„Demokratiefernes Vorgehen der städtischen Entscheider“
Bürgerinitiative beruft sich auf klare Positionierung des Hessischen Innenministeriums und fordert weiter die Fristverlängerung zum Erreichen des QuorumsBENSHEIM. - Die Bürgerinitiative (BI) >Bensheimer Marktplatz besser beleben< sieht sich gestärkt in ihrem Bemühen um basisdemokratische Entscheidungsprozesse erreichen zu können und dazu die noch erforderlichen Unterschriften für ihr Bürgerbegehren zu erhalten.
Ein Schreiben aus der juristischen Abteilung des Hessischen Innenministeriums an den Magistrat der Stadt Bensheim vom 22. April stützt diese Zuversicht.
Forderung nach Beachtung aller im Bürgerdialog aufgezeigten Lösungsansätze
„Wir fordern nicht mehr und nicht weniger als die Beachtung aller im Bürgerdialog aufgezeigten Lösungsansätze. Und das ohne Beharren auf einer bestimmten Option“, sagt Gundula Bunge-Glenz, eine der Vertrauenspersonen der BI.
Die vom Bürgernetzwerk in dessen Schlussbericht zum Bürgerforum aufgezeigte Empfehlung der im Netzwerk tätigen Architektengruppe an die städtischen Entscheidungsgremien lautet eindeutig:
„Der Auslobungstext sollte Aussagen zu allen drei diskutierten Handlungsoptionen enthalten: keine Bebauung; 1-geschossiges Gebäude; 2-geschossiges Gebäude; mit Bewertung von Vor- und Nachteilen, Begründung des favorisierten Lösungswegs und Nutzungskonzept mit Raumprogramm.“
In einem weiteren Passus ist festgehalten: „Zudem muss der Ideenteil des Wettbewerbes so breit gefasst werden, dass sich möglichst alle berücksichtigt fühlen - auch diejenigen, die für kein Haus am Markt 2.0 sind und dies entsprechend artikuliert haben.“
Willkürlich eingeschossige Gebäudevariante herausgegriffen
Der von Bürgermeister Rolf Richter und den Mandatsträgern ausgerufene Beteiligungsprozess der Bürgerinnen und Bürger sei doch nur dann ein ernst zu nehmender Prozess, wenn das Ergebnis eines solchen Dialogs auch insgesamt Eingang in die städtische Entscheidungen finde.
„Genau das aber, ist im vorliegenden Fall nicht geschehen. Aus den drei Empfehlungen im Schlussbericht des Bürgernetzwerks wurde von der Stadtverwaltung willkürlich die eingeschossige Gebäudevariante herausgegriffen und als fixer Eckpunkt in einen Gestaltungswettbewerb übernommen.
Die beiden anderen empfohlenen Optionen wurden dabei komplett ignoriert. Eine solche Vorgehensweise widerspricht unserem Demokratieverständnis, das von städtischer Seite mit dem 150 Tage dauernden Beteiligungsprozess vorgegeben wurde.
Alleine die Netzwerk-Empfehlungen schließen einen städtebaulichen Gestaltungswettbewerb aus und lassen nur einen Ideenwettbewerb zu, der zur besten Lösung für den >Marktplatz der Zukunft< führen wird, wie mehrere befragte Städteplaner unisono erklären“, zeigen die BI-Vertreter auf.
„Ideenwettbewerb auf Gestaltungswettbewerb reduziert“
Tatsächlich ist aber nur die Variante >1-geschossiges Gebäude< in das Eckpunktepapier der Stadtverwaltung als Vorlage für die Stadtverordnetenversammlung eingeflossen.
Damit sei der erforderliche städtebauliche Ideenwettbewerb auf einen reinen Gestaltungswettbewerb mit entsprechend definiertem Gebäude sowie einen Ideenwettbewerb für das weitere Marktplatzareal reduziert worden.
Dieses Vorgehen widerspreche auch den von Bürgermeister Rolf Richter zu Beginn des Bürgerdialogs zugesagten Regeln, als der Rathauschef verkündete: „Grundsätzlich gibt es jetzt keine Einschränkungen für den Prozess und für die Frage welche Ideen Sie haben für unseren Marktplatz.“
„Ergebnisse des Dialogs willkürlich eigenen Wünschen und Bedürfnissen unterordnet“
Die Entscheidungshoheit über das weitere Vorgehen dieses mit dem höchst umstrittenen Abriss des Hauses am Markt begonnenen Projekts liege selbstverständlich bei den städtischen Gremien, ist sich die BI im Klaren.
„Wenn man aber die Bürger schon beteiligt, und dann die Ergebnisse dieses Dialogs willkürlich den eigenen Wünschen und Bedürfnissen unterordnet und uminterpretiert, dann wird die gute Arbeit des Bürgernetzwerks völlig zunichte gemacht“, befindet die BI.
Die derzeitig so manifestierte Haltung einiger Parlamentsfraktionen sowie des Bensheimer Magistrats mit Bürgermeister Rolf Richter an der Spitze entspreche „einem demokratiefernen Vorgehen“.
Schreiben des Innenministeriums völlig missachtet
Unter völliger Missachtung des Schreibens aus dem Innenministerium vom 22.04.2020, in dem die rechtlichen Positionen mehr als deutlich samt Begründung aufgezeigt werden, widersetze man sich aktuell noch mehrheitlich dieser Empfehlung.
Bürgermeister Rolf Richter, selbst Volljurist, kündigte als Chef des Bensheimer Magistrats bereits am 23. April die rechtliche Prüfung der Empfehlung des Innenministeriums an.
Dabei seien die Aussagen und Hinweise des Innenministeriums als oberste Aufsichtsbehörde der Stadt eindeutig: „ ... äußern Sie sich bitte auch zur Frage, ob die Stadt Bensheim im Falle eines Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 32 Hessisches Verwaltungsverfahrensgesetz eventuell bereit wäre, der Bürgerbegehrens-Initiative die 8-Wochen-Frist wegen des Auftretens des Corona-Virus und der dadurch ausgelösten Beschränkung der sozialen Kontakte ….. um insgesamt 18 (bzw. 20) Tage zu verlängern.
Fristbeginn für den Verlängerungszeitraum wäre der Tag, an dem die weitgehende Kontaktsperre in der dritten Verordnung zur Bekämpfung des Corona-Virus wieder aufgehoben werden wird.“
Innenministerium zeigte dem Magistrat die rechtliche Situation klar auf
Auch dann, wenn ein einzelner Bürger einen behördlichen Verwaltungsakt mit einem Widerspruch anfechten wolle, könne er bei Versäumung der Jahresfrist (bei fehlender oder unrichtiger Rechtsbehelfsbelehrung) infolge höherer Gewalt einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand stellen (§§ 58, Abs. 2, Satz 2 und 60, Abs. 2 VwGO).
Auch im Zivilrecht könne sich derjenige, der sich gegen einen anderen mit der Einrede der Verjährung wehren wolle, auf eine Hemmung der Verjährungsfrist berufen, wenn er durch höhere Gewalt an der Rechtsverfolgung gehindert worden sei (§§ 206, 209 BGB), zeigte das Ministerium dem Magistrat die rechtliche Situation klar auf.
„Letzten Endes obliegt es aber natürlich der eigenen Einschätzung der Gemeinde, ob sie zu einem solchen Nachgeben bereit ist, oder aber eine strikt ablehnende Haltung einnimmt. Kommt es dann aber zu einem verwaltungsgerichtlichen Eilverfahren kann da weitere Marktplatz-Umgestaltungsverfahren eventuell um einen deutlich längeren Zeitraum aufgehalten werden“, heißt es abschließend in dem Schreiben des Innenministeriums an den Bensheimer Magistrat.
BI akquirierte krisenbedingt schon seit dem 18. März keine Unterschriften mehr
Die BI hatte bekanntlich „aus gesamtgesellschaftlicher Verantwortung während der aktuellen Corona-Krise“ bereits seit Mittwoch, 18. März, keine direkten Bürgeransprachen zur Unterstützung ihres Anliegens mehr vorgenommen.
Bereits zwei Wochen zuvor waren diese Aktionen krisenbedingt schon deutlich eingeschränkt gewesen. Seit Samstag, 21. März, bestand zunächst ein Verbot von Veranstaltungen mit mehr als fünf Personen und seit Montag, 23. März, besteht eine generelle Kontaktsperre, sodass mindestens seit diesem Zeitpunkt keine Unterschriften mehr in direkter Ansprache akquiriert werden konnten.
„Würden bei Fristverlängerung die erforderliche Zahl der Unterschriften erreichen“
Somit wäre die Frist zur Unterschriftensammlung für die BI, deren ursprüngliche Frist am 9. April abgelaufen ist, um 20, mindestens aber um 18 Tage zu verlängern. „Dann würden wir angesichts der bisher guten Resonanz durch viele Unterstützer die zum Quorum erforderliche Zahl der Unterschriften erreichen“, sind sich die BI-Vertrauensleute sicher.
„Während der Magistrat mit Jurist Rolf Richter an der Spitze, die Empfehlung der obersten Aufsichtsbehörde dieses Gremiums also jetzt schon einer zweiwöchigen rechtlichen Prüfung unterzieht, hegen wir unsererseits keinerlei Zweifel an der vom Innenministerium dargelegten und rechtlich begründeten Sachlage unseres berechtigten Anliegens und bedürfen dazu zumindest keiner weiteren rechtlichen Vorprüfung“, positioniert sich die BI abschließend.