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LESERBRIEF: Bar jeder Vernunft und gegen die eigene Ăśberzeugung

Projekt des Unmuts: Der geplante Neubau des >Haus am Markt< in Bensheim.

„Der Kopf ist rund, damit das Denken die Richtung wechseln kann“: Stefan Koch appelliert an die MandatsträgerInnen der Grünen Liste Bensheim beim Neubau des Hauses am Markt Vernunft walten zu lassen

Liebe GrĂĽne, lieber GrĂĽne, liebes GrĂĽnes,
liebe MandatsträgerInnen der Grünen Liste Bensheim,

ich bin ein Sympathisant der „Vereinigung der mutigen Bürgerinnen und Bürger“, und unterstütze die Forderung, auf den Abriss und den Neubau des Hauses am Marktplatz zu verzichten. Die völlig berechtigte Empörung „dieser Mutigen und Aufrechten“ lässt sich übertragen auf so viele Projekte in Südhessen und darüber hinaus.

In meiner Heimatgemeinde in Seeheim-Jugenheim kann das mittlerweile doch sehr dezimierte Wahlvolk (oder auch Stimmvieh) beispielsweise einen Vorgang rund um die marode Sport- und Kulturhalle beobachten.

Der politische Umgang mit diesem Thema weist ähnlich haarsträubende Fehler, galoppierende Kalkulationen, eigenmächtige Vorgehensweisen und unlautere Kungeleien auf.

Im Bund nehme ich Sie als moralisierende Partei wahr, die sich zunehmend in der Diktion vergreift. Moral und Anstand – an sich nicht zu diskutieren, und dennoch handeln einige Ihrer Mandatsträger hier in Bensheim wider besseren Wissens gegen diese Prinzipien.

Bar jeder Vernunft und gegen die eigene Überzeugung. Das sagen diese Personen schamhaft selbst. Und warum? „Fraktionszwang“ lautet das böse Wort.

Zugegeben, in Bensheim kenne ich Sie nicht besonders gut. Ich habe mir daher auf einer Spurensuche zunächst einmal ihre Koalitionsvereinbarung angesehen und darf zitieren:

„Eine Nettoneuverschuldung wird ausgeschlossen. Die Vorhaben dieser Koalitionsvereinbarungen stehen unter Finanzierungsvorbehalt. Für zusätzliche Ausgaben ist die Finanzierung sicherzustellen. Keine selbstgestaltete Erhöhung der Grundsteuer.“

Ich frage Sie, wie soll das mit dem völlig unausgegorenen Abriss und Neubau des Hauses am Markt gehen?

Weiter heiĂźt es:

„Der Neubau des Hauses am Markt wird umgesetzt: Neubau durch die Stadt oder die MEGB in einem wirtschaftlich tragfähigen Konzept.“

Ich frage Sie, wie sieht dieses angesichts horrender Kostensteigerungen bei bewusster Inkaufnahme erheblicher Unwägbarkeiten und Risiken aus? Können Sie der interessierten Öffentlichkeit ein solides Finanzierungskonzept für die nächsten 20, besser 30 Jahre, präsentieren bzw. wie sieht dieses aus?

Oder:

„Bestandteile sind die langfristige Nutzung durch einen Mieter für EG/UG (H&M), ein Café und die öffentliche Toilettenanlage.“

Ich frage Sie: Reden wir hier nicht mehr von einem Wegfall der Grundlagen („H&M“ als Ankermieter), die einst für diese Forderung gestanden haben?

Wie sehen die Absichtserklärungen und Vereinbarungen (Öffnungsklauseln) mit dem aktuellen Mietinteressenten „Café Extrablatt“ aus? Und haben wir nicht genug Cafés in der Innenstadt?

Da passt es, dass zu allerletzt die „Erstellung eines Konzeptes für die künftige Nutzung des Platzes und der angrenzenden Gebäude“ genannt wird. Überflüssig zu erwähnen, dass eine solche konzeptionelle Überlegung an den Anfang gehört und hier bislang komplett versäumt wurde.

Wolfgang Kubicki schreibt aktuell in einem interessanten Gastbeitrag fĂĽr den Focus das Folgende. Es passt sowohl auf Sie als auch auf den Stadtverband des Herrn Richter:

„Es ist hier eine Denkweise am Werk, die die eigene Position als unfehlbar definiert. Kritik – in welcher Form auch immer – wird folglich als Majestätsbeleidigung empfunden. Der Glaube an die eigene Weltbestimmung ist so groß, dass Argumente nicht mehr durchgreifen.

Es war die größte Errungenschaft von Vordenkern wie Immanuel Kant, dass die Kritik der reinen Vernunft religiöse Erklärungsmuster infrage gestellt hat. Dahinter scheinen manche heute wieder zurückgefallen zu sein.

Der Glaube ist für Grünbewegte (Anmerkung des Verfassers: … und vorliegend auch Schwarzbewegte) wieder zum zentralen Ankerpunkt geworden. Ob das der Höhepunkt des zivilisatorischen Fortschrittes ist, darf man getrost bezweifeln.“

In Anlehnung an Francis Picabia stelle ich hierzu lapidar fest: Der Kopf ist rund, damit das Denken die Richtung wechseln kann. Sie sind in Teilen auf einem gar nicht so schlechten Weg. Gehen Sie ihn auch zu Ende! „Walk the talk“, wie der Engländer sagt.

Stefan Koch
64342 Seeheim-Jugenheim