NEWS

Bensheim setzt ein Zeichen gegen Gewalt an Frauen

Bensheims Bürgermeisterin Christine Klein (links) hisste am Montag, 25. November, vor dem Rathaus gemeinsam mit Erster Stadträtin Nicole Rauber-Jung, Stadträtin Waltrud Ottiger, FWG-Fraktionschef Dr. Rolf Tiemann, der internen Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte Kerstin Hundsdorf und der externen Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten der Stadt, Marion Vatter, die „Orange the Word“-Fahne sowie die Fahne des Hilfstelefons Gewalt gegen Frauen. Foto: Pressedienst Bensheim

BENSHEIM. - Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache und machen betroffen. Im vergangenen Jahr wurden 938 Mädchen und Frauen Opfer eines versuchten oder vollendeten Tötungsdeliktes.

Insgesamt wurden 360 Mädchen und Frauen getötet. Damit ereignete sich in Deutschland fast jeden Tag ein Femizid. 256.276 Menschen wurden 2023 Opfer häuslicher Gewalt, davon sind 70 Prozent weiblich. Dies bedeutet ein Anstieg um 6,5 Prozent im Vergleich zum Jahr 2022.

„Das sind furchtbare Zahlen. Die Dunkelziffer ist sogar weitaus höher, viele Betroffene erstatten aus Scham und Angst keine Anzeige oder suchen sich deshalb auch keine Hilfe“, betonte Bürgermeisterin Christine Klein am Montag vor dem Rathaus.

Dort hisste sie gemeinsam mit weiteren Mitstreiterinnen und Mistreitern, darunter Erste Stadträtin Nicole Rauber-Jung, Stadträtin Waltrud Ottiger, FWG-Fraktionschef Dr. Rolf Tiemann, die interne Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte Kerstin Hundsdorf und die externe Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte der Stadt, Marion Vatter, die „Orange the Word“-Fahne sowie die Fahne des Hilfstelefons Gewalt gegen Frauen.

Das Hilfetelefon bietet Frauen unter der Nummer 116.016 rund um die Uhr kostenlose und anonyme Beratung in 19 Sprachen an. Unter dem Namen „Orange the World“ rufen die Vereinten Nationen seit 2008 zwischen dem 25. November und dem 10. Dezember zu 16 Tagen Aktivismus gegen Gewalt an Frauen und Mädchen auf.

Marion Vatter hatte wie in den vergangenen Jahren die Aktion organisiert und verdeutlichte, warum es lebenswichtig ist, Zeichen zu setzen und Öffentlichkeit herzustellen.

„Alle zwei Tage tötet ein Mann seine (Ex-)Partnerin. Jeden Tag findet ein Tötungsversuch statt. Mehr als alle vier Minuten fügt ein Mann seiner Partnerin Gewalt zu. Alle zwei Stunden erlebt eine Frau sexualisierte Gewalt durch ihren Partner. Das ist verheerend.“

Aus dem aktuellen Lagebild zu „geschlechtsspezifisch gegen Frauen gerichtete Straftaten“ des BKA geht außerdem hervor, dass mehr als 17.193 Frauen und Mädchen im vergangenen Jahr Opfer von digitaler Gewalt wurden – zum Beispiel von Cyberstalking oder anderen Straftaten, die unter anderem über soziale Medien begangen wurden. Damit stiegen die Delikte im Bereich der digitalen Gewalt um 25 Prozent.

„Straftaten gegen Frauen haben viele Facetten“, verdeutlichte Christine Klein. Gewalt gehöre leider zum Alltag von Frauen. „Und das ist nicht zu tolerieren, das ist nicht hinnehmbar. Geschlechtsspezifische Gewalt ist ein gesamtgesellschaftliches Problem.“

Auch der Kreis Bergstraße bildet hier leider keine Ausnahme. Im vergangenen Jahr gab es 1.820 registrierte Straftaten im Kontext der häuslichen Gewalt. 80 Prozent der Opfer sind Frauen. Rund ein Drittel der tatverdächtigen Männer sind zwischen 30 und 40 Jahren, so Marion Vatter.

Andrea Schilling, Mitarbeiterin im Frauenhaus Bergstraße, kennt diese Zahlen. Aber sie kennt vor allem die Gesichter und Leidensgeschichten, die sich hinter diesen Statistiken verbergen. Gewalt gegen Mädchen und Frauen sei eine der häufigsten Menschenrechtsverletzungen in Deutschland – und weltweit.

Diesen schrecklichen Zahlen stünden chronisch unterfinanzierte Hilfesysteme gegenüber. So muss der Verein Frauenhaus Bergstraße mindestens 60.000 Euro an Spenden jährlich sammeln, damit alle Angebote weiterlaufen können. Darauf wies Vorsitzende Martina Evertz bei der Fahnenhissung hin. Das sei eine Zumutung für einen ehrenamtlich tätigen Verein.

Außerdem fehlen nach der Istanbul-Konvention im Kreis Bergstraße 16 Familienplätze und in ganz Deutschland 14.000 Schutzplätze für Frauen. Ihnen wird dadurch Schutz verwehrt, den sie dringend brauchen.

„Wir müssen leider vielen Frauen absagen, die zu uns kommen“, bedauerten Martina Evertz und Andrea Schilling. Was außerdem im Kreis fehle: Ein Angebot für Männer, die Gewalt erfahren oder ausüben.

Die Teilnehmenden an der Aktion vor dem Rathaus waren sich einig: Es gibt noch viel zu tun, auch wenn bereits einiges erreicht werden konnte.

Der 2002 ins Leben gerufene Arbeitskreis gegen häusliche Gewalt hat auch in diesem Jahr mit vielen Aktionen Aufmerksamkeit erzeugt und Öffentlichkeit hergestellt. Sei es mit der bekannten Brötchentütenaktion oder – neu in diesem Jahr – mit „Rocking for Respect“ in der Kutsch in Lindenfels.

Die Party für ein gewaltfreies und sicheres Leben wurde von verschiedenen Akteurinnen organisiert. Neben dem Arbeitskreis waren das die Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten des Kreises Bergstraße , das Frauenhaus und das Antidiskriminierungsnetzwerk Südhessen beteiligt.

„Eine tolle Veranstaltung, mit der wir unsere Botschaft auch in einem anderen Rahmen und an weitere Zielgruppen verbreiten konnten“, bilanzierte Marion Vatter.

Am Aktionstag zeigte der Luxor-Filmpalast außerdem auf Einladung des Frauenbüros Bensheim den Film „Mustang“. Finanziert wurde die gut besuchte Vorführung mit einem Teil des Preisgelds aus dem bundesweiten Projekt „Frauen fest im Sattel“, an dem Marion Vatter mit dem von ihr initiierten Fahrradkurs für Frauen erfolgreich teilgenommen hatte.

Bürgermeisterin Christine Klein bedankte sich am Montag abschließend bei allen, die sich engagieren und die Aktionen unterstützen. Sie appellierte an alle, nicht wegzuschauen, sondern aktiv auf Frauen zuzugehen, die von Problemen oder Gewalterfahrungen berichten.

Im Dezember 1999 legte die UN-Nationalversammlung den 25. November als „Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen“ fest. An dem Tag wird auch den vier Schwestern Mirabal gedacht, die am 25. November 1960 wegen ihres politischen Widerstands gegen das diktatorische Regime in der Dominikanischen Republik inhaftiert und gefoltert worden sind.

Drei Schwestern starben im Gefängnis, nur eine überlebte. Der Mut der Schwestern gilt als Symbol für Frauen weltweit, die nötige Kraft zu entwickeln, um sich gegen Unrecht zu wehren.