Kommentar: Das höchste politische Ehrenamt der Stadt Bensheim beschädigt
Die Stadt Bensheim ehrte im Nachgang zur Kommunalwahl und zum Auftakt der neuen Legislatur elf Mandatsträger, die sich über 20 oder mehr Jahre um die Stadt Bensheim verdient gemacht haben. Dazu zählt auch Carmelo Torre. Eigentlich.
Die Einschränkung basiert auf dem melderechtlichen Verstoß und der klaren Regelung in der Hessischen Gemeindeordnung (HGO), die der Torre-Auszeichnung >Ehrenstadtverordneter< diametral entgegen stehen.
Seit 2001, und damit seit 20 Jahren war Torre bis einschließlich März dieses Jahres Mitglied in der CDU-Stadtverordneten-Fraktion. Dass er über Parteigrenzen hinweg ein ebenso bestimmendes wie verbindendes Element dieser Fraktion war, steht außer Frage.
Uneingeschränkte Zustimmung auch zur Aussage des CDU-Fraktionschefs Tobias Heinz, der rhetorisch fragte >Wer, wenn nicht er hätte diese Auszeichnung verdient?< Allerdings muss ergänzt werden: wenn er das Amt rechtmäßig begleitet hätte!
Seit mehr als 13 Jahren in Rodau wohnhaft
Und genau darin liegt die Crux. Carmelo Torre hatte schon vor Ende seiner zweiten Legislatur im Bensheimer Parlament das von ihm erbaute Haus im Zwingenberger Stadtteil Rodau bezogen. Gemeinsam mit seiner Familie wohnt er folglich seit mehr als 13 Jahren dort.
Seinen Wohnsitz im Bensheimer Haus seiner Eltern hatte er jedoch offiziell „beibehalten“ und diesen als Hauptwohnsitz weitergeführt, obwohl er hier nur gelegentlich bei seiner Mutter zu Besuch weilte.
Neben dem seit vielen Jahren fortgesetzten melderechtlichen Vergehen, das mit einem Bußgeld in nicht unerheblicher Höhe belegt ist, schaffte er sich die Voraussetzung zur Mitarbeit in der Bensheimer Stadtverordnetenversammlung.
Hildegard Kaplan-Reiterer beispielgebend
Korrektes Verhalten wäre gewesen, seinen Wohnsitz in Bensheim gemäß der Meldebestimmungen ab- und sich in Rodau anzumelden, wie dies Ende vergangenen Jahres die Ärztin Hildegard Kaplan-Reiterer beispielgebend vollzogen hat.
Die liberale Medizinerin, die weiterhin eine Praxis in Bensheim betreibt, hat sich bereits vor ihrem Wohnsitzwechsel von Bensheim nach Lorsch aus der Bensheimer FDP-Fraktion verabschiedet, und ist seit der Kommunalwahl im Lorscher Stadtparlament aktiv.
Die Fakten rund um Torres Wohnsituation waren kurz vor der Kommunalwahl im März dieses Jahres bekannt geworden. Verwaltungsrechtler sehen das Verhalten Torres – neben dem melderechtlichen Vergehen – gar als Betrug am Wähler.
Der dazu befragte Landeswahlleiter hatte noch vor der Wahl deutlich gemacht, dass Carmelo Torre zwar gewählt werden könne, ein eventuelles Mandat jedoch nicht annehmen dürfe, da er ja nicht in Bensheim wohnhaft ist. Folglich darf Torre gemäß der gesetzlichen Bestimmungen das erhaltene Mandat in der gerade begonnenen Legislatur nicht mehr ausüben.
7.051 Stimmen für Torre verbleiben bei der CDU
Mit 7.051 Wählerstimmen hatte der Christdemokrat die zweitmeisten Voten in seiner Fraktion erhalten. Diese Stimmen verblieben auch nach dem Mandatsentzug für Torre bei der CDU. Torres Mandat entfiel auf den ersten Nachrücker der CDU-Fraktion, Bernhard Stenger.
Jetzt aber wurde Carmelo Torre für sein jahrelang begangenes Meldevergehen, mit dem er sich die unredliche Basis für sein Mitwirken im Bensheimer Stadtparlament geschaffen hatte, als >Ehrenstadtverordneter< ausgezeichnet.
Man stelle sich vor, die Deutsche Verkehrswacht beabsichtige einem verdienten Bensheimer Bürger, der 20 Jahre lang ehrenamtlich für die Tafel bedürftigen Mitbürgern Lebensmittel mit dem Pkw an die Haustür geliefert hat, die Verdienstnadel in Silber für >20 Jahre unfallfreies Fahren< zu verleihen.
Kurz vor der durchaus verdienten Ehrung stellt sich allerdings heraus, dass der Auszuzeichnende mehr als die Hälfte dieser Zeit ohne Führerschein gefahren ist, weil er diesen aus nicht näher bekannten Gründen vor deutlich mehr als einem Jahrzehnt verloren und danach auch nicht wieder erlangt hatte. Ein absolutes No Go!
Ad absurdum geführt
AfD-Fraktionschef Rolf Kahnt mahnte in der Debatte um die Auszeichnung Torres „schlechten politischen Stil“ an. Dabei hatte er in seiner Funktion als Alterspräsident zu Beginn der Sitzung das Stadtverordnetenmandat als „das höchste Ehrenamt, das die Stadt zu vergeben hat“ zutreffend ausgerufen.
Mit seinem Redebeitrag pro Torre-Ehrung führte er sich selbst ad absurdum, indem er, wie auch weitere Redner, einen Gesetzesbruch eines Stadtverordneten als Basis für dessen Ehrung zur Selbstverständlichkeit erklärte.
Ein Schlag ins Gesicht aller rund 43.000 Bensheimer EinwohnerInnen, die ihrer Meldeverpflichtung ordnungsgemäß nachkommen!
Bleibt die Frage, wie die Stadtverwaltung der größten Stadt im Landkreis Bergstraße künftig Meldevergehen ahnden will, wenn im Fall Torre ein solches Vergehen über deutlich mehr als ein Jahrzehnt schlussendlich mit einer Ehrenbezeichnung sanktioniert wird. Und wo bleibt die Vorbildfunktion städtischer MandatsträgerInnen?
Zwei Vertreter der FWG erkannten die Tragweite dieser Ehrung
Im 45-köpfigen Bensheimer Stadtparlament hatten offenbar nur zwei Vertreter der FWG die Tragweite dieser Ehrung erkannt und dagegen votiert.
Fünf weitere Mandatsträgerinnen, eine der FWG und vier aus den Reihen der GRÜNEN, hatten zumindest Zweifel an der Richtigkeit der Auszeichnung und sich der Stimme enthalten.
Einen Abgeordneten der SPD plagte just zum Zeitpunkt der namentlichen Abstimmung ein menschliches Bedürfnis, sodass seine Meinung zu diesem obskuren Vorgang sein stilles Geheimnis bleiben wird.
Ein fader Beigeschmack bleibt in dieser Angelegenheit auch bezüglich der ansonsten untadeligen Neutralität der alten und neuen Parlamentsvorsteherin, bei der die völlig berechtigte Diskussion um diese Ehrung offen bekundetes Bedauern hervorrief.
Höchstes politisches Ehrenamt der Stadt Bensheim nachhaltig beschädigt
Paragraf 5, Absatz 7 der Hauptsatzung der Stadt Bensheim regelt: „die Stadt kann … die Ehrenbezeichnung ... wegen unwürdigen Verhaltens entziehen.“ Stellt sich die Frage, weshalb sie im Fall Torre überhaupt verliehen werden konnte.
Höchst bemerkenswert auch, dass zahlreiche Juristen im Bensheimer Stadtparlament die Brisanz dieser Ehrung nicht erkannten – oder nicht erkennen wollten. Politisches Taktieren sei hier ausdrücklich nicht unterstellt.
Mit dieser Ehrung für Carmelo Torre aber wurde das höchste politische Ehrenamt der Stadt Bensheim nachhaltig beschädigt.
Wie sagte doch Strafrichter Helmut Schmied bei der Urteilsverkündung im Prozeß gegen den früheren Landrat des Odenwaldkreises, Dietrich Kübler, vor dem Amtsgericht Michelstadt: „Bescheißen darf man nicht, und hier wurde beschissen!“