Ein Nistplatz mit Ãœbergewicht
Nest in Langwaden bietet Störchen nun wieder eine sichere HeimatLANGWADEN. - Vor 20 Jahren waren Weißstörche eine echte Rarität. Das hat sich mittlerweile deutlich geändert.
Nach Angaben des NABU brüteten im vergangenen Jahr in Hessen 1.289 Paare mit 2.760 Jungtieren, auch in Bensheim klappert es wieder an vielen Orten.
Die Flugkünstler gehören längst zum Stadtbild, gehen in den Wiesen auf Nahrungssuche und beobachten aus ihren Nistplätzen das Geschehen am Boden.
Auf dem Grundstück von Heinz George in Langwaden steht seit mehr als 20 Jahren ein Mast – damals aufgestellt von der GGEW AG.
In den zwei Jahrzehnten haben dort viele Störche ihren Nachwuchs auf die Welt gebracht, in die Welt entlassen und das Nest ordentlich anwachsen lassen.
Denn am Unterschlupf in knapp sieben Metern Höhe wurde von den jeweils neuen Bewohnern Jahr für Jahr weitergebaut. Das Nest wuchs und bekam im Lauf der Zeit Übergewicht.
Vor allem bei starkem Wind geriet der Aufbau in letzter Zeit ins Schwanken, auch die Streben zur Stabilisierung wiesen Spuren der Ãœberbelastung auf. Ein Absturz des Nests musste daher unbedingt verhindert werden.
So nahmen sich nun Lennart Bergmann und Noel Ohlemüller vom Zweckverband KMB dem Problem an. Mit einer Hub-Arbeitsbühne ging es zum in dieser Jahreszeit verlassenen Nest, um den Aufbau aus Ästen, Zweigen und sonstigem Nistmaterial zu reduzieren.
Für die Männer, die in der Baumpflege beim KMB tätig sind, eine Premiere, die sie routiniert und zielgerichtet erledigten.
Mit leichtem Gerät und in Handarbeit stutzten sie die Unterkunft für Störche zurecht, so dass auch künftige Generationen dort ein sicheres Zuhause finden. Die stören sich an den Aufräumarbeiten nicht.
Vielmehr werden sie im Frühjahr erneut mit Asthölzern, Moos und Gras ihr Nest und die Nestmulde ausbessern. Hans George rechnet nach den Erfahrungen der vergangenen Jahre damit, dass bereits ab Januar ein neues Paar den beliebten Platz anfliegt.
Verwunderlich ist das nicht, schließlich ist die Lage erstklassig. In den Wiesen und am nahen Waldrand findet sich ausreichend Nahrung.
Kaulquappen, Frösche, Kröten oder Mäuse stehen auf dem Speiseplan – aber leider auch Zivilisationsmüll. Ein ausgewachsener Storch benötigt nach Angaben des Naturschutzbundes Hessen etwa 500 bis 700 Gramm Nahrung pro Tag; dies entspricht ungefähr 16 Mäusen oder 500 bis 700 Regenwürmern.
Muss er außerdem noch eine Storchenfamilie mit zwei Storchenjungen ernähren, darf es gerne ein bisschen mehr sein: Ein Jungvogel braucht für einen kurzen Zeitraum bis zu 1.600 Gramm Nahrung pro Tag. Das bedeutet, dass der tägliche Nahrungsbedarf einer ganzen Storchenfamilie bei etwa 4.600 Gramm liegt.
Bensheim und Umgebung bietet heute vielen Störchen eine Heimat. Stephan Schäfer, Kreisbeauftragter für Vogelschutz und viele Jahre Vorsitzender des NABU-Stadtverbands Bensheim/Zwingenberg, weiß von 20 Brutpaaren im Stadtgebiet, die durchschnittlich zwei Jungvögel pro Horst aufziehen.
„Alle brüten auf Stahl- oder Holzmasten, zunehmend auch auf Pappelstümpfen und angebrochenen Fichtenkronen“, erklärt Schäfer.
Das war jedoch nicht immer so. In Langwaden war das Jahr der letzten Storchenbrut 1959. In Bensheim gab es die letzte Brut 1966 auf dem Schornstein des ehemaligen Brauhauses „Am Storchennest“. Erst Ende der 1980er Jahre kehrten die Vögel nach Bensheim zurück.
Die Langwadener hingegen mussten sogar noch länger warten. Für den örtlichen Vogelschützer Josef Loreth war dies damals ein Rätsel, erinnert sich Stephan Schäfer. Schließlich gab es genug feuchte Wiesen rund um den Ort. Und man hatte Nistunterlagen auf Scheunendächern errichtet, so wie es früher üblich war.
Erst als der Mast am Ortsrand auf dem Grundstück von Hans George auf Empfehlung des Vogelschutzbeauftragten aufgestellt wurde, hatte man Erfolg.
Der Mast wurde sofort bezogen. Seitdem brütet hier zuverlässig ein Storchenpaar. „Mit vier Jungvögeln pro Jahr gehört es zu den erfolgreichsten in Bensheim“, verdeutlicht Schäfer.
Die „modernen Störche“ sind nach Auskunft des Kreisbeauftragten Abkömmlinge von sogenannten Gehegestörchen. Die ersten Tiere wuchsen bei ihrer Wiedereingliederung auf Masten auf, die in Vogelparks und Storchenstationen errichtet wurden.
Von dort aus breiteten sie sich im Freiland aus. „Diese Prägung ist bis heute geblieben. Sie zeigt sich auch in der Neigung zu geselligem Brüten in Siedlungsnähe und im veränderten Nahrungs- und Zugverhalten“, erläutert Stephan Schäfer.
So ziehen die Störche nicht mehr bis Afrika, sondern nur noch bis Spanien oder bleiben den Winter über in der Nähe. Dabei nutzen sie beispielsweise den Luisenpark in Mannheim als Futterquelle. Schon Mitte Januar besetzen die ersten Rückkehrer ihre Nester am Berliner Ring oder in Langwaden.
Am Berliner Ring brütete auch nach Jahrzehnten der Abstinenz erstmals 1986 wieder ein Storch in Bensheim – und zwar im ehemaligen Vogelpark.
„Es war der besondere Stolz von Karl-Heinz Roth, dem langjährigen Leiter des Bensheimer Vogelpark“, blickt Schäfer zurück. Den Vogelpark gibt es schon länger nicht mehr, aber der Brutmast ist bis heute besetzt.
Doch nicht nur in Bensheim fühlen sich die Weißstörche heimisch. Im Kreis Bergstraße zählt man aktuell bis zu 90 Neststandorte, die sich hauptsächlich in Bensheim, Lampertheim und Groß-Rohrheim befinden. Alle befinden sich in den Niederungsgebieten des Rieds.
Auch hier ist der Blick in die Historie mit Stephan Schäfer spannend und aufschlussreich: Bis zur Wiederbesiedlung in den 1980er und 1990er Jahren gab es in Südhessen keine Störche mehr. Der letzte seiner Art brütete 1972 erfolglos in Hüttenfeld.
Bereits 1970 wurde in Schwanheim das letzte Paar von Willi Eckert beringt. „Er setzte sich für die Wiedereinbürgerung des Weißstorchs im Kreis Bergstraße ein und erhielt den Ehrentitel Storchenvater im Kreis Bergstraße“, so der Kreisbeauftragte für Vogelschutz.
Übrigens: Die höchste Storchendichte hat der Kreis Groß-Gerau mit über 300 Brutpaaren.