 Befürwortern und einer Enthaltung mit 29 Nein-Stimmen zurückgewiesen.
Noch deutlicher wurden die Aussagen im verbalen Schlagabtausch zum Tagesordnungspunkt >Haus am Markt<. „Diese Angelegenheit reiht sich nahtlos in eine Reihe von Projekten ein, die wir seit Jahren kennen“, befand FDP-Fraktionschef Holger Steinert in Richtung CDU- und GLB-Fraktion.
„Wo waren Ihre Lösungen in den vergangenen 18 Jahren?“
Gemeint war das städtische „Filetstück“ >Haus am Markt<, dessen Abriss und Neubau nach neuesten Plänen 6,8 Millionen Euro kosten soll (FACT berichtete mehrfach, siehe: www.de-fakt.de/bundesland/hessen/kreis-bergstrasse/details/?tx_ttnews).
„Dieses Filetstück ist so abgehangen, dass es stinkt“, wurde Steinert deutlich. „Wo waren Ihre Lösungen in den vergangenen 18 Jahren?“, fragte der Liberale die Verantwortungsträger die verantwortlichen Fraktionen, und bezeichnete das aktuelle Projekt als „Geldverschwendung“.
Seit 1996 sei hier nichts passiert und die aktuelle Planung sei ebenfalls zum Scheitern verurteilt. „Ich prophezeie: Das >Cafe Extrablatt< wird nicht lange bleiben.“ Die monatlichen Mietkosten für den künftigen Hauptmieter „mit mehr als 8.000 Euro setzen ein Minimum von 70.000 Euro Umsatz voraus – ohne Verdienst“, begründete Steinert seine Vorhersage.
„Premiere, dass uns die Aufsicht den Haushalt um die Ohren haut, der Kämmerer übt noch“
„Ich bin mir nicht sicher, ob sich die Betreiber im Klaren sind, was sie sich da antun.“ Vor dem Hintergrund des städtischen Schuldenstands von gut 58 Millionen Euro sei ein solches Projekt unverantwortlich.
„Es ist eine Premiere, dass uns die Aufsicht unseren Haushalt aktuell um die Ohren haut. Da übt der Kämmerer noch“, kritisierte Steinert in diesem Zusammenhang auch die Arbeit von Finanzdezernent Adil Oyan (GLB).
Er nehme Wetten an, dass die aktuelle Kostenberechnung von 6,8 Millionen Euro für das Projekt >Haus am Markt< „noch nicht das Ende der Fahnenstange ist“.
„Jetzt reißen Sie das Tafelsilber ab, das ist eine ganz schlechte Idee“
Aber die Stadt sei noch nie ein guter Unternehmer gewesen und werde es wohl auch nicht mehr. „In der freien Wirtschaft ist das wesentlich problematischer, dort sind Sie entweder pleite oder auf der Flucht“, rief Steinert den Verantwortungsträgern zu. „Jetzt reißen Sie das Tafelsilber ab, das ist eine ganz schlechte Idee.“
Weil man aufgrund der Übertragung des Projekts auf die Stadttochter Marketing-und Entwicklungsgesellschaft mbH (MEGB) keinen ausdrücklichen Einfluss mehr nehmen könne. „Sind wir Herrscher des Verfahrens oder nicht?“, stellte der FDP-Fraktionschef die rhetorische Frage.
„Und wenn nicht, dann will ich die 12,5 Millionen Euro zurück haben, mit denen wir der MEGB vor Jahren zum Liquiditätsausgleich verholfen haben“, forderte er eine klare und einheitliche Linie.
„Wie blöd ist das denn?“
Die ursprüngliche Planung mit der Ansiedlung von H&M im >Haus am Markt< „ist verschlimmbessert worden. Sie wollen nicht sanieren, das ist der Punkt“, der sich am Koalitionsvertrag orientiere. „Es ist mir ein Rätsel, wie man so ein Ding an die Wand fahren kann“, sinnierte der Freidemokrat.
„Unser Versuch ist, das Ganze zu stoppen und intensiv nachzudenken, ob das der richtige Weg ist“, animierte Steinert noch einmal zur Umkehr und kritisierte den Beschlussvorschlag: „Sie beschließen, dass Sie etwas begrüßen. Wie blöd ist das denn? Sie könnten es eigentlich besser. Dann machen Sie's halt!“
„Eine bessere Alternative haben wir nicht“
Für die CDU-Fraktion erachtete Markus Woißyk „das Gesamtkonzept stimmig. Wir werden die Punkte beschließen, die zu beschließen sind.“ Er begrüßte ausdrücklich, dass der Marktplatz mit diesem Projekt „attraktiver und belebt“ werde.
Den künftigen Hauptmieter >Cafe Extrablatt< lobte der CDU-Fraktionschef: „Wer selbst eine siebenstellige Summe für den Innenausbau in die Hand nimmt, weiß, was er tut und wo er investiert.“
Doris Sterzelmaier, Fraktionsvorsitzende der Grünen Liste Bensheim (GLB) hat das Gesamtkonzept im Blick. Dazu sei das Projekt Haus am Markt „ein richtiger, aber auch nur ein Teil des Gesamtkonzepts“.
Viele Schritte seien noch nötig in diesem laufenden Prozess. „Eine bessere Alternative haben wir nicht“, sagte die GLB-Sprecherin, und lobte die Deckelung der städtischen Zuschüsse an die Tochter MEGB auf 60.000 Euro jährlich.
„Seit 1953 unpassende Kirchenfassade“
„Das aktuelle zentrale Gebäude des >Hauses am Markt< ist eine Fehlplanung und nicht zukunftsfähig“, übte Norbert Koller (Bürger für Bensheim, BfB) heftige Kritik an den früheren Baumeistern. „Ein >weiter so< bedeutet sinnlose Zeitverschwendung“, ließ Koller keinen Zweifel am Abstimmungsverhalten seiner Fraktion.
Gleichwohl sieht auch er ein noch zu erarbeitendes städtebauliches Gesamtkonzept als unerlässlich. In jedem Fall sei es ebenso richtig wie wichtig, dass auch künftig die seit 1953 unpassende Kirchenfassade zum Marktplatz hin abgegrenzt werde.
Von Steuerverschwendung könne hier keine Rede sein, sagte Koller. „Eine Kommune kann kein reines Wirtschaftsunternehmen sein.“ Hier sei ein Lernprozess wünschenswert: „Bürgerwillen lebt von Bürgerengagement.“
FDP, FWG und AfD stellen Änderungsantrag
Einen gemeinsamen Änderungsantrag mit dem Ziel, die Planungen noch einmal genau unter die Lupe zu nehmen und die finale Entscheidung bis dahin zurückzustellen, stellten die oppositionellen Fraktionen von FDP und AfD sowie der Abgeordnete der FWG, Dr. Rolf Tiemann, um den 6,8-Millioneninvest mindestens noch genau zu prüfen und gegebenenfalls zurückzunehmen.
Dr. Erwin Schuster (AfD) trug das Ansinnen der drei Oppositionsparteien vor und wollte zumindest einen Aufschub erwirken „bis die Dinge geklärt sind“.
„Nicht überzeugend“, nannte Dr. Rolf Tiemann den vorliegenden Antrag des Regierungsbündnisses aus CDU, GLB und BfB. „Wir sollten zumindest die Antworten abwarten, ob das Projekt genehmigungsfähig ist“, warnte er vor einem Schnellschuss.
SPD: „Eingeschossiges Haus, anstelle eines Protzbaus“
Christiane Lux rief für die SPD-Fraktion Vergessenes in Erinnerung: „Wir wurden mit Spott und Hohn bedacht, als wir bei der früheren Abstimmung vor dem zu großen Projekt warnten. Wir akzeptieren nach wie vor eine Niederlegung des Hauses, finden aber einen städtebaulichentotal Wettbewerb unerlässlich.“
Von der aktuell vorliegenden Planung seien die Sozialdemokraten nicht überzeugt. Den Abschluss des Marktplatzes nach Osten könne ebenso gut ein „eingeschossiges Haus bilden, anstelle eines Protzbaus, der den Blick auf St. Georg total zubaut“.
„ >Haus am Markt< ist eine Totgeburt“
„Setzt Euch zusammen, um eine Lösung zu finden“, rief Rolf Kahnt (AfD) den Parlamentsmitgliedern zu. „Für ein protziges Prestigeprojekt geht die Stadt ohne Not ein unternehmerisches Risiko ein. Bauen Sie vielmehr nun endlich Schulden ab, Sie haben genügend davon!“
„Eine Totgeburt“ nannte Tobias Fischer (FDP) das Neubauprojekt >Haus am Markt<, das mit seinem derzeitigen Mieterkonzept „keine Zukunft“ habe.
Einfache Mehrheit für das 6,8-Millionen-Projekt
„Dem kritischen Diskurs widersetzt sich niemand“, wehrte sich Erster Stadtrat und Baudezernent Helmut Sachwitz. „Wir haben das Gebäude in den vergangenen Jahren nicht vergammeln lassen, vielmehr nach adäquaten Mietverhältnissen gesucht, sind damit aber gescheitert“, sagte der Stellvertreter des Bürgermeisters.
Abgelehnt wurde der Änderungsantrag von FDP, AfD und FWG bei 8 Ja-Stimmen und drei Enthaltungen mit 27 Stimmen. Zum Votum über den Antrag des Dreierbündnisses aus CDU, GLB und BfB beantragte die FDP namentliche Abstimmung.
Mit der einfachen Mehrheit von 22 Stimmen bei einer Enthaltung und 15 Gegenstimmen wurde dem Antrag des Regierungsbündnisses pro 6,8-Millionen-Projekt schlussendlich stattgegeben.
Festgeschrieben wurde so, dass dem Hochbauentwurf für den Neubau zustimmt, und die aktuelle Kostenschätzung in Höhe von 6,8 Millionen Euro sowie die angestrebte „schwarze Null“ bei der Wirtschaftlichkeitsberechnung des Gesamtprojekts „begrüßt“ wird.
Die städtische Anmietung der öffentlichen Toilettenanlage und die anteilige 50%-Nutzung des Mehrzwecksaals mit den Mietern wird befürwortet. Festgelegt wurde darüber hinaus noch einmal, dass der Verlustausgleich an die MEGB-Tochter bei maximal 60 000 Euro liegen darf.