Prof. Irslinger: „Greenpeace->Waldvision< schadet - Klimaschutz durch Waldwirtschaft“
Mit einer wissenschaftlichen Analyse und Quantifizierung der Klimawirkungen nachhaltiger Holznutzung in Deutschland widerspricht der Tübinger Prof. a.D. Roland Irslinger der Greenpeace->Waldvision<: „Nutzungsverzicht im Wald schadet Wald und Klima“TÜBINGEN. - In der Wohlfühl-Ökoszene um Autor Peter Wohlleben herrscht die Meinung, man solle wegen des Klimaschutzes den Wald besser in Ruhe lassen statt ihn zu nutzen.
In einer Studie schlagen das Freiburger Öko-Institut und Greenpeace vor, die Holznutzung deutlich zu verringern, die Wälder dichter und älter werden zu lassen, um darin mehr Kohlenstoff zu speichern.
Der Nabu verfolgt mit seiner Speicherwald-Idee eine vergleichbare Strategie, auch Bündnis 90/die Grünen sind in dieser Frage ökopopulistisch unterwegs. Anders Fridays for Future, sie rufen nach wissenschaftlich fundierten Lösungen zum Klimaschutz.
„Speicherwald-Konzept eine gefährliche Zeitbombe für Wald und Klima“
Ein >Speicherwald< habe eine bessere Klimaschutzwirkung als ein naturnah bewirtschafteter Wald, behaupten die genannten Akteure. Bei genauem Hinsehen entpuppt sich das Speicherwald-Konzept allerdings als gefährliche Zeitbombe für Wald und Klima.
Wirtschaftswälder taugen besser für den Klimaschutz! Wälder hierzulande aus der Nutzung nehmen zu wollen folgt indes den Mustern unserer Externalisierungsgesellschaft, indem Holznutzung und Waldzerstörung nach Osteuropa exportiert werden.
Durch Photosynthese entzieht 1 Kubikmeter Holz beim Wachsen der Luft knapp eine Tonne (t) Kohlendioxid (CO2). Wälder sind deshalb wichtige Kohlenstoffspeicher, in deutschen Wäldern sind rund 2 Milliarden (t) Kohlenstoff gespeichert, zum Wachsen hat dieser Waldspeicher 7,4 Milliarden t CO2 der Atmosphäre entzogen.
11,4 Mio Hektar deutsche Waldfläche reduzieren jährlich rund 100 Millionen t CO2-Emissionen
Aktuell spielt Deutschlands Wald mit einer Fläche von 11,4 Millionen Hektar eine Rolle beim Klimaschutz wie keine andere Branche, ohne Waldwirtschaft hätte Deutschland jährlich 90 bis 100 Millionen t zusätzliche CO2-Emissionen.
Neben dem Waldspeicher gibt es den Holzproduktspeicher. Gegenstände aus Holz bestehen zu 50% aus Kohlenstoff. Wie der Waldspeicher entlastet der Produktspeicher die Atmosphäre von CO2.
In Deutschland beträgt die Höhe des Produktspeichers etwa 350 Mio t Kohlenstoff, also knapp 20% des Waldspeichers. Dieser Zahlenvergleich zeigt das Potenzial für künftige Klimaschutz-Strategien und die Holzbau-Initiativen verschiedener Länder finden darin ihre Begründung.
Im Wald speicherbare Menge an Kohlenstoff ist begrenzt
Bedeutsamer für den Klimaschutz ist der Wald über seine Speicherfunktion hinaus jedoch als sogenannte Senke. Einen Entzug von CO2 aus der Atmosphäre kann es nur bei einem Netto-Fluss an Kohlenstoff vom atmosphärischen Pool in das Waldökosystem geben.
Die in einem Wald speicherbare Menge an Kohlenstoff ist begrenzt, deshalb kann die Senke Wald auf lange Sicht nur durch anthropogene Intervention aufrechterhalten werden, indem Wälder durch Waldpflege in einer Phase kräftigen Wachstums gehalten werden.
Geerntetes Holz wird stofflich und energetisch genutzt
Das dabei geerntete Holz wird stofflich und energetisch genutzt. Fossile Energie wird dabei substituiert, d.h., durch erneuerbare Energie ersetzt.
Die Herstellung von Holzprodukten benötigt fast immer viel weniger Prozessenergie als deren Herstellung aus Beton, Ziegel, Stahl, Aluminium oder Glas.
Dieser Einspareffekt im Zuge der stofflichen Substitution beträgt im Falle des Baus von Holz- anstelle von Steinhäusern beim derzeitigen Energiemix 20 bis 50% an Treibhausgasen (THG). Wird das Holz altersschwacher Dachstühle ein zweites oder drittes Mal verwendet, ist sein Beitrag zum Klimaschutz noch höher.
Holz aus heimischen Wäldern ist ein fast zu 100% klimaneutraler Brennstoff
Bei der energetischen Substitution ersetzt Holz fossile Brennstoffe zum Zweck der Energiegewinnung. Holz aus heimischen Wäldern ist ein fast zu 100% klimaneutraler Brennstoff, nicht, weil es beim Verbrennen dieselbe Menge an CO2 freisetzt, die es zum Wachstum benötigt hat, sondern weil es bei nachhaltiger Waldwirtschaft dieselbe Menge an CO2 bindet, die zuvor beim Verbrennen freigesetzt wurde.
Verrottet Holz im Wald, entsteht genauso viel CO2 wie beim Verbrennen, allerdings ohne dabei fossile Energie zu substituieren. Sowohl stoffliche als auch energetische Substitution gehen in die nationale THG-Bilanz der Staaten ein.
Substitutionspotenzial zu verschweigen ist manipulativ
Diesen Tatbestand ignorieren die genannten Öko-Akteure, das Substitutionspotenzial zu verschweigen ist aber genauso manipulativ wie beim Elektro-Auto die Herstellung der Batterie zu unterschlagen.
Substitution bedeutet Vermeidung fossiler Emission, eine reduzierte Holzernte führt zum Gegenteil. Es sei denn, man bezieht das fehlende Holz aus der Zerstörung von Urwäldern in Osteuropa.
Der Druck, den ein geringerer Holzeinschlag hierzulande auf Urwälder zum Beispiel in Rumänien ausüben würde, dürfte dort nicht nur wertvolle Habitate zerstören, sondern auch Unmengen an CO2 aus dem Humus der Waldböden freisetzen, die in Form des Klimawandels auf uns zurückschlagen.
Deutsches Speicherwald-Konzept erzeugt ausbeuterische Holznutzung im Ausland
Das Speicherwald-Konzept macht aus der nachhaltigen Holznutzung hierzulande eine ausbeuterische Holznutzung im Ausland, sie unterläuft den Geist jeglicher Klimaschutzgesetzgebung, die einen Vorrang von Vermeidung vor Kompensation fordert.
Bündnis 90/Die Grünen wollen in Deutschland 600.000 ha Wald aus der Nutzung nehmen, was einer potenziellen Erhöhung der THG-Emission von jährlich 4 bis 5 Mio t entspricht.
Kohlenstoff-Bindung erhöht Risiko für das Klima
Zum Vergleich: Der Verzicht auf alle innerdeutschen Flüge würde etwa 2,5 Mio t THG pro Jahr einsparen! Außerdem: Je mehr Kohlenstoff ein Speicherwald bindet, desto höher wird das Risiko für das Klima. Die beiden Trockenjahre 2018 und 2019 haben das deutlich gezeigt.
Selbst die in weiten Teilen Deutschlands bisher heimische Buche hält solche Dürresommer auf Dauer nicht aus, je dichter die Wälder wachsen, umso weniger.
Bei zunehmender Trockenheit ist in den Wäldern mit einem Verlust an Biomasse zu rechnen, in Zeiten der Klimaerwärmung wird der Speicherwald das zwischengelagerte fossile CO2 wieder in die Atmosphäre entlassen.
Speicherwald wird zur tickenden Zeitbombe!
Der Wald wird zur CO2-Quelle, Milliarden Tonnen allein aus deutschen Wäldern werden zur Unzeit nicht nur die Atmosphäre, sondern auch die öffentlichen Haushalte belasten. Der Speicherwald wird so zur tickenden Zeitbombe!
Bleibt noch das Naturschutzargument. Nutzungsverzicht im Wald hat keine grundsätzlich positiven Auswirkungen auf die Multidiversität der Waldökosysteme.
Schon heute werden Forderungen des Naturschutzes laut, mehr Licht in die Wälder zu lassen, eine habitatspezifische Vorgehensweise im Rahmen eines naturnahen Waldbaus dient dem Artenschutz besser als ein Speicherwald.
Ausgangslage
Nach dem Stand der Wissenschaft ist es falsch, zu behaupten, Nutzungsverzicht im Wald diene dem Klimaschutz (z.B. Nabu 2019). 2018 hat das Öko-Institut die Studie „Waldvision“ als Auftragsgutachten von Greenpeace vorgestellt.
„Waldvision“ fordert einen Umgang mit dem Wald, der mit weniger Waldpflege auskommt, dafür mehr natürliche Prozesse zulässt und zusätzlich auf 17% der Wäldfläche vollständig auf Holznutzung verzichtet.
„Speicherwald“ und „Waldvision“ gefährliche Zeitbombe für Wald und Klima
Die Modellrechnungen der Studie suggerieren, der so behandelte Wald habe eine bessere Klimaschutzwirkung als ein naturnah bewirtschafteter Wald. Bei genauem Hinsehen entpuppen sich „Speicherwald“ und „Waldvision“ allerdings als gefährliche Zeitbombe für Wald und Klima.
Die in der Wissenschaft herrschende Sichtweise soll hier erläutert werden. Diese ist international grundsätzlich unwidersprochen und wissenschaftlicher Konsens.
Naturwissenschaftliche Forschungsergebnisse als Basis für Naturschutzpolitik
Naturschutzpolitik sollte sich wie Klimaschutzpolitik innerhalb naturwissenschaftlicher Forschungsergebnisse bewegen, genauso wie Fridays-for-Future dies fordert.
Prozessschutz bedeutet das Zulassen natürlicher Prozesse (JEDICKE, E. 1998), unter dem Einfluss von Prozessen der Sukzession soll Ökosystem-Dynamik anthropogen unbeeinflusst ablaufen dürfen.
Prozessschutz kann segregativ sein, also völlig ungesteuert, wie dies in Deutschland erstmals im Nationalpark Bayerischer Wald umgesetzt wurde. Prozessschutz kann aber auch integrativ sein, wobei nur gewisse Prozesse zugelassen werden.
Naturnaher Waldbau als integrativer Prozessschutz
Naturnaher Waldbau ist integrativer Prozessschutz, natürliche Prozesse werden mehr oder weniger stark in die Bewirtschaftungsstrategie einbezogen. Merkmal naturnahen Waldbaus ist beispielsweise die Baumartenwahl auf Basis der natürlichen Waldgesellschaften.
Forderungen nach vermehrter Ausdehnung reiner Prozessschutzgebiete im Wald sind naturschutzpolitisch riskant, weil sie die Trennung des Waldes in Prozessschutzwälder einerseits und reine Wirtschaftswälder fördern.
Integrativer Prozessschutz könnte unter die Räder kommen
Im Zuge einer segregativen Forstwirtschaft könnte der integrative Prozessschutz und damit der Waldnaturschutz in den bisher naturnah genutzten Wäldern unter die Räder kommen.
Die USA und Neuseeland sind typische Beispiele einer segregativen Forstpolitik, wo den wenigen noch vorhandenen Urwäldern riesige Flächen mit echten Plantagenwäldern gegenüberstehen.
Das Ende der Waldkulturlandschaft in Mitteleuropa wäre damit besiegelt, Hochwasserschutz und weitere Wohlfahrtswirkungen der Wälder könnten nicht mehr gewährleistet werden.
Die als „Prozessschutzwaldbau“ propagierte Strategie lässt lediglich ein Minimum an waldbaulicher Steuerung bei entsprechend geringerer Holznutzung zu, sie hat ihren Ursprung im Lübecker Stadtwald, wo Dr. Lutz Fähser, protegiert von Greenpeace, diese Art Waldbau 1994 einführte.
Unrealistisch hoher Waldspeicher prognostiziert
Das Öko-Institut prognostiziert für den Wald in Deutschland im Falle der Anwendung des Prozessschutzwaldbau-Konzeptes im Jahr 2102 einen unrealistisch hohen Waldspeicher.
Nirgendwo gibt es solche Referenzwälder, um die verwendeten Modelle zu kalibrieren, Primärwälder taugen dazu nicht. Die Parametrisierung der verwendeten Waldwachstumsmodelle ist weder klima-noch trophiesensitiv, der Dynamik des Waldwachstums unter den sich verändernden Klimabedingungen wird keinerlei Rechnung getragen, steigende Waldbrandrisiken werden ignoriert, immer trockener werdende Sommer kommen im Modell nicht vor(vgl. auch WISSENSCHAFTLICHER BEIRAT 2018).
Zugrunde gelegte vage Prognose der Waldpolitik ist dreist
Eine solch vage Prognose der Waldpolitik bis ins 22. Jahrhundert zugrunde zu legen, ist dreist. „Waldvision“ wäre dann vorteilhaft für‘s Klima, wenn die modellierte Senkenleistung des Prozessschutzwaldes höher wäre als der Verzicht auf das Potenzial der Substitutionsleistung des Mindereinschlages an Holz.
Dieses Ziel ist bei Weitem nicht zu erreichen. Würde man Prozessschutzwaldbau in allen Wäldern Deutschlands einführen, käme dies einem Nutzungsverzicht von 15 bis 30 Millionen m3 Holz pro Jahr gleich.
Im Strategiepapier von Bündnis90/Die Grünen „Waldschutz ist Klimaschutz ist Waldschutz“ (Bündnis90/Die Grünen 2019) fordern die AutorInnen eine „Urwald-Offensive“. Wälder sollen wieder bis zur natürlichen Zerfallsphase alt werden dürfen.
Nutzungsverzicht im Wald führt zu zusätzlichen Emissionen an Treibhausgasen
5% der deutschen Waldfläche sollen vollständig aus der Nutzung genommen werden, Länder und Kommunen sollen mit einem Anteil von 10% „Wildnisflächen“ vorangehen.
Nutzungsverzicht im Wald führt gegenüber naturnaher Waldwirtschaft zu zusätzlichen Emissionen an Treibhausgasen, die, wollen wir Klimaschutz ernst nehmen, an anderer Stelle eingespart werden müssen. Dabei ist Waldwirtschaft in Deutschland nicht überall naturnah.
Statt Waldflächen in großem Umfang aus der Nutzung zu nehmen, sind wir besser beraten, Waldwirtschaft dort, wo es nötig ist, naturnäher zu gestalten.
Eine Quantifizierung der Klimaschutzwirkung von Waldökosystemen beruht auf vier Säulen:
1. Waldspeicher,
2. Holzproduktspeicher,
3. Stoffliche Substitution,
4. Energetische Substitution.
Zur Person: Prof. a.D. Roland Irslinger war bis 2014 Professor für Waldökologie an der Hochschle für Forstwirtschaft in Rottenburg. Seit er in Pension ist, engagiert er sich speziell für Fragen des Klimaschutzes in Zusammenhang mit der Waldbewirtschaftung.